Warten als Integrationskiller

Warten als Integrationskiller

Im Innenministerium stapeln sich mehr als 20.000 unbearbeitete Aufenthaltsanträge. Schuld ist eine unkoordinierte Einwanderungspolitik

2. 10. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Christian Schnettelker

Am vergangenen Donnerstag fiel Danica Kovačevič ein Stein vom Herzen. Nach zwei Jahren nahm ihr bürokratischer Spießrutenlauf ein Ende – so lange musste die junge Serbin auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Tschechien warten. Kovačevič hat an der renommierten Filmhochschule FAMU studiert, spricht akzentfrei Tschechisch, arbeitet als selbstständige Fotografin, zahlt seit Jahren Steuern und ist – wie sie sagt – in Prag zuhause. Als sie das nach elf Jahren amtlich machen wollte, begann die Tortur.
Kovačevič ist bei weitem kein Einzelfall. Im Frühjahr dieses Jahres warteten laut Angaben des Innenministeriums alleine in Prag rund 24.000 Ausländer länger als 90 Tage – was der offiziellen Frist entspricht, in der die Behörde die Anträge bearbeiten muss – auf eine Entscheidung über ihren Aufenthaltsstatus. Laut Hana Malá, Sprecherin des Innenministeriums, sei dies bei einem Drittel der Fälle auf Fehler seitens der Antragssteller zurückzuführen.

Kovačevič hatte alle Papiere ordnungsgemäß eingereicht – das habe ihr die Dame am Schalter des Innenministeriums bestätigt. Sechs Monate später bekam sie einen Brief. Die Bestätigungen der Sozial- und Krankenversicherung würden fehlen. Kovačevič reichte die Papiere nach. So ging das drei Mal. In der Zwischenzeit wurden der Serbin Übergangsgenehmigungen erteilt, jeweils für drei Monate. Kovačevič musste alle drei Monate sämtliche Papiere verlängern: Gewerbeschein, Krankenversicherung, Sozialversicherung. Ein Teufelskreis, bei dem der eine Stempel vom anderen abhängt.

Bewilligung nach TV-Auftritt
„Die Behörden versuchen die Leute mit allen möglichen Mitteln davon abzubringen, sich die Aufenthaltsgenehmigungen zu besorgen“, sagt Kovačevič. Sie gab nicht auf, brachte ihren Fall ins Fernsehen. Nachdem ihre Geschichte im Tschechischen Fernsehen auf Sendung ging, kam die Bewilligung – noch bevor eine einberufene Kommission entschieden hatte, ob ihr Antrag vorschriftsmäßig eingereicht und bearbeitet wurde.

Laut Markéta Žižková von der NGO „Člověk v tísni“ mache die Missachtung der Fristen den Ausländern nicht nur das Leben schwer, das endlose Warten wirke sich auch negativ auf ihre Integration aus: „Das Innenministerium ist die erste Behörde, mit der die Migranten in Kontakt kommen“, sagt Žižková, „falls sich diese Behörde nicht an die Gesetze hält, was löst das in den Ausländern wohl für Gefühle aus? Wie sollen sie Vertrauen in den Rechtsstaat aufbauen?“

Nachdem Kovačevič und die Mitarbeiter der Migrationsabteilung von „Člověk v tísni“ im Sommer die unerträglich langen Wartezeiten in den Medien zum Thema machten, erwachte das Ministerium aus seiner Lethargie. 98 neue Beamtenstellen zur Bearbeitung der Anträge für  dauerhafte und vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen wurden eingerichtet. Das war vor genau zwei Monaten.
Laut den neuesten Zahlen konnte der Prager Aktenstapel um rund 3.000 Anträge verringert werden. Laut dem Ministerium warteten zum 24. Juni in Prag und im Mittelböhmischen Kreis noch immer 22.800 Antragssteller länger als 90 Tage, in den übrigen Regionen kämen noch 1.844 überzogene Fristen hinzu. Neuere Daten gäbe es nicht.

Stellen zuerst für Tschechen
Schuld an den langen Wartezeiten seien laut Sprecherin Malá neben Umstrukturierungen und Kürzungen am Innenministerium auch eine neue Richtlinie des Arbeitsministeriums. Demnach wurden Arbeitsgenehmigungen für Ausländer von maximal zwei Jahren auf nunmehr sechs Monate verkürzt. „Nach 2011 kam es deshalb zu einem bis zu vierfachen Zuwachs bei den Anträgen“, erklärt Malá. Mit jeder neuen Arbeitsgenehmigung muss auch eine neue Aufenthaltsgenehmigung beantragt werden.

Laut Migrationsexperten wie Markéta Žižková steht das stellvertretend für ein generelles Problem der tschechischen Einwanderungspolitik: Sie sei unkoordiniert. „Während das Innenministerium bekräftigt, dass es feste Anstellungen für Ausländer unterstützt, erschwert das Arbeitsministerium das Aufrechterhalten der Arbeitsverhältnisse“, so Žižková. Sinn der verkürzten Genehmigungen sei es gewesen, Arbeitsstellen für tschechische Staatsangehörige zu sichern. Ob dieser Effekt erzielt wird, überprüft niemand.