Pharaonen zwischen Oper und Rock

Pharaonen zwischen Oper und Rock

Die ersten Musicals begeisterten die Prager Zuschauer Anfang der neunziger Jahre. Zu den aktuellen Höhepunkten zählt „Aida“ mit Musik von Elton John

27. 11. 2014 - Text: Gunnar HabitzText: Gunnar Habitz; Foto: David Kraus/Hudební divadlo Karlín

Vor 20 Jahren begann sich Prag zu einer europäischen Musicalmetropole zu entwickeln. War die Sommeraufführung von „Les Misérables“ in den Theaterferien von 1992 noch ein zögerliches Startsignal, so eroberte die Inszenierung von „Jesus Christ Superstar“ im Theater Spirála zwei Jahre später die Herzen der Zuschauer, die das Genre Musical zuvor kaum kannten. Es folgten gelungene und unbedeutende Werke einheimischer Schöpfer, von denen sich Karel Svobodas „Dracula“ auch außerhalb Tschechiens etablieren konnte. Im Februar 2015 wird das erfolgreichste Musical des Landes für 28 Aufführungen ins Musiktheater Karlín zurückkehren. Schon jetzt ist dort das „Aida Musical“ mit Musik von Elton John zu Motiven aus Verdis gleichnamiger Oper sehenswert.

Nach einem langjährigen Umbau etablierte sich das klassische Theater in Karlín unter seinem Intendanten Egon Kulhánek zum führenden Haus hochwertiger Musical-Produktionen. Neben Klassikern des Weltrepertoires wie „My Fair Lady“ und Svobodas „Noc na Karlštejně“ („Nacht auf Karlstein“) begeisterte vor einigen Jahren die Welturaufführung des „Carmen Musical“, das der amerikanische Komponist Frank Wildhorn eigens für Prag geschrieben hatte. Vor zwei Jahren folgte das „Aida Musical“, das seitdem im Wechsel mit anderen Produktionen läuft.

„Aida“ beginnt in einem ägyptischen Museum, in dem die Statue der Pharaonentochter Amneris zum Leben erwacht. Sie erzählt die Geschichte von der Liebe zwischen dem Heeresführer Radames und der Nubierprinzessin Aida: Auf einem Eroberungszug nimmt Radames eine Gruppe Nubier gefangen. Ohne Aidas Identität zu kennen übergibt er die Prinzessin seiner Verlobten Amneris als Geschenk. Radames erfährt von seinem Vater Zoser, dass der Pharao im Sterben liegt und er als auserwählter Nachfolger auf den Thron folgen soll. Seine künftige Gattin Amneris kümmert sich in ihrer Oberflächlichkeit eher um ihre optische Erscheinung, während sich Radames von Aida angezogen fühlt. Die Ereignisse überschlagen sich, als Aida und ihr ebenfalls gefangener Vater auf der Flucht erwischt werden, während Radames und Amneris heiraten. Amneris erkennt spät die wahre Liebe zwischen Radames und Aida und den damit einhergehenden Verrat. Sie verurteilt beide zum Tod im gemeinsamen Grab. Am Ende schließt sich der Bogen im Museum, als zwei Junge Menschen sozusagen als Nachkommen von Aida und Radames vor deren Grabmal zu sich finden.

Der Broadway-erfahrene Regisseur Gabriel Barre inszenierte in Prag eine kurzweilige Darstellung mit realistischen Kampfszenen und feiner Personenführung, die auch Mimik und Gestik der Nebenfiguren mit einbezieht. Michaela Horáčková Hořejší ergänzte ihr optisch gelungenes Bühnenbild mit pyramidenartigen Bauten und dreieckigen Räumen um passende Projektionen von Obelisken und Nil-Szenen. Sie gestaltete auch die farbenfrohen Kostüme, die besonders im Song „Módní mág“ („Modischer Magier“) zur Geltung kommen, als sich Amneris wie eine Popikone zwischen ihren Palastdamen aufführt.

Genau diese Amneris anstelle der Titelfigur ist in Person von Lucie Bílá, der großen Dame des Prager Musiktheaters, der eigentliche Star der Aufführung. Nach ihren langjährigen Auftritten in „Dracula“, „Johanka z Arku“ und „Carmen“ spielt sie erneut eine Paraderolle, die sie mit ihrem berührenden Sopran zwischen Oper und Rock umsetzt. Sie verleiht ihrer Figur mehr Eigensinn und Tiefe als eigentlich vorgesehen. Dabei trifft sie mit Kamila Nývltová und Dasha alternierend auf zwei hervorragende Darstellerinnen für die Rolle der Aida, die in Prag allerdings weniger bissig auftreten als sonst üblich. Völlig unterschiedlich hingegen die beiden Interpreten des Radames: während sich Marián Vojtko mit seinem kräftigen Bariton als stimmlich bessere Variante herausstellt, spielt Václav Noid Bárta einen brutaleren Heeresführer mit der musikalischen Ausstrahlung eines Rocksängers. Die Vaterfigur Zoser bekleidet mit Jiří Korn ein großer Altgedienter der tschechischen Musikszene, der in der rassigen Choreographie von Ivana Hannichová seine Künste im Stepptanz unter Beweis stellt. Unterhaltsam sind vor allem die Chorszenen der Nubier und die Duette wie der berühmte Song „Elaborate Lives“ von Aida und Radames.

In Karlín bringt ein Live-Orchester die eingängige Musik von Elton John zum Klingen, in Prag leider nicht unbedingt üblich. Dank Gabriel Barres Handschrift, der großartigen Darstellung von Lucie Bílá und einer tollen Ensembleleistung lohnt sich der Besuch der Prager „Aida“. Es ist eines der derzeit am besten umgesetzten Musicals in der tschechischen Hauptstadt.

Musicals der Wintersaison

Phantom der Oper
Das lang erwartete Werk von Andrew Lloyd Webber zog in diesem Herbst erstmals nach Prag in die pyramidenförmige Goja Music Hall am Ausstellungsgelände. Das Bühnenbild von Daniel Dvořák vermittelt trotz moderner Umgebung tatsächlich den Eindruck der Pariser Oper. Dank kräftig gerührter Werbetrommeln sind die Vorstellungen auf Monate ausverkauft, erst ab Februar sind wieder Plätze frei. Im großen Staraufgebot findet Marián Vojtko als Phantom hörbar seine Bestimmung, erwähnenswert außerdem der Koloratursopran von Michaela Gemrotová als Christine.

www.fantomopery.cz

Die Schneekönigin
Das Divadlo Hybernia am Platz der Republik spielt blockweise verschiedene Produktionen wie etwa „Antoinette – Königin Frankreichs“ von Jiří Skorpík und ab März „Přízrak Londýna“ („Das Gespenst von London“) von Radim Smetana über die Geschichte von Jack the Ripper. Seit November läuft hier das Familienmusical „Sněhová královna“ („Die Schneekönigin“) als freie Adaption des berühmten Märchens von Hans Christian Andersen mit neuer Musik von Zdeněk Barták. Anders als im Original sind Gerda und Kay hier keine Kinder, sondern junge Erwachsene kurz vor ihrer Hochzeit.

www.hybernia.eu

Kleopatra
Im einstigen Kino Sevastopol in der Broadway Passage laufen Eigenproduktionen wie „Tři mušketýři“ („Drei Musketiere“) oder „Mata Hari“. Eine Empfehlung ist das „Kleopatra Musical“ über den Einfluss der machtsüchtigen Kleopatra auf Julius Cäsar bis zu ihrem Tode durch den Biss einer Cobra. Filmregisseur Filip Renč sorgt für kurzweilige Unterhaltung in einer stimmigen Inszenierung zu eingängigen Melodien von Michal David. Und auch hier sind Topsolisten vertreten, unter anderem Daniel Hůlka als Cäsar und Kamila Nývltová als Kleopatra.

www.divadlo-broadway.cz

Alle Musicals werden in Prag in der Regel in tschechischer Sprache aufgeführt. Im Musiktheater Karlín, im Divadlo Broadway und im Theater Hybernia laufen die Vorstellungen mit englischen Übertiteln.