„Medizintourismus wird zu einer normalen Sache“

„Medizintourismus wird zu einer normalen Sache“

Für Ondřej Šebestík vom Portal HealthCzech.com ist das Potential der Branche noch lange nicht ausgeschöpft

2. 4. 2014 - Interview: Ivan Dramlitsch

Eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Gesundheits-Dienstleistungen spielen spezialisierte Internetportale, die über Angebote informieren und Kontakte zu konkreten Einrichtungen herstellen. Einer der größten Anbieter dieser Art ist HealthCzech.com, deren Projekt-Manager Ondřej Šebestík im PZ-Interview Auskunft über Status und Zukunftsperspektiven der Branche in Tschechien gibt.

Wie erklären Sie sich das gestiegene Interesse am Medizintourismus nach Tschechien?

Ondřej Šebestík: Das liegt vor allem daran, dass man in Tschechien sehr gut medizinisch versorgt wird, und das zu einem höchst konkurrenzfähigen Preis. Vergleicht man die Preise von konkreten Maßnahmen oder Eingriffen in Tschechien und im Ausland, beispielsweise in England, so zahlt man in Tschechien in einigen Fällen 50 bis 70 Prozent weniger. Darüber hinaus fand wohl auch ein Einstellungswandel statt: Die Menschen haben keine Angst mehr, für einen ärztlichen Eingriff ins Ausland zu reisen, es wird für die Westeuropäer zu einer normalen Sache. Und je mehr Ausländer kommen, desto mehr Einrichtungen und Kliniken wird es in Tschechien geben, die darauf eingestellt sind.

Verfügen Sie in diesem Zusammenhang über belastbares Zahlenmaterial?

Šebestík: Leider nein. Es gibt zwar Zahlen, die das Tschechische Amt für Gesundheits­statistik (ÚZIS) veröffentlicht, aber die sind nicht vollständig. Qualifizierte Schätzungen gehen von mehreren Zehntausend Patienten jährlich aus.

Woher kommen die meisten Kunden und was sind die gefragtesten medizinischen Dienstleistungen?

Šebestík: Die meisten Pa­tienten kommen aus Großbritannien, Deutschland, aus den skandinavischen Ländern, aber auch aus Italien oder Russland. Die größte Gruppe stellen aber sicherlich die beiden erstgenannten Länder dar. Drei Gruppen von Behandlungen stehen dabei besonders im Fokus: zum einen plastische Chirurgie, Eingriffe im Zusammenhang mit Adipositas wie beispielsweise Magenverkleinerungen und schließlich der Bereich künstliche Befruchtung und hier vor allem die In-Vitro-Fertilisation. Nachgefragt werden aber auch Zahnbehandlungen, Augen­operationen oder orthopädische Eingriffe.

Wie verläuft die Akquise der Patienten?

Šebestík: Da gibt es ganz verschiedene Kanäle. Es gibt einerseits mehrere Internetportale, die über Behandlungsmöglichkeiten in der Tschechischen Republik informieren und auch als Vermittler agieren, HealthCzech.com ist eines davon. Einige Kliniken setzen auf Dienste spezialisierter Agenturen, das ist aber eher ein rückläufiger Trend. Viele Einrichtungen bemühen sich außerdem um eigene und selbstständige Marketing-Aktivitäten.

Welche Position nimmt Tschechien im internationalen Gesundheitstourismus ein? Mit welchen Ländern konkurriert man?

Šebestík: Tschechiens Position ist insgesamt gut. Stärkste Konkurrenten sind wohl Polen und Ungarn sowie Belgien und die Türkei. Vor allem in Polen und Ungarn wird der Gesundheitstourismus, also medizinische Angebote für Ausländer, massiv unterstützt. Eine letzte große Untersuchung hierzu hat ergeben, dass Tschechien im Bereich Schönheitschirurgie vor allem mit Belgien konkurriert und die Ungarn wiederum im Bereich Zahnmedizin besonders gut aufgestellt sind.

Wie schätzen Sie das weitere Potential der Branche in Tschechien ein?

Šebestík: Das Potential ist nach wie vor groß. Das gilt sowohl für die bereits genannten relativ etablierten Bereiche als auch für solche mit guten Zukunftsper­spektiven. Das gilt unter anderem für Krebsbehandlungen. Das Prager „Proton Therapy Center“ beispielsweise ist unseres Erachtens eine der weltbesten Einrichtungen dieser Art.