Von der Moderne überholt

Von der Moderne überholt

Das erste Prager Einkaufszentrum Kotva wird 40. Vielen Verkäufern ist aber nicht nach Feiern zumute

18. 2. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

„Kommen Sie, zeigen Sie mir Ihre Hände“, ruft eine Verkäuferin aus ihrem Kosmetikstand im Eingangsbereich. Sie hofft vergeblich auf Kunden. Es ist Freitagvormittag, im Einkaufszentrum Kotva am Platz der Republik (Náměstí Republiky) ist es ruhig. Im Erdgeschoss sitzen Besucher im Café, nur wenige bummeln durch die Gänge. Fährt man mit der Rolltreppe in die erste oder zweite Etage, sieht man deutlich mehr Verkäufer als Kunden, noch weiter oben erblickt man immer mehr Schilder mit der Aufschrift „zu vermieten – ab sofort“.

Es ist Februar und es ist Vormittag. Dass die Menschen nicht in Massen ins Kaufhaus strömen, ist nicht verwunderlich. Wirft man aber einen Blick ins gegenüberliegende Palladium, dann herrscht im Kotva im Vergleich tatsächlich gähnende Leere. Vor 40 Jahren sah das ganz anders aus. Als das Kotva am 10. Februar 1975 eröffnete, war es das modernste Einkaufszentrum der damaligen Tschechoslowakei und mit 22.160 Quadratmetern Geschäftsfläche das fünftgrößte Kaufhaus Europas; 2.000 Angestellte bedienten täglich bis zu 75.000 Kunden. Vor der Einweihung mussten sogar Soldaten eingesetzt werden, um die Besucher zurückzuhalten. Das Absperrband durchschnitt damals der Chef der Prager KSČ Antonín Kapek, auch Handelsminister Josef Trávníček kam.

Und heute? „Das Kotva ist nicht mehr das, was es mal war“, sagt eine Verkäuferin, die eigentlich schon im Ruhestand ist, ihre Rente aber in einem Kristall-Laden im Kotva aufbessert. „Es kommen keine Kunden mehr. Keine Ausländer, und auch keine Einheimischen.“ Früher sei das Kotva als „echt tschechisches“ Einkaufszentrum beliebt gewesen, russische Touristen seien gleich zum Großeinkauf angereist und mit mehreren Kisten wieder gegangen. Heute kauften Kunden hauptsächlich Kleinigkeiten, Souvenirs oder Dekoartikel, jedoch nicht in großen Mengen.

Investitionen aus Irland
Richtig „tschechisch“ ist das Kotva nur noch zum Teil. Anders als das Kaufhaus Máj an der Nationalstraße (Národní třída), das nur zwei Monate nach dem Kotva eröffnete und seit 1996 als „My“ Teil des britischen Unternehmens Tesco ist, gehörte das Kotva nie zu einer westlichen Einzelhandelskette. Seit März 2005 ist es jedoch in Besitz der irischen Investmentgesellschaft Markland. Diese will in den kommenden Jahren bis zu 200 Millionen Kronen in die Renovierung des Gebäudes investieren und dem einst berühmten Einkaufszentrum wieder einen „Premium-Charakter“ verleihen, wie Markland Ende Januar ankündigte. Unter anderem die Fassade soll erneuert werden, in den obersten Stockwerken sind Büroflächen geplant. Bisher sind bereits rund 300 Millionen Kronen in die Renovierung geflossen.

Dem Eigentümer zufolge verlief das vergangene Jahr erfolgreich: Die Mieter im Kotva konnten ihre Umsätze 2014 auf etwa 800 Millionen Kronen steigern, rund 50 Millionen Kronen mehr als im Vorjahr. Nach den Worten von Generaldirektor Jaroslav Petrů werden sie „wahrscheinlich“ auch in diesem Jahr weiter wachsen. Hört man sich dagegen in den Geschäften um, entsteht ein anderer Eindruck. Ein Spielwaren-Fachmann wünscht sich nichts sehnlicher als mehr Kunden, im Schuhladen führt eine Verkäuferin die Flaute vor allem auf das äußere Erscheinungsbild des Kotva zurück: „Das Gebäude erinnert an das bolschewistische Regime, das ist für viele mit negativen Erinnerungen verbunden“, meint die 48-Jährige. „Die Stahlbetonkonstruktion, das sieht einfach schrecklich aus.“

Umstrittene „Schönheit“
Doch gerade die Fassade ist das Markenzeichen des Kotva, das nach Entwürfen von Věra und Vladimír Machonin errichtet wurde. Sie haben in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auch Bauwerke wie das Hotel Thermal in Karlovy Vary (Karlsbad) entworfen, über dessen „Schönheit“ ebenfalls heftig gestritten wurde. Heute gibt es sogar Stimmen, die das Kotva gerne auf die Liste der nationalen Kulturdenkmäler aufnehmen möchten, „weil es mit seiner unregelmäßigen Gestalt Unordnung in den mittelalterlichen Grundriss Prags bringt“, wie der Architekturhistoriker Rostislav Švácha es formuliert. Die außergewöhnliche Form hatte aber auch praktische Gründe: In einer Baulücke im Zentrum sollte vor 40 Jahren so viel Verkaufsfläche wie möglich geschaffen werden.

Über Platznot und Gedränge kann man an diesem Tag auch gegen Mittag nicht klagen. Reger Betrieb herrscht nur bei einem Bäcker, der im Erdgeschoss belegte Brote verkauft, und im Fitnessstudio in der dritten Etage. Im Flur haben Eltern etwa ein halbes Dutzend Kinderwagen geparkt. Gegenüber stehen zwei junge Frauen hinter der Theke einer Bar, die zum Sportclub gehört. Das Getränke-Angebot besteht aus Energiedrinks in verschiedenen Geschmacksrichtungen. „Die meisten Kunden trainieren hier, weil sie in der Nähe wohnen oder arbeiten“, erzählen die Studentinnen, die sich im Kotva etwas dazuverdienen. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, dafür verraten sie, was sie über das Einkaufszentrum denken: „Das Gebäude und die Räume gefallen uns überhaupt nicht. Das ist kommunistisch“. Außerdem vermissen sie kleine Lokale oder Imbissstände, in denen sie in der Mittagspause schnell etwas essen könnten. Das Restaurant „T-Anker“ mit seiner Panoramaterrasse sagt den 20- und 21-Jährigen nicht zu.

„Blöde Läden“
Ähnlich sehen das zwei Verkäuferinnen, die in pinken T-Shirts Kleidung und Sportausrüstung für Kinder verkaufen. Es kämen kaum Kunden ins Kotva, weil es nur „blöde Läden“ gebe, sagt eine der beiden Mittzwanzigerinnen. „Schon von außen ist zu sehen, dass es aus einer anderen Zeit stammt“, meint ihre Kollegin. Das Kotva sei „von der Moderne überholt“ worden. Der Kinderladen, für den sie arbeiten, laufe dank einiger Stammkunden gut, schieben sie noch hinterher. Ansonsten herrsche bei den Geschäften große Fluktuation.

Viele Veränderungen hat auch Jana Vokurková miterlebt. Sie arbeitet seit 20 Jahren im Kotva und hat eine andere Meinung als die meisten Befragten: „Mir gefällt es hier“, sagt die 59-Jährige, „das Gebäude ist sauber und hell“. Die Verkäuferin wendet sich einem älteren Kunden zu, der eine Glühbirne sucht. Freundlich gibt sie Auskunft, kassiert ab. Das Geschäft für Haushaltswaren könne auf einige Stammkunden zählen, meint Vokurková später. Aber die vielen großen neuen Einkaufszentren am Stadtrand, die machten sich schon deutlich bemerkbar. Was sie sich zum Geburtstag des Kotva wünscht, muss sie nicht lange überlegen: „Mehr Kunden, die mehr kaufen.“