Schiff ahoj!

Schiff ahoj!

Seit 150 Jahren können Besucher sich die Stadt von der Moldau aus ansehen. Ein Blick in die Geschichte und hinter die Kulissen der Prager Dampfschifffahrtsgesellschaft

26. 8. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: S. Kohoutek

Miloš Kůžela hat Sinn für Romantik. Vor ein paar Jahren sei er noch mit dem Kahn gefahren, sagt er mit tiefer Stimme. Das „u“ im tschechischen Wort „člun“ („Kahn“) zieht er in die Länge: „čluuuun“. Allein zu sein mit dem Fluss, ganz ohne Motor, das sei noch romantisch gewesen. Kůžela ist „Kapitän erster Klasse“, das heißt, er darf mit Ausnahme des Rheins alle europäischen Binnengewässer befahren. Mit dem Kahn schipperte er auf der Elbe bis nach Hamburg und lauschte dem Brausen des Wassers, ein „romantischer Beruf“, brummt er noch einmal in seinen grauen Schnurrbart.

Auf der Cecilie geht es weniger einsam zu. Mit 53 Metern Länge und acht Metern Breite bietet das Ausflugsschiff Platz für 450 Passagiere. Wenn es nicht gerade Touristen über die Moldau gondelt, liegt es am Dvořák-Ufer, mitten im Prager Stadtzentrum. Kapitän Kůžela und Cecilie stehen im Dienst des Unternehmens Prague Boats, zu dem seit 18 Jahren auch die Prager Dampfschifffahrtsgesellschaft (Pražská paroplavební společnost, PPS) gehört. Mit 25 Booten und 130 Angestellten befördert Prague Boats jährlich etwa 500.000 Gäste auf der Moldau – vom Zentrum zum Zoo, nach Mělník und zur Talsperre Slapy, oder nur zwischen Karlsbrücke und Vyšehrad ein Stück flussauf und -abwärts. Und es ist nicht das einzige Unternehmen, das Fahrten in allen Variationen anbietet, mit Abendessen zum Beispiel oder mehrsprachigem Lautsprecher-Kommentar zu den Prager Sehenswürdigkeiten.

Den Grundstein für den Besucherstrom auf der Moldau legte die PPS vor genau 150 Jahren, als sich am 26. August 1865 zum ersten Mal der Ausflugsdampfer „Praha“ auf den Weg machte. Die Jungfernfahrt mit Pressevertretern und Prominenz war ein großes Ereignis, dessen glückliches Ende für den Journalisten der „Národní lísty“ nicht selbstverständlich war: „Nachdem das Schiff mit den Passagieren vom Ufer aus fotografiert worden war, gingen wir etwa um halb drei an Bord für die Rückfahrt. Obwohl der Dampfer zahlreichen Booten und Flößen ausweichen musste, kamen wir ohne Pannen und Unfälle um drei viertel fünf wieder bei der Ziegelei an. Dem Kapitän sowie dem Steuermann und den Matrosen mit ihren blauen Gewändern und breiten Strohhüten gebührt höchste Anerkennung für ihre Achtsamkeit“, schrieb er am nächsten Tag, an dem der Dampfer offiziell seinen Betrieb aufnahm. Dreimal täglich verkehrte das Schiff fortan auf der Moldau in Richtung Zbraslav. Allein in den ersten drei Monaten fuhren mehr als 19.000 Passagiere mit.

Solarzellen statt Dampfkraft
Seitdem hat sich vor allem die Technik verändert. Nur zwei Dampfer, gebaut 1938 und 1940, zählen noch zur Flotte von Prague Boats. Dort müssten die Maschinisten Temperaturen von bis zu 70 Grad Celsius ertragen, erzählt Geschäftsführer Richard Vojta. „Sie trinken acht bis zehn Liter Wasser am Tag.“ Die neueren Boote dagegen haben Elektromotoren, Solarzellen oder Hybrid-Antrieb, seien einfacher zu steuern als die Dampfer, sagt der 28-jährige Vojta.

Dennoch verlange jede Fahrt dem Kapitän noch immer viel Feingefühl ab, ergänzt Kůžela. „320 Tonnen bringt man nicht einfach so zum Stehen, man muss mit dem Schiff leben und fühlen.“ Die Cecilie, die er seit dreieinhalb Jahren steuert, sei für ihn „eine Herzensangelegenheit“. Vielleicht liegt es daran, dass die beiden fast gleich alt sind. Kůžela ist 56, fühlt sich aber jünger. Cecilie ist 53, hat aber 1985 einen neuen Motor bekommen – eingebaut vom „VEB Schwermaschinenbau Karl Liebknecht“ in „Magdeburg, Deutsche Demokratische Republik“, wie eine zerkratzte Plakette im Maschinenraum verrät. In Magdeburg entstand auch das Schiff; bevor es nach Prag kam, fuhr es jahrzehntelang auf deutschen Seen herum.

Cecilie ist eines von vielen Schiffen von Prague Boats, die in deutschen Werften gebaut wurden, darunter auch das neueste, im April dieses Jahres fertiggestellte Boot Bohemia Rhapsody, für das unter anderem Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, Botschafter der Bundesrepublik in Prag, Pate stand. Vor 150 Jahren dagegen war man besonders stolz, dass der Dampfer im eigenen Land gebaut wurde. Die „Národní listy“ schrieb damals: „Das Dampfschiff Praha wurde nicht im Ausland gekauft (…) – die heimische Firma Ruston, die vor allem mit tschechischen Kräften arbeitet, hat bewiesen, dass auch unsere Industrie eine große Zukunft erwarten würde, wenn wir immer ein angemessenes Selbstvertrauen hätten.“

Grund zu einem gesunden Selbstbewusstsein lieferten PPS die steigenden Passagierzahlen, die nach den Wirren des Ersten Weltkriegs ihren Höhepunkt erreichten: Jeweils mehr als zwei Millionen Menschen beförderten die Schiffe in den Jahren 1920 und 1921. Sind sie seitdem aus der Mode gekommen? Nein, meint Kapitän Kůžela, aber die Passagiere erwarteten mehr für das Geld, das sie zahlen. „Sie wollen nicht nur dasitzen und fahren, sie wollen unterhalten werden.“ Dass sich die Passagiere verändert haben, beobachtet auch Francesca Raiser. „Sie tippen nur noch auf ihren Smartphones herum und reden gar nicht mehr miteinander.“ Seit fast sieben Jahren verkauft Raiser Fahrkarten für die Schiffstouren und kommuniziert mit den Besatzungsmitgliedern. Sie hat in Brasilien eine deutsche Schule besucht und zehn Jahre in New York gelebt; von der Mutter lernte sie Italienisch, vom Vater aber nur wenig Tschechisch. Die Kollegen verstünden sie trotzdem, sagt die 59-Jährige. „Auch wenn manche Kapitäne überhaupt keine Sprache sprechen.“

Leben in der Kajüte
Große Worte sind auch nicht die Sache von Kapitän Kůžela, der noch ein Haus in seiner Heimatstadt Jablonec nad Nisou hat, die meiste Zeit aber in seiner Kajüte im Bauch der Cecilie verbringt. Mit dem Kapitän wohnen im zweiwöchigen Wechsel noch drei weitere Besatzungsmitglieder auf der Cecilie – Bootsmann, Matrose und Maschinist. An einem verregneten Augustvormittag führt der Kapitän allein durch das Schiff. Im Maschinenraum drückt er Knöpfe und dreht Hebel, lauscht bedächtig dem Rattern und Scheppern des Motors. „Ist das nicht ein wunderbares Geräusch?“

Im Restaurant werden kurz darauf frische Blumen in die Vasen gesteckt, in der Küche das Abendessen vorbereitet, Brokkolisuppe und Fleischgerichte, dazu Salat. „Wir müssen ein bisschen sparsamer mit allem sein, ansonsten kocht es sich auf der Moldau nicht anders als an Land“, sagt der junge Schiffskoch. Täglich tankt die Cecilie 10.000 Liter Wasser an einem Hydranten am Ufer, für die Stromversorgung läuft im Maschinenraum der Generator, auch wenn das Schiff steht. Heute Abend wird es ablegen, 180 Passagiere haben sich angemeldet. Sie werden ihr Menü verspeisen und sehen, wie sich die Lichter der Stadt auf der Moldau spiegeln. Wenn sie nach dem Dessert nach Hause gehen, wird Kůžela an Bord bleiben, auf dem Wasser, wo er am liebsten ist, auch wenn sein Bett mal ein bisschen schaukelt. „Bei einem Sturm habe ich keine Angst. Da ziehe ich einfach die Decke über den Kopf und schlafe weiter.“