Popstar Mucha

Popstar Mucha

Mit der Ausstellung von Ivan Lendls Plakat-Sammlung hat Prag nun die vierte Mucha-Ausstellung. Und die bricht alle Rekorde

29. 5. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann und Peggy Lohse; Foto: APZ

Vor Mucha gibt es kein Entkommen. Kaum ein Laternenmast, an dem nicht seine langhaarigen Frauen in Blumenornamenten schweben, kein Buchladen, der nicht ein gesondertes Mucha-Regal mit Postkarten, Schlüssel­anhängern und Kartenspielen führt. Seit Mitte April stellt das Prager Gemeindehaus (Obecní dům) Plakate des Art-Nouveau-Künstlers aus der Sammlung des in den USA lebenden Tennisstars Ivan Lendl aus, begleitet von einer beispiellosen PR-Kampagne. Als „Rückkehr nach Prag“ wird die Ausstellung der Lithografien beworben. Es ist wohl eher Lendl, der frühere Weltranglistenerste – wie Mucha ein erfolgreicher tschechischer Exilant – der sich nach einer Rückkehr in sein Heimatland sehnte. Denn Mucha musste nicht zurückkehren. Er war längst da. Zählt man Lendls Sammlung im Gemeindehaus hinzu, gibt es derzeit nicht weniger als vier unabhängig voneinander existierende Ausstellungsorte, die seine Werke zeigen. Das Mucha-Museum in der Panská-Straße hält neben Plakaten auch Skizzen, frühe Zeichnungen, Buchillustrationen und Fotografien aus dem Familiennachlass bereit, im Messepalast zeigt die Stadtgalerie das Slawische Epos, Muchas wichtigstes malerisches Werk, ein kleines Privatmuseum am Altstädter Ring kombiniert Mucha touristisch zielsicher mit Dalí.

Marke Lendl und Marke Mucha
Offenbar können die Menschen nicht genug bekommen von Mucha. 75.000 Besucher kamen bislang zur Lendl-Ausstellung ins Gemeindehaus und das, obwohl nur 1.500 Besucher pro Tag in die Jugendstil-Säle dürfen. So viele Menschen haben noch nie in Tschechien eine Ausstellung besucht, teilt die Pressesprecherin Eva Hromádková mit. Den alten Besucherrekord hielt mit 73.390 Gästen die Ausstellung des böhmischen Malers Jakub Schikaneder letztes Jahr im Waldstein-Palast.

Der Erfolg liegt zum Teil an der geschickten Werbekampagne, die „zwei Marken verbindet, die Marke Lendl und die Marke Mucha“, wie es der Prager Kunsthistoriker Oldřich Bystřický beschreibt. Bystřický ist Anfang 30 und arbeitet im Messepalast im Bereich künstlerische Bildung. Zum ersten Mal ist nun Muchas Schaffen im Plakatdesign, dem Gebiet, auf dem der Künstler als ein Pionier gilt, nahezu komplett versammelt: 116 hochwertige, gut erhaltene und zum Teil sehr große Lithografien. 119 solcher Plakate gestaltete Mucha insgesamt, fast ausschließlich in seiner Pariser Zeit. Nur drei Plakate fehlen in der Ausstellung. Diese Fast-Vollständigkeit ist Lendls Verdienst, der schon in den achtziger Jahren zu sammeln begann, als Mucha noch nicht so populär war. Das Gemeindehaus im Prager Zentrum, in dem der Künstler selbst einen Saal gestaltete, sei der ideale Ort für die Ausstellung, findet Bystřický. Es ziehe das Publikum an und repräsentiert architektonisch den „Art Nouveau“-Stil, dem Muchas Design in der Regel zugeordnet wird.

Als Maler Anachronist
Verteilt auf nur zwei große Säle hängen die Drucke etwas gedrängt. Bei dem hohen Besucheraufkommen muss man bisweilen anstehen, bis man eine günstige Betrachterposition für ein Plakat ergattert. Mucha entwarf im Auftrag von Firmen Plakate für Konsumgüter aller Art: für Zigaretten und Fahrräder, für Kekse und Kakao, für Touristenreisen und Theatervorstellungen. Fast immer ist darauf eine schöne Frau zu sehen. Und Frauen, die Produkte schön und sexy anpreisen – das ist noch heute eine gängige und erfolgreiche, wenn auch nicht mehr unumstrittene Methode im Marketing. Mucha bewarb nicht nur ein Produkt, er kreierte eine Welt, einen Lebensstil. „Er verbindet die figürliche, realistische Darstellung mit Blumen und Ornamenten in milden Farben – den Grundsätzen berauschender Schönheit“, sagt Bystřický. Muchas Kunst sei immer eine Art von Pop gewesen, originell und leicht verständlich. Schon damals verschaffte er sich damit internationale Anerkennung. In der Kunstszene allerdings betrachtete man Mucha skeptisch. „Denn als Designer war er erfinderisch, als Maler ein Anachronist“, sagt Bystřický.

Muchas malerisches Hauptwerk, das Slawische Epos, dem er sich als 50-Jähriger nach seiner Rückkehr aus dem Ausland im Jahre 1910 widmete, hängt als Kontrapunkt im Messepalast der Nationalgalerie. Es hat nichts mehr von dem spielerischen Schnörkel-Dekor seiner Plakate. Auf zwanzig großformatigen Gemälden stellt es Ereignisse aus der Geschichte der slawischen Völker, insbesondere des tschechischen Volkes, dar, in einem realistisch-monumentalen Stil, der eher dem 19. Jahrhundert entsprach als den zwanziger Jahren. Auf den panslawischen Patriotismus war Mucha gekommen, als er 1900 den Pavillon zur Pariser Weltausstellung für Bosnien-Herzegowina gestaltete. Die Rückkehr in die böhmische Heimat verband er mit dem Projekt, ein mythisches Epos zu schaffen, an dem er fast 18 Jahre arbeitete. 1928 wurden die Gemälde erstmals gezeigt.

Schon damals empfanden viele die Bilder als unzeitgemäß. „Das war einfach zu pathetisch. Und Pathos ist eigentlich etwas Un­tschechisches“, sagt Bystřický. Wie ernst es Mucha mit diesem Werk war, zeigt die Tatsache, dass er den mythischen Bilderzyklus der Stadt Prag übergab, unter der Bedingung, dass dafür ein eigener Ausstellungspavillon gebaut werde – dieser kam Prag allerdings nie nach. Auch deswegen war ein großer Streit vorausgegangen, als sich die Stadt 2012 das Slawische Epos aus dem Schloss in Moravský Krumlov zurückholte. Dort war es seit 1963 ausgestellt worden und hatte viele Touristen in die südmährische Kleinstadt gelockt. Auch die Ausstellung im Messepalast sei ein Besucherhit. Wie lange das Epos in der Hauptstadt bleibt, ist allerdings nicht entschieden. Moravský Krumlov will es zurückholen und hat dafür bereits begonnen, sein Schloss zu renovieren.

Eigentlich genug Mucha
Begann die schleichende „Muchaisierung“ Prags eigentlich schon vor der Lendl-Ausstellung? „Ich glaube, das ist Zufall“, sagt Kunsthistoriker Bystřický. Kateřina Česalová, Marketing-Managerin des Mucha-Museums, hat sich diese Frage noch nicht gestellt. Konkurrenz für ihr Museum sieht sie nicht, die Lendl-Ausstellung und das Epos seien ohnehin nur zeitweise zu sehen. Und in ihrem Museum ginge es mehr um den Menschen Alfons Mucha. „Ja, eigentlich gibt es genug Mucha in Prag“, sagt sie dann nachdenklich. Das Slawische Epos könne zurück nach Krumlov wandern, so hätte man auch einen Grund nach Mähren zu fahren.

Die Lendl-Ausstellung im Gemeindehaus ist noch bis Ende Juli zu sehen. Von den Straßenlaternen und Billboards wird Mucha danach allmählich wieder weichen. Bis dahin dürfte nicht nur der hunderttausendste Besucher im Gemeindehaus begrüßt werden. Auch das Merchandising-Geschäft mit Plakatnachdrucken, Mucha-Halstüchern und Mucha-Schals dürfte eines der rentabelsten der tschechischen Geschichte werden.