Öffentlich, rechtlich, zensiert?

Öffentlich, rechtlich, zensiert?

Journalisten des Tschechischen Fernsehens beklagen Einschränkung der Pressefreiheit. Manches erinnert an die Fernsehkrise vor 13 Jahren

13. 11. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Česká televize

Es ist ein besorgniserregender Vorwurf, den die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Nachrichtensenders ČT 24 gegen die Leitung des Tschechischen Fernsehens (ČT) erhoben haben. 23 Angestellte beklagen in einem Brief an den Fernsehrat von Ende Oktober Einflussnahme auf die Berichterstattung zu Gunsten von Präsident Miloš Zeman. „Dass ich diese Anschuldigungen ablehne, ist klar“, reagierte der Leiter der Nachrichtenredaktion Zdeněk Šámal auf der Fernsehratssitzung am Mittwoch vergangener Woche. Zuvor hatte sich eine andere Gruppe von ČT-Journalisten, diesmal schon 61, in einem internen Brief hinter ihren Chef gestellt.

„Hier überwiegen Gefühle, Emotionen und persönliche Meinungen“, sagte Generaldirektor Petr Dvořák und forderte eine sachliche Diskussion. Die Grundlage dafür soll eine Prüfung durch eine unabhängige Expertengruppe bilden, die sich aus „Journalisten, Akademikern und Spezialisten“ zusammensetzt, die unanfechtbare moralische Autoritäten auf ihrem Gebiet seien. Die Auswahl behält Dvořák sich selbst vor. In einer mit Šámal gemeinsam verfassten Erklärung tat der Generaldirektor die Vorwürfe der Einflussnahme zuvor als „aus dem Kontext gerissen“ ab und bagatellisierte das Schreiben als „anonyme Beschwerde einiger Angestellter von ČT 24“.

In der Tat wollte ein Großteil derer, die auf den vermeintlichen Eingriff in die Pressefreiheit aufmerksam gemacht haben, nicht namentlich genannt werden. Aus Angst um ihre Jobs. Ihre Namen wollten lediglich zwei bekannte Gesichter des Nachrichtensenders mit den Anschuldigungen in Verbindung gebracht wissen: Adam Komers, Leiter der regionalen Nachrichtenredaktionen, der in Folge der Dispute am vergangenen Donnerstag von seinem Posten als stellvertretender Chefredakteur zurückgetreten ist, und Moderatorin Daniela Drtinová. Die gilt als eine der besten Journalistinnen des Landes und sorgte in jüngster Vergangenheit vor allem mit ihrem Interview mit Michal Hašek für Aufsehen.

Der führte als ČSSD-Vize-vorsitzender jene Gruppe an, die den Parteivorsitzenden Bohuslav Sobotka nach einer geheimen Sitzung mit dem Präsidenten zum Rücktritt aufgerufen hatte. Drtinová, bekannt für ihren unerbittlichen Fragestil, ließ Hašek immer wieder die selbe Lüge wiederholen, für die er sich später entschuldigen musste und die ihn letztendlich seinen Posten in der Parteiführung kostete. Hašek hatte im Interview, entgegen der Aussage anderer Teilnehmer, ganze elf Mal behauptet, die Sitzung mit Zeman habe nie stattgefunden.

Präsidiales Wanken zensiert
In ihrem Schreiben listen die Journalisten eine ganze Reihe von Eingriffen in ihre Berichterstattung auf. Unter anderem sollen unvorteilhafte Aufnahmen des Präsidenten bei der Präsentation der böhmischen Krönungsinsignien, die der Öffentlichkeit zum Amtsantritt von Zeman für einige Tage zugänglich gemacht wurden, nachträglich aus den Reportagen und Beiträgen gestrichen worden sein. Zeman war zum Festakt von einem Empfang in der russischen Botschaft gekommen – in sichtlich angeschlagenem Zustand. Er wankte und wirkte abwesend. Sofort entbrannte die Diskussion darüber, ob Zemans bekannte Vorliebe für Hochprozentiges hinter seinem wackligen Stand an jenem Tag steckte. Offiziell hieß es von der Burg, Zeman leide unter einer Grippe.

Drtinová und ihre Verbündeten führen weitere Beispiele auf. Unter anderem soll vor der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen Karel Schwarzenberg benachteiligt und Kandidaten der Zeman-Partei SPOZ vor den Parlamentswahlen mehr Platz eingeräumt worden sein, als ihnen laut Programmstatuten des öffentlich-rechtlichen Senders zusteht. Die 23 Journalisten äußern in ihrem Schreiben die Befürchtung, dass das Tschechische Fernsehen wegen dieser Vorfälle einer seiner Hauptaufgaben nicht nachkomme, dem „Gewährleisten objektiver, gewissenhaft recherchierter und vielseitiger Informationen als Grundlage für freie Meinungsbildung“.

„Im Tschechischen Fernsehen herrscht wohl eine Atmosphäre der Furcht vor offenem Handeln vor“, erklärte der Vorsitzende des Fernsehrates Martin Uhde gegenüber dem Internetportal „Médiář“. Er reagierte damit auf Dvořáks Kritik an der Anonymität des Beschwerdeschreibens. Die Furcht vor Entlassungen kommt dabei nicht von ungefähr.

Das doppelte Fernsehen
Daniela Drtinová selbst wurde vor kurzem von ihrem Posten als Moderatorin der Nachrichtensendung „Události, komentáře“ abberufen – auf Bestellung aus der Politik, wie Vertreter der Fernsehgewerkschaften später kommentierten.

Das interne Schreiben zur Unterstützung von Nachrichtenchef Šámal war kurz vor der Sitzung des Fernsehrates an die Öffentlichkeit geraten. Laut der Sprecherin des Senders Alžběta Plívová habe sie die teils prominenten Namen der Unterzeichner „aus Versehen“ an Medienvertreter geschickt.

Die Situation im öffentlich-rechtlichen Sender erinnert ein wenig an jene zur Jahreswende 2000/2001. Damals war ein Großteil der Redakteure aus Protest gegen die politische Einflussnahme durch die Parteien des sogenannten Oppositionsvertrags in Streik getreten – der Vertrag zwischen Miloš Zemans ČSSD und der ODS unter Václav Klaus hebelte für eine Legislaturperiode das parlamentarische Gleichgewicht zwischen Opposition und Regierung auf.

Über Tage konnten die Zuschauer zwei Versionen von ČT mit ihren Fernsehgeräten empfangen. Neben den streikenden Journalisten ließ die Leitung eine führungstreue, improvisierte Nachrichtensendung ausstrahlen, die schnell den Spitznamen „Bobovision“ bekam – nach der Moderatorin und späteren Präsidentschaftskandidatin für die KSČM und 2013 für ihre eigene konservative Partei Suverenita Jana Bobošíková.

Die sogenannte Fernsehkrise löste eine Solidaritätswelle aus, tausende von Demonstranten gingen damals für Pressefreiheit auf die Straßen und drängten das Parlament letztendlich dazu, die damalige Fernsehleitung abzuberufen und „Bobo­vision“ abzuschalten.