Traumjob Fährmann
Jemanden wie Jaroslav Hořejší wünscht sich jeder Arbeitgeber. Seinen Arbeitsplatz mag er so gerne, dass er sogar über Nacht bleibt. Eine Stippvisite auf der Moldau
10. 7. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba
Jaroslav Hořejší ist gerade einmal 19 Jahre alt und hat seinen Traumjob schon gefunden. Sein Arbeitsplatz ist sechseinhalb Meter lang, zwei Meter breit und schaukelt auf den Wellen der Moldau. Jaroslav Hořejší ist Fährmann. An einem sonnigen Sommertag wie heute ist sein Holzboot mit der grünen Plastikplane wie eine Insel der Glückseligkeit.
Hořejší hilft zwei deutschen Touristinnen an Bord. „Wo möchten Sie hin?“, fragt er auf Englisch. Die junge Frau zeigt auf die gegenüberliegende Flussseite unterhalb der rostigen Eisenbahnbrücke. Hořejší nickt. Laut Fahrplan wäre noch eine andere Station und eine 13-minütige Pause auf dem Weg. Aber in Hořejšís Traumjob sind Fahrpläne Nebensache. Ein geschmeidiges Wendemanöver, der Fährmann dreht die schwarze Kurbel vor sich auf Anschlag und hebt damit den Bug über die gekräuselten Wellen. Die kühle Brise und die Aussicht auf den Hradschin zaubern ein Lächeln auf die Gesichter der Passagierinnen. Hořejší grinst schon seit acht Uhr morgens. Nach drei Minuten ist Endstation, Hořejší hilft beim Ausstieg, die Touristinnen winken zum Abschied.
In Prag verkehren neben zahlreichen Touristendampfern und kleinen Ausflugsbooten fünf Fähren. Wie in der Straßenbahn findet man auf ihnen einen gelben Stempelautomaten. Seit 2005 sind die Moldau-Kutter Teil des integrierten Nahverkehrssystems. Mitfahren kann man also mit normalen Einzelfahrscheinen für 24 Kronen, mit dem Tagesticket oder mit der Chipkarte Opencard. Die Linien P1 und P2 verbinden die Ufer im Norden der Metropole, dort wo die nächste Brücke bis zu vier Kilometer entfernt ist. Im Süden verkehrt die Linie P6 zwischen dem Stadtteil Lahovičky und dem Bahnhof in Modřany. In den zentrumsnahen Bezirken verbinden zwei Linien die langgezogenen Moldauinseln mit dem Festland.
Fährmann Hořejší arbeitet auf der schönsten aller Linien: Mit der P5 gelangt man vom wild bewachsenen linken Ufer in Smíchov (Haltestelle Kotevní), über die Insel Kaiserwiese (Císařská louka) nach Výtoň und zurück. An die historische Bedeutung der Anlegestelle Výtoň erinnert ein altes Zollhaus. Hier legten seit dem frühen Mittelalter die Flöße aus dem Böhmerwald an und verzollten ihre hölzerne Fracht. Heute locken Prager und Touristen vor allem die Partys auf der Uferpromenade hierher, und der Blick unter der Bogenbrücke aus dem 19. Jahrhundert hindurch auf die Prager Burg.
Frischluft statt Frittierfett
Fährmann Hořejší genießt diesen Ausblick ab halb 8 Uhr morgens, dann wenn er sich aus dem Schlafsack pellt. Der Schüler aus Ústí nad Labem hat sich über die Ferien auf einem kleinen Motorboot am Ufer der Kaiserwiesen-Insel eingenistet. Sein Arbeitsplatz ist etwa fünf Schritte entfernt festgebunden. In der Stunde verdient Hořejší 100 Kronen (etwa 3,60 Euro) – vor Abgaben. „Bei McDonalds gibt nur es 50 Kronen und man stinkt nach Frittierfett“, sagt Hořejší. Seinen Ferienjob macht er so gerne, er hat sogar überlegt, die Mittelschule für Ingenieurwesen an den Nagel zu hängen. „Aber das Abitur könnte mir schon weiterhelfen“, sagt der Junge mit den kurzen blonden Haaren. Danach könnte er sich ein Leben als Schifffahrtskapitän gut vorstellen.
Noch trägt Hořejší nur eine Matrosenmütze. Dazu ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt, der Saum der kurzen Hose, ebenfalls blau, ist nach oben geschlagen. Sein Arbeitstag endet um 20 Uhr. Bis dahin befördert er bis zu 800 Passagiere. „Meist Touristen, Ausflügler, Fahrradfahrer oder Camper“, erklärt er. Auf der Insel sind zwei große Campingplätze, mit Hořejšís Fähre sind die Gäste schnell an der gut frequentierten Straßenbahntrasse auf der rechten Uferseite oder brechen zu Fuß über die belebte Uferpromenade in die Innenstadt auf.
Schwer sei die Überfahrt nicht, sagt Hořejší. Aber vor allem auf Motorboote müsse man aufpassen. Zwischen der Insel und dem linken Moldauufer ist ein Hafen für Sportboote. „Eigentlich haben Fähren auf Flüssen absolute Vorfahrt“, erklärt Hořejší und zeigt auf eine aus grünem Rattan geflochtene Kugel. Sie steckt auf einem Holzmast und markiert Hořejšís Arbeitsplatz als Fähre. „Aber das hier ist Prag, vor allem die Sportboote respektieren die Regeln kaum“. Wenn das Boot mit elf Passagieren voll besetzt ist und der Wellenschlag kommt, könne es schon einmal nass an Bord werden.
Flexible Kaulquappe
Heute schlägt die Moldau keine gefährlichen Wellen. Nachdem Hořejší die beiden Touristinnen abgesetzt hat und Kehrt Richtung Kaiserwiese macht, weht der Wind ein paar Spritzer auf das Deck der „Kaulquappe“, wie das einfache Boot getauft ist – „pulec“ auf Tschechisch. Hořejšís Dauergrinsen tut das keinen Abbruch.
Laut Fahrplan sollte die Kaulquappe jede halbe Stunde von der Kaiserwiese ablegen. Einmal die wenigen Meter nach Smíchov und zurück, dann 13 Minuten Pause. Dann nach Výtoň und zurück. Wieder Pause. Da Hořejší von seiner Insel aus beide Anlegestellen im Blick hat und penibles Einhalten des Fahrplans zu unnötigen Warteschlangen an den Anlegestellen führen kann, fährt er, wann er gebraucht wird. Zwischendurch kontrolliert er den Ölstand im Dieselmotor, telefoniert, oder lehnt einfach mit dem Arm am grünen Plastikdach seiner Kaulquappe, steht mit einem Fuß auf dem Schwimmsteg, mit dem anderen auf der Bordwand und lässt ein wenig Wasser die Moldau hinunterfließen.
Ein Mann afrikanischer Abstammung trippelt vor dem Schild mit der Aufschrift „Přívoz“ – also „Fähre“. Er blickt auf den Fahrplan, auf sein Handy, nochmal auf den Fahrplan. Hořejší sagt seinen Satz, wieder auf Englisch. „Wohin möchten Sie?“. Vytoň, sagt der Mann mit der blauen Baseballkappe. Hořejší winkt ihn aufs Boot. Verwirrt fragt der Passagier auf Tschechisch nach dem Fahrplan. Hořejší winkt ab und kontrolliert seine Fahrkarte. Er sei auf der Insel spazieren gewesen und müsse jetzt auf Arbeit, erklärt der Mann. Zwei Minuten später winkt auch er von der rechten Uferseite und läuft in Richtung Zentrum.
Dort verkehrt zwar auch ein Boot des Fährenbetreibers „Pražské Benátky“ um die Karlsbrücke und durch den Kanal um die Kampa-Insel. Hier fahren allerdings nur Touristen zu Touristenpreisen. Der Passagier, den Hořejší gerade über die Moldau gefahren hat, ist einer von mehreren Afrikanern, die Passanten in Matrosenanzügen zur Mitfahrt animieren. Die Fahrkarten der öffentlichen Verkehrsbetriebe zählen nur auf den fünf Linien außerhalb der Altstadt.
Schon im nächsten Jahr könnte jedoch eine neue hinzu kommen. Wenige hundert Meter flussabwärts von Výtoň.
Dort soll eine Fähre zwischen den Ufern pendeln und die Besucher der Uferpromenade auf die andere Seite bringen. Laut den Plänen des neuen städtischen Beauftragten für die Verwaltung der Moldauufer soll auch das Ufer von Smíchov für Spazier- und Partygänger belebt werden. Prag entdeckt die Moldau wieder, nachdem die Uferpromenaden jahrelang lediglich als saisonale Parkplätze und Werbeflächen genutzt wurden. Fährmann Hořejší hat die Moldau diesen Sommer für sich entdeckt. Auf ihr wohnt er, auf ihr arbeitet er, auf ihr schläft er. Am liebsten würde er für immer bleiben.
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