Spiel nicht mit den Roma-Jungen

Spiel nicht mit den Roma-Jungen

Boykott in der Kreisliga: Immer wieder werden Spiele des Fußballvereins Roma Junior im nordböhmischen Děčín abgesagt – angeblich wegen Sicherheitsbedenken

8. 1. 2015 - Text: n-ostText: Steffen Neumann, n-ost; Foto: Petr Spanek

Mittwochabend im Städtischen Stadion von Děčín. Das wöchentliche Fußballtraining beim TJ Roma Junior Děčín hat begonnen. Etwa ein Dutzend Spieler hat sich auf dem Spielfeld um ihren Trainer Pavel Horváth versammelt. Das besondere an den Fußballern, die hier trainieren: Die meisten von ihnen gehören der Roma-Minderheit an.

Die Ansprache des Trainers und zugleich Klubgründers zu Beginn hat seit Wochen nur ein Thema: den Boykott gegen sein Team. Von bisher acht Begegnungen in der untersten Spielklasse hat der neu gegründete Klub gerade einmal drei gespielt. Der Rest wurde von den gegnerischen Teams abgesagt, wegen Sicherheitsbedenken, wie es jedes Mal hieß. Die Spieler von Junior Děčín wären aggressiv und hätten ihre Fans nicht im Griff, so die gängigen Begründungen.

„Das ist zum Lachen“, winkt Trainer Horváth verärgert ab. Er kann das Thema nicht mehr hören, redet sich aber doch wieder in Rage. „Dieser Grund ist nur vorgeschoben, körperbetontes Spiel gehört zum Fußball einfach dazu. Und überhaupt, wir sind ein völlig anderes Team als damals.“

Journalist und Musiker
Damals – das war der 28. Mai 2011. Kurz vor Ende des Spiels zwischen dem Roma-Verein FK Děčín und Lok Děčín kommt es zu einer Schlägerei. Weil der Schiedsrichter FK Děčín keinen Elfmeter gibt, geht der Bruder von Patrik Herak auf einen Spieler von Lok Děčín los. Als der Schiedsrichter eingreift, kommt Patrik seinem Bruder zu Hilfe und stößt dabei den Unparteiischen zu Boden. So steht es im Spielbericht. Die Partie wird abgebrochen. Die anderen Vereine schließen sich aus Protest zu einem Boykott gegen den Roma-Verein zusammen. Doch das ist nicht nötig. Herak und die Mannschaft bekommen hohe Strafen aufgebrummt, die den FK Děčín in die Knie zwingen. Ein fast 50 Jahre währendes Kapitel des Roma-Fußballs in Děčín geht unrühmlich zu Ende.

Um drei Jahre später den Roma-Klub wiederzugründen, hat Pavel Horváth noch einmal sein Leben verändert. Er lebte die vergangenen Jahre in Manchester. „Dort ging es mir gut. Meine Tochter und Enkel habe ich immer noch dort.“ Doch der Ruf aus Děčín war stärker. Immerhin ist er der Neffe von Ladislav Horváth. Der hatte 1962 den SK Roma Děčín gegründet. „Roma-Fußball gibt es in Děčín schon seit ich denken kann“, sagt Horváth.

Das heißt nicht, dass Roma nur in ihren eigenen Klubs spielen. Horváths Onkel spielte zunächst für Baník Děčín, er selbst kickte als Mittelfeldspieler mit Frýdlant in der Nachwuchs-A-Liga. „Mit 17 bekam ich sogar das Angebot, zum damaligen Armeeverein Dukla Prag zu wechseln“, erzählt Horváth. Doch ein Dummejungenstreich, wie er sagt, machte alle Hoffnungen zunichte. Im tschechischen Spitzenfußball sind Roma-Fußballer eher rar und nicht immer bekennen sie sich offen zu ihrer Herkunft. Der aktuell bekannteste ist ein Namensvetter von ihm, der als Kapitän mit Viktoria Pilsen zweimal Meister wurde.

Roma-Klubs, von denen es in ganz Tschechien vier gibt, ziehen besondere Aufmerksamkeit auf sich. „So extrem wie jetzt bei Junior Roma Děčín ist die Ablehnung nirgendwo. Aber Anspielungen oder Beleidigungen sind immer wieder zu hören“, berichtet Gyulla Banga, der regelmäßig das Geschehen im Roma-Fußball verfolgt. „Andererseits gibt es keinen Roma-Klub, in dem ausschließlich Roma spielen“, so Banga weiter. So auch in Děčín, wo auch Russen, Tschechen und Araber kicken.

Dass Roma Junior Děčín seinen Ruf trotzdem nicht los wird, liegt vor allem an Patrik Herak, der als einziger aus dem alten Team dabei ist. Eine Glatze wie einst Jan Koller, die Nase gefährlich verbogen. Sieht so der gewalttätige Roma aus? Herak beruhigt: Die Nase habe er schon von Geburt an, vor ihm müsse niemand Angst haben. Der 28-Jährige arbeitet für die Stadt Děčín als Müllfahrer.

Er will den jungen Spielern helfen. Herak trainiert die Nachwuchsmannschaft des Junior Roma Děčín, während er bei den Männern je nach Bedarf im Tor steht oder die Abwehr zusammenhält. Die Schlägerei vor drei Jahren tue ihm leid, sagt er. Aber er habe auch dafür gebüßt: „Ich durfte nicht spielen, habe meine Strafe beglichen und mich mit der Versicherung des Spielers von Lok Děčín geeinigt. Inzwischen sind wir sogar gute Bekannte“, erzählt er.

Die Welt des Kreisklassenfußballs ist klein. Jeder kennt jeden. Allen Beteiligten ist die Sache sichtlich unangenehm. Vor allem, dass die Medien von Rassismus schreiben. Funktionäre wie der Kreisverbandschef Libor Šimíček beschwichtigen: „Wenn ihr Medien das nicht so hochgespielt hättet, wäre das längst erledigt.“

Natürlich gehe es nicht an, dass Vereine einfach ihre Spiele absagen. „Doch das sind alles Freizeitkicker, die ich nicht zum Spielen zwingen kann“, verteidigt Šimíček seine Klubs. Kann ein Verein nicht antreten, kostet das Geld: 1.000 Kronen, umgerechnet knapp 40 Euro. Das Spiel wird mit 0:3 als verloren gewertet, die Punkte gehen an den Gegner.

Die Wettbewerbskommission beschloss, die abgesagten Spiele gegen Roma Junior Děčín mit 1.500 Kronen härter zu bestrafen als eine übliche Spielabsage. Das reichte aber nicht, um weitere Klubs von dem Boykott abzuhalten.
Šimíček ist sich bewusst, dass der finanzielle Druck auch nach hinten losgehen kann. „Ich bin schon froh, dass wir überhaupt elf Teams zusammenbekommen haben“, sagt Šimíček. Was er nicht sagt: So viele waren es bereits in der Vorsaison. So gesehen ist Roma Junior Děčín kein Zugewinn, sondern Ersatz: Denn die Mannschaft von Lok Děčín, deren Spieler vor drei Jahren mit den Roma aneinandergeraten sind, meldete sich beim Nachbarkreisverband in Ústí nad Labem an, nachdem sie von der Rückkehr der Roma-Mannschaft erfahren hatte.

Ein solcher Schritt war für Martin Klein kein Thema. Klein sitzt in dem kleinen Sportlerheim des FK Františkov. Der Klubsekretär ist der einzige von den boykottierenden Klubs, der für ein Interview zur Verfügung steht. Draußen laufen sich die ersten Spieler warm. Auch hier wird mittwochs trainiert. Der Rasen des Klubs in der Kleinstadt, die mit dem Auto eine Viertelstunde von Děčín entfernt liegt, macht einen gepflegten Eindruck. Františkov war das erste Team, das sich dem Spiel mit der Roma-Mannschaft verweigerte. Hätten sie das Spiel nicht verloren gegeben, wären sie jetzt Tabellenerster.

„Ach, das ist es uns nicht wert“, winkt er ab. „Wir sind alle um die 40 Jahre, da sollte man seine Emotionen im Zaum halten können“, spielt Klein auf den Vorfall vor über drei Jahren an. Auch er sieht in dem Verhalten seiner Spieler nichts Rassistisches. „Wir haben doch selbst drei Roma-Spieler in der Mannschaft. Und dass Junior Roma nichts mit dem FK Děčín zu tun hat, ist nur Gerede. Das sind immer noch die gleichen Typen“, redet sich Klein warm. „Leute wie Herak sollten über sich nachdenken und auf ihre Zuschauer aufpassen. Wir sind hier doch nicht Sparta Prag, wo die Spiele Polizeischutz brauchen“, so Klein.

Am meisten ärgert ihn aber der Zuschuss, den die Stadt Děčín dem Roma-Klub Anfang der Saison gewährt hat. „Die halten die Hand auf und die Stadt zahlt ihnen alles, von der Stadionmiete über die Anmeldegebühren, einfach alles“, ereifert sich Klein und kommt dann doch noch auf die andere Herkunft der Roma-Spieler zu sprechen. „Ich verstehe nicht, was diese Bevorzugung soll. Wir sind doch alle Tschechen und würden auch gern mal auf Kunstrasen spielen.“

Die Stadt Děčín bestätigt einen einmaligen Zuschuss in Höhe von 10.000 Kronen (etwa 370 Euro) und verteidigt ihn: „Wir stecken im Jahr vier Millionen Kronen in den Sport, das ist nichts Außergewöhnliches. Und was den Roma-Klub angeht: Besser, sie spielen Fußball, als dass sie Unsinn anstellen“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Pavel Sinko. Das Geld sei neben der Stadionmiete vor allem in die Ausstattung der Schülermannschaft gegangen, die Roma Junior unterhält. Er weiß um die Probleme in seiner Stadt. Mit rund 3.000 Menschen wohnen in Děčín überdurchschnittlich viele Angehörige der Roma-Minderheit. Schätzungen des Sozialministeriums zufolge liegt in Tschechien die Arbeitslosenrate unter Roma bei 39 Prozent. In Děčín dürfte sie noch höher ausfallen, da es hier auch für Nicht-Roma wenig Arbeit gibt.

„Da ist ein eigener Fußballklub extrem wichtig“, sagt Trainer Pavel Horváth. „Hier können unsere Leute zeigen, was sie drauf haben, wenn sie sich schon woanders nicht durchsetzen können.“ Und er ist wichtig auch für jene, die nur zuschauen. Zu den Spielen von Roma Junior kommen regelmäßig 200 bis 300 Zuschauer, deutlich mehr als in den anderen Kreisklassespielen. Das mag an der medialen Aufmerksamkeit liegen. Aber die Roma stellen auch eine treue Fangemeinde. Die hatte kürzlich endlich mal wieder was zu feiern. Eine Auswahl von Diplomaten aus mehreren Ländern wie Schweden, den USA und Dänemark reiste nach Děčín, um den Ausgebooteten mit einem Freundschaftsspiel den Rücken zu stärken. Am Ende stand es Unentschieden, ein symbolisches Elfmeterschießen brachte den Diplomaten den Sieg.

Pavel Horváth glänzen noch jetzt die Augen, wenn er von dem Spiel erzählt. „Das waren Persönlichkeiten, anders als die Spieler, die uns hier boykottieren.“ Die Sehnsucht bei ihm und seinen Schützlingen nach einem normalen Liga-Alltag ist groß. Geht es nach Kreisverbandschef Šimíček, wird sich die Lage bald beruhigen: „Im Frühjahr werden alle Partien gespielt, da bin ich mir sicher.“

Auch Fußballexperte Gyulla Banga ist optimistisch. Die Boykottfront bröckele. „Die beiden stärksten Teams sind gegen Roma Junior angetreten und das waren schöne Spiele, ohne Ressentiments.“ Da Roma Junior beide Spiele verlor, sind zugleich die Chancen gesunken, in die nächsthöhere Spielklasse durchgereicht zu werden – für jedes abgesagte Spiel hat der Verein bislang schließlich drei Punkte geschenkt bekommen. „Auch wenn das einigen gefallen würde, wir wollen das aus eigener Kraft schaffen“, zeigt sich Pavel Horváth kämpferisch. Seine Rückkehr nach Manchester wird er noch um einige Zeit aufschieben.