Rhythmus, Kraft und Präzision

Rhythmus, Kraft und Präzision

Irish Dance hat die Stadt erobert. Zwei Tänzer mit unterschiedlichen Ambitionen bereiten sich gerade auf den nächsten internationalen Wettkampf in Prag vor

15. 5. 2014 - Text: Annika NielsenText: Annika Nielsen; Foto: Michal Kára

„Es ist das Herzklopfen, wenn die Musik anfängt, das Adrenalin, das man in jedem Muskel spürt, der Rhythmus, der den ganzen Körper einnimmt“, antwortet Jan Klášterka auf die Frage, was ihn an seiner Leidenschaft fasziniere. Der 33-Jährige kommt aus Prag, arbeitet als Qualitätsmanager in einem Krankenhaus und entdeckte im Alter von 20 Jahren Irish Dance. Seitdem lässt ihn dieser Tanzstil nicht mehr los. „Einzigartig am Irish Dance ist, dass er eine perfekte Verbindung zwischen Kultur und Sport herstellt“, schwärmt Klášterka. Wie die meisten Festland-Europäer kam er durch Zufall mit der traditionellen Tanzform aus Irland in Berührung, nämlich als ihn Studienfreunde zu einem irischen Festival mitnahmen, bei dem er typische Gruppentänze kennenlernte. Daraufhin informierte er sich und schloss sich einer Tanzgruppe in Prag an.

Dass es überhaupt möglich ist, hierzulande Irish-Dance-Schulen zu finden, ist dem Großerfolg von „Riverdance“ zu verdanken. Die Show wurde vor 20 Jahren von Michael Flatley konzipiert und als Pausenstück beim Euro­vison Song Contest uraufgeführt. Mit der Bekanntheit des Tanzes über Nacht entwickelte sich schnell ein Netzwerk neuer diplomierter Tanzlehrer, die in vielen europäischen Städten Schulen eröffneten.

In Prag gibt es mittlerweile drei diplomierte tschechische Tanzlehrer und zahlreiche kleinere Tanz- und Showgruppen, was für eine kontinentaleuropäische Stadt außergewöhnlich ist. Vergleichbar ist die Situation nur in Polen und der Slowakei. Woran liegt es, dass sich der irische Tanz in Prag oder gar in ganz Ostmitteleuropa einer derartigen Beliebtheit erfreut? Klášterka findet eine Erklärung in der hiesigen Tradition von Volkstanz und -musik. Das in Verbindung mit einer etwas exotischeren und internationaleren Form sei sehr reizvoll. „Nach dem Kommunismus wollten die Leute unbedingt kennenlernen, was es außerhalb so gab, ohne dabei ganz von den eigenen Wurzeln abzukehren“, meint der Prager. „Irish Dance erfüllt genau diese Bedingungen.“

Ein Spektakel für Laien

Die Schulen sind jedoch nicht auf Shows, sondern auf den eigentlichen Charakter des Irish Dance, die streng reglementierten Wettkämpfe für Solotänzer ausgerichtet. So trainiert auch Jan Klášterka praktisch nur für solche Wettbewerbe. Er qualifiziert sich immer wieder für die Weltmeisterschaften und kann sich demnach zu einem der besten Tänzer auf dem europäischen Festland zählen. Zum nächsten Mal unter Beweis stellen will er das am 24. Mai am sogenannten Prague Feis. Das gälische Wort Feis (ausgesprochen „Fesch“) ist die übliche Bezeichnung für einen Irish-Dance-Wettbewerb. Bei diesen internationalen Wettkämpfen messen sich die Teilnehmer in verschiedenen Tänzen. Die Königsklasse sind die Open Championships, drei Solotänze, die zusammen ein Resultat ergeben.

Für Laien ist ein solcher Wettbewerb ein Spektakel, das seinesgleichen sucht: Schon in den Straßen- und U-Bahnen kann man stark geschminkten Mädchen und Frauen in übergroßen Locken-Perücken begegnen. Eine Aufmachung, die in den vergangenen zehn bis 20 Jahren zum Standard wurde und auf den ersten Blick einem amerikanischen Schönheitswettbewerb gleicht, aber nicht unmittelbar mit Leistungssport in Verbindung gebracht wird. Leistungssport ist es jedoch allemal. Jan Klášterka hatte schon früher viel Sport getrieben, doch kaum etwas verlangt seinem Körper so viel ab wie der irische Tanz. In der Regel trainiert er sechs Stunden in der Woche, vor Wettbewerben etwas mehr. Wer nicht hundertprozentig fit ist, schafft es kaum, die erforderliche Kraft, Technik und Präzision aufzubringen und dabei auch noch den richtigen Ausdruck im Gesicht beizubehalten. Denn dieser kann für die Bewertung durch die Richter durchaus entscheidend sein.

Auch die gebürtige Pragerin Michaela Tvrdíková wird am Prague Feis in den Open Championships teilnehmen. Tvrdíková kam ebenfalls durch einen Zufall zum Irish Dance: Mit etwa 14 Jahren wollte sie Sport machen und schrieb sich kurzerhand in einen Irish-Dance-Kurs an ihrer Schule ein. „Wenn ich ehrlich bin, fand ich diese Art zu tanzen gar nicht wirklich schön“, gesteht sie lachend. Inzwischen geht sie darin regelrecht auf und trainiert mehrere Stunden die Woche. Ein Opfer, das sie für ihre Passion gerne bringt. „Das Gefühl durch die Luft zu fliegen ist unbeschreiblich und jede Anstrengung wert.“

Ausdruck durch Tanz

Anders als für Jan Klášterka sind Wettbewerbe für die 22-Jährige nicht so wichtig. Sie bieten lediglich Motivationsanreize, ihr Können weiter zu verbessern. Ein Können, das Tvrdíková lieber im Showtanzen präsentiert. Die strengen Regeln, die Verbissenheit und die eingeschränkten Möglichkeiten der Wettbewerbe machen ihr zu Schaffen. Für sie ist es wichtiger, den persönlichen Ausdruck durch den Tanz in den Vordergrund zu stellen. Deshalb war sie vor zwei Jahren bei der Gründung einer neuen, proggressiven und keineswegs traditionellen Tanzgruppe in Prag sofort mit dabei: „Dance in Pulse“ nennt sich das Projekt. Die Aufführungen, die unter dem Namen „Impulses“ laufen, orientieren sich nicht an den großen bekannten Shows, sondern wollen den irischen Tanz in einem modernen, freieren und expressiveren Licht zeigen. „Dabei kann ich den Spaß am Tanzen und an Auftritten vor Publikum miteinander verbinden“, begründet Tvrdíková ihr Engagement für das Projekt.

Wie lange sie noch mitmachen will, kann sie nicht genau sagen. Ihre Prioritäten setzt sie ganz klar auf eine Karriere, die nicht mit dem Tanzen zusammenhängt: Die junge Tänzerin studiert Veterinärmedizin an der Universität Brünn und ist momentan für ein Jahr als Erasmusstudentin in München. „Ich glaube nicht, dass ich noch genug Zeit fürs Tanzen haben werde, wenn ich erst einmal im Berufsleben angekommen bin“, überlegt die angehende Tiermedizinerin: „Ich tanze, solange es Sinn und Spaß macht.“

Wesentlich höhere Ambitionen hat Jan Klášterka. Wären da nicht die finanziellen Schwierigkeiten, würde er sich nur noch seiner Leidenschaft widmen, denn Irish Dance ist seine Welt, sein Leben. Sein nächstes Ziel ist es, bei den Weltmeisterschaften endlich einmal in die Endrunde zu gelangen. Es sage nur wenig aus, wenn man auf dem europäischen Festland alles gewinne: „Leute aus Irland, Großbritannien oder den USA tanzen natürlich in einer ganz anderen Liga.“ Es in die Schlussrunde zu schaffen, würde für den 33-Jährigen bedeuten, mit den Besten der Welt mithalten zu können. Und mit fortschreitendem Alter würde das immer schwieriger. Langfristig plant er, das Diplom für Tanzlehrer zu machen und mit seiner Frau Gina zusammen zu unterrichten. Dass er sie übers Tanzen kennenlernte, ist der beste Beweis dafür, dass die soziale Komponente für die Tänzer eine wichtige Rolle spielt. „Bei den Wettbewerben begegnet man Menschen aus aller Welt“, erzählt Klášterka mit leuchtenden Augen, „und obwohl es Konkurrenten sind, ist da diese automatische Verbundenheit, die die Liebe für den gemeinsamen Nischensport mit sich bringt. Wir sind alle gleich verrückt.“

Der Wettbewerb „Prague Feis 2014“ von der Prager „Delaney Academy“ findet am Samstag, 24. Mai ab 8 Uhr und am Sonntag, 25. Mai ab 8.30 Uhr im Tyršův dům (Újezd 450/40, Prag 1) statt. Ein Höhepunkt sind die „Open Championships“ der Erwachsenen am 24. Mai ab 17.30 Uhr. Weitere Informationen unter www.praguefeis.cz