Rappen gegen den Mob

Rappen gegen den Mob

Bei der zweiten „Anti-Roma-Demonstration“ im nordböhmischen Duchcov herrschte Pogromstimmung. Roma und Gegendemonstranten antworteten mit einem Straßenfest

26. 6. 2013 - Text: Nancy WaldmannText und Foto: Nancy Waldmann

Der Busfahrer wirft den Motor an. Im Schlepptau hat er eine Horde meist glatzköpfiger, ungeduldiger junger Männer. Sie sind aus Ostrava nach Duchcov (Dux) gereist zur „Anti-Roma-Demo“ der rechtsextremen Partei DSSS, die schon vor zwanzig Minuten hätte beginnen sollen. „Wir sind für euch hier. Wir machen Ordnung.“ Dies rufen ihm die Jungs von hinten zu.

„Ja, das ist gut. Ich wäre auch dort, wenn ich nicht arbeiten müsste“, sagt der Busfahrer leutselig und schaut die Jungs durch den Rückspiegel an. Er sagt das nicht, weil er Angst hat. Diese Typen, die in der Hosentasche die Fäuste ballen, könnten ihm unangenehm werden in seinem Bus, aber er sagt es ganz entspannt.

Der Bus spuckt die Verspäteten am Náměstí Legií aus, wo die Kundgebung stattfindet. 800 bis 1.000 Menschen haben sich versammelt, Duchcov hat 9.000 Einwohner. Zu diesem Zeitpunkt hat die Polizei bereits Baseballschläger, Messer und Macheten beschlagnahmt. Sie hat den Platz umstellt, die Journalisten tragen Helme. Auf dem Platz steht die DSSS-Klientel mit Parteifahnen, Nationalfahnen, schwarzer Kleidung und beliebten Neonazi-Marken wie Thor Steinar; auch bekannte Hooligans aus Teplice, Ústí, Liberec und vom Fußballklub Sparta Prag sind anwesend. Knapp die Hälfte aber sind Einheimische aus der Umgebung, Junge, Alte, normal gekleidet – Menschen wie der Busfahrer. Sie applaudieren dem DSSS-Parteichef Tomáš Vandas, der in seiner Rede gerade auf die „Nepřispúsobiví“, die „Unangepassten“ zu sprechen kommt. Gemeint sind Roma. Klatschen, Johlen.

Mitte Mai haben fünf Betrunkene in Duchcov nachts auf der Straße ein Ehepaar brutal angegriffen und verprügelt. „Roma überfielen Ehepaar“, schrieben die Medien. Seitdem ist die Stimmung in der Stadt ist geladen. Die Stadtverwaltung ordnete Kontrollen im Viertel der Roma durch Polizei, Sozial- und Hygieneamt an. Nun findet bereits die zweite „Anti-Roma-Demo“ innerhalb von vier Wochen statt. Die erste organisierte ein für rassistische Hetze im Internet bekannter Mann aus Duchcov. Nach der Kundgebung musste die Polizei das Viertel der Roma vor wütenden Demonstranten schützen. Nun setzt die DSSS eins drauf, ihre Strategie ist bekannt. Sie sucht sich die Pulverfässer des Landes aus, sprüht Funken und wartet, dass es knallt. Die Polizei hat sich mit Spezialeinheiten vorbereitet, ein Pogrom zu verhindern.

Ausharren in der Festung
Doch etwas ist anders. Nur zwei Straßen und zwei Polizeisperren von Vandas Hetzrede entfernt, rappen vier Roma-Jungs auf einer kleinen Bühne. „Cikáni“ nennen sie sich selbstbewusst. An einem Pavillon hängt ein Banner „Černí, bilí, spojmy síly!“ („Schwarze, Weiße, bündeln wir die Kräfte!“), der Slogan des Vereins „Konexe“, der das Straßenfest organisiert hat. Rund 200 Menschen sind gekommen, Roma aus Duchcov und Umgebung und einige Aktivisten mit Gitarren und Dreadlocks. Ein Pfarrer kam und sprach ein Gebet auf der Bühne, viele Roma sind gläubige Christen. Sogar aus Dresden ist eine Gruppe angereist, um sich zu solidarisieren. Einige sitzen vor der Bühne, andere stehen mit verschränkten Armen bei der Polizeisperre und schauen skeptisch, was sich dahinter tut. Zwei 18-jährige Jungs, die vor ihrem Hauseingang ausharren, springen auf und fragen vorbeikommende Reporter nach Fotos von der DSSS-Demo. „So viele!“, rufen sie, als sie die Bilder sehen. Den ganzen Tag schon harren sie in ihrem abgesperrten Viertel aus. Ohne Aufforderung kritisieren sie plötzlich die fünf Nachbarn, die das Paar verprügelt haben. „Eine reiche Familie, die sind gerade aus England zurückgekehrt“, erzählen sie. Deswegen hätten sie sich einen guten Anwalt leisten können. Sie hätten keinen guten Ruf im Viertel. „Trotzdem, das war keine rassistische Tat“, sagen die beiden. Eine ältere Frau mischt sich ein. „‚Zigeuner an die Arbeit‘ rufen die Nazis. Aber wer soll uns denn Arbeit geben?“, fragt sie. „Die Weißen haben hier doch selber keine Arbeit.“

Es gibt fröhlichere Straßenfeste, aber vielleicht nichts besseres gegen die Angst. Sie würden die Rechtsextremisten provozieren, musste sich Konexe im Vorfeld aus den Medien anhören. Auch viele Bewohner im Roma-Viertel hatten zunächst Angst, das Fest könnte Nazis erst recht anziehen. „Wir wollten eine Oase schaffen“, sagt Ivana Čonková, die Organisatorin von Konexe, die immer lächelt. „Eine Alternative für alle in Duchcov, die nicht zur Demo gehen wollen.“ Nicht-Roma aus Duchcov sind allerdings kaum gekommen. Auch die Bürgermeisterin hat die Einladung von Konexe ignoriert. Als „Linksextremisten“ diskreditierte sie die Organisatoren in den Medien. Die gleiche Bürgermeisterin, die noch vor den Wahlen den Roma-Jungs Zigaretten schenkte.

Straßenschlacht mit Polizei
Der Demonstrationszug der Rechtsextremisten und der Duchcover beginnt mit „Tschechien den Tschechen“-Parolen. Es klingt wie eine Kriegserklärung und schnell gerät der Zug zum Mob. Nach 200 Metern verlassen die Demonstranten die angemeldete Route und biegen in verschärftem Tempo nach links Richtung Roma-Viertel ab, direkt auf eine Polizeisperre zu. Plötzlich knallt und raucht es. Mit Schreckschusswaffen, Tränengas und Wasserwerfern drängt die Polizei die Demonstranten zurück. Glasflaschen, Müll und Steine fliegen, Bäume werden zerpflückt, Äste geschleudert. Eine Duchcoverin sitzt mit Platzwunde am Straßenrand.

„Zigeuner!“, schreien daneben Menschen mit sich überschlagenden Stimmen den heranrückenden Polizisten zu. Die DSSS hat ihr Ziel erreicht, die Einheimischen fühlen sich als Opfer der Polizei. Ein Journalist muss mit einer Verletzung ins Krankenhaus. Die Polizei nimmt rund 20 Unruhestifter fest. Die Demonstration wird aufgelöst, wütende Grüppchen verteilen sich im Stadtzentrum. Eine Gruppe zieht zurück zum Náměstí Legií vor die Polizei­sperre um das Roma-Viertel und skandiert noch eine Weile vergeblich „Lasst uns zu ihnen!“
Aber die Duchcover Roma hören das nicht. Auf der Bühne beim Straßenfest rappen noch die vier Jungen. Mit Megafon.