Lagerhalle mit Charme

Lagerhalle mit Charme

Die sechste Prague Biennale eröffnet im Güterbahnhof Žižkov

5. 6. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Ditá Lamačová, Prague Biennale Foundation

 

Als er 1936 seinen Betrieb aufnahm, galt der Güterbahnhof im Prager Stadtteil Žižkov als kleines Wunderwerk der Technik. Er stellte nicht nur die modernste Gebäudeanlage auf tschechoslowakischem Boden dar, sondern auch einen der größten Bahnhöfe seiner Art in Europa. Nachdem das Areal als Lager- und Ladestätte über eine Dekade nicht genutzt wurde, wird es in den nächsten Monaten wieder zum Umschlagplatz: Die Fracht, um die es sich dreht, sind jedoch keine Lebensmittel, sondern Kunstwerke.

Anlässlich der sechsten „Prague Biennale“ beziehen zeitgenössische Malereien und Fotografien die Hallen des Güterbahnhofs. „Es war der beste Ort, den wir haben finden können, um Gegenwartskunst mit unkonventionellen Räumlichkeiten zusammenzubringen“, begründen die Veranstalter des dreimonatigen Kunst-Events Giancarlo Politi und Helena Kontová ihre Wahl. Damit haben sich die beiden Kunstkritiker einen Ort ausgesucht, dessen Status bis vor kurzem noch heftig umstritten war.

In den dreißiger Jahren als moderne Stahlbetonkonstruktion erbaut, diente der Güterbahnhof Žižkov über sechs Jahrzehnte dem schnellen Umladen von Lebensmitteln. Auf der Fläche von etwa 50 Fußballfeldern befinden sich noch immer die beiden riesigen Lagerhallen. Zwischen ihnen verlaufen Gleise, Stahlbrücken verbinden die Gebäudeflügel. Von den einfahrenden Waggons wurden die Güter mit Liften auf die Brücken geladen, um dann entweder weiter verfrachtet oder in den Hallen zwischengelagert zu werden. Letztmals geschah dies 2002, dann stellte man den Betrieb ein.

Weg mit Hindernissen
Die Tschechische Bahn bemühte sich um einen Investor, mit dessen Finanzierung das Areal umgestaltet werden sollte. Als 2011 sogar von einem Abriss des historischen Bahnhofs die Rede war, formierten sich Bürgerinitiativen, Historiker und Architekten, um für den Erhalt des einzigartigen Geländes einzutreten. Mit Erfolg: Im Frühjahr dieses Jahres wurde der Güterbahnhof zum Kulturdenkmal erklärt.

Der Weg zu dieser Ernennung war steinig. Bereits 2003 setzte sich das Denkmalschutzamt für einen solchen Status ein, blieb vom Kulturministerium jedoch unbeachtet. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre wurde das Gelände dann gleich dreifach zum Kulturdenkmal erhoben. Die Besitzer – die Tschechische Bahn und der Developer Sekyra Group – legten stets Widerspruch ein, bedeutete der Beschluss doch ein Verbot, in die Bausubstanz der Gebäude einzugreifen.

Ihre Pläne sahen anderes vor: Ein moderner Stadtteil mit Büro- und Wohngebäuden sollte auf dem Areal entstehen. Ein Ausbau der Straße Olšanká zum Boulevard sollte auch das umgebende Viertel prägen. Als Kulturministerin Alena Hanáková (TOP 09) dann im März verkündete, dass der Güterbahnhof endgültigen Denkmalschutz genießt, wurde das kommerzielle Projekt hinfällig. Für den Investor ergab sich eine völlig neue Situation: Um den gesamten Komplex langfristig erhalten zu können, bedarf es nun der Einbeziehung des öffentlichen Sektors.

Derzeit diskutieren Bürgerinitiativen, Investoren und die Stadt erneut über die Nutzungsmöglichkeiten des Areals. An der Debatte beteiligt sich seit zwei Jahren auch der Bürgerverein „Tady není developerovo“ („Hier ist kein Entwicklerland“), der sich für den Erhalt von Natur und Kulturerbe im dritten Stadtbezirk einsetzt, sowie der Verein „Za starou Prahu“ („Für das alte Prag“). Gemeinsam mit dem Kulturministerium und dem Rathaus des Stadtteils plädieren sie für die Einrichtung eines Kultur- und Bildungszentrums. Dafür sprächen nicht zuletzt die Räumlichkeiten. „Die Lagerhallen sind für Galerien oder ähnliche Zwecke bestens geeignet“, bekräftigt Matěj Stropnický vom dritten Stadtbezirk. Mit Lastenaufzügen und weitläufigen Hallen böten sie eine ideale Ausstattung für die Bedürfnisse eines Museums oder Archivs.

Neue Kunst im alten Depot
So wurde der Güterbahnhof als potentieller Ausstellungsort bereits an das Nationale Filmarchiv, die Stadtbibliothek oder die Galerie der Hauptstadt Prag herangetragen. In etwas schlechterem Zustand befände sich das Verwaltungsgebäude, das jedoch den geringeren Teil der Anlage ausmachte. Bis Mitte Juni sollen die neuen Entwürfe zur Erhaltung des gesamten Areals vorliegen.

Wie sich eine Liaison mit der Kunst gestalten kann, zeigt sich in den folgenden Monaten. Im technisch-industriellen Ambiente des Güterbahnhofs präsentiert die „Prague Biennale“ von 6. Juni bis 15. September aktuelle Tendenzen der internationalen Kunstszene. Entgegen anderen, ungleich bekannteren Biennalen liegt der Fokus in Prag auf der zeitgenössischen Bildkunst. Drei Bereiche sollen den Besucher an die Malerei der Gegenwart heranführen. Stehen bei „Expanded Painting“ die Gemälde internationaler Künstler wie Ali Banisadr, Bruno Munari oder Lee Seung Taek im Mittelpunkt, dreht sich der Abschnitt „Flow“ vor allem um tschechische Künstler. „Beyond Art“ schließlich widmet sich der slowakischen Malerei.

Spielerische Analyse
Figurative Tendenzen in der Fotografie präsentiert „Photography, Reconstructed“. Hier findet der Betrachter überwiegend Arbeiten, die sich nicht nur mit der schnappschussartigen Abbildung von Wirklichkeit auseinandersetzen, sondern die Konstruktion und Dekonstruktion des fotografischen Bildes widerspiegeln. Eine Hommage an den tschechischen Fotografen Miroslav Tichý schließlich zeigt Porträt-Aufnahmen. Anders als bei den vorhergehenden Biennalen in Prag, umfassen die ausgestellten Werke nicht nur Arbeiten junger, aufstrebender Künstler, sondern auch jene älterer Generationen.

Wurde die Messe durch ihr schmales Budget und organisatorische Pannen in den Anfangsjahren im internationalen Kunstrummel auch als „Low-Cost-Biennale“ bekannt, so hat sie sich doch viel vorgenommen. „Das Ziel ist eine spielerische Analyse der Kunst unserer Zeit“, so Kontová. Der Güterbahnhof als Austragungsort bietet hierfür nicht nur ein reizvolles und kontrastreiches Umfeld. „Er unterstreicht vor allem den nomadischen Charakter unserer Biennale, die sich ja sowohl was ihr Sujet als auch was ihren Standort betrifft, ständig in Bewegung befindet.“

Weitere Informationen zur Prague Biennale unter www.praguebiennale.net