Kleine Erfolgserlebnisse jenseits der Grenze

Kleine Erfolgserlebnisse jenseits der Grenze

Ohne Lehrbuch, aber mit viel Idealismus unterrichtet Jaroslava Seidlmayer an Realschulen in der Oberpfalz Tschechisch. Zum Sprachkurs gehören auch Ausflüge ins nahe Nachbarland

7. 5. 2014 - Text: Corinna AntonInterview: Corinna Anton; Foto: privat

Rund 450 Realschüler aus der Oberpfalz haben im April Pilsen besucht. Das Pilsner Theater gab ihnen eine Sondervorstellung, außerdem standen eine Stadtführung, das Marionetten-Museum und das Einkaufszentrum Olympia auf dem Programm – sowie ein Sprachquiz und ein neuer Wortschatz. Denn die jungen Touristen gehören zu den 568 jungen Oberpfälzern, die an 23 Realschulen Tschechisch als Wahlfach belegen. Organisiert hat die Veranstaltung Jaroslava Seidlmayer, die seit 1981 im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet Tschechisch unterrichtet. Im Gespräch mit PZ-Redakteurin Corinna Anton erklärt sie, warum es Schüler und Lehrer mit dem Wahlfach Tschechisch nicht immer einfach haben – und warum es gut ist, dass sie trotzdem dabeibleiben.

Fast 70 Prozent der Realschulen in der Oberpfalz bieten Tschechisch als Wahlfach an. Wie kommt das?

Jaroslava Seidlmayer: Der Tschechisch-Unterricht begann in der Oberpfalz schon vor 1989. Die Realschule in Furth im Wald, direkt an der Grenze, war 1985 die erste Realschule in Bayern, die Tschechisch als Wahlfach anbot. Aber das war noch keine Massenbewegung. 1993 sind viele Wahlfächer, darunter auch Tschechisch, den Sparmaßnahmen des Kultusministeriums zum Opfer gefallen. 2002 wurde Tschechisch an den Realschulen in der Oberpfalz wieder eingeführt und 2008 startete der damalige Ministerialbeauftragte für Realschulen Ludwig Meier die „Sprachoffensive Tschechisch“. Seit 2008 treffen sich die Tschechisch-Lehrkräfte in Weiden zu Fortbildungen und haben angefangen, an Unterrichtsmaterialien zu arbeiten. Außer an den Realschulen gibt es Tschechisch in der Oberpfalz auch an Gymnasien und an einigen wenigen Grund- und Mittelschulen.

Die Lehrer sind alle Muttersprachler?

Seidlmayer: Wir sind fast ausschließlich Muttersprachler, die eine Lehrerausbildung in Tschechien erworben haben. Bis heute kämpfen wir aber darum, dass wir von den Behörden unseren deutschen Kollegen gleichgestellt werden. Wir werden anders eingruppiert, nicht wie unsere deutschen Kollegen bezahlt und immer nur für ein Jahr eingestellt, was allgemein mit dem Unterricht als Wahlfach begründet wird. Ich habe zum Beispiel an der Karls-Universität in Prag Lehramt für Tschechisch und Deutsch an Gymnasien studiert. Meine Qualifikation wird aber in Bayern mit der Begründung nicht anerkannt, dass ich ,Tschechisch nicht als Fremdsprache‘ studiert habe.

Das klingt absurd.

Seidlmayer: Ja, und es entspricht nicht den Bemühungen, den Tschechisch-Unterricht zu etablieren.
Dieses Bemühen gibt es nach wie vor?

Seidlmayer: Ja, derzeit läuft an den Realschulen Vohenstrauß und Waldsassen sogar ein Projekt, bei dem Tschechisch als Pflichtfach ab der siebten Klasse angeboten wird. Seit 2011 gibt es außerdem einen Kooperationsvertrag zwischen dem bayerischen Kultusministerium und dem tschechischen Schulministerium darüber, dass die Prager Karls-Universität zertifizierte Prüfungen in Bayern abnimmt. Durch diese Zertifikate wird das Wahlfach stark aufgewertet. An den Prüfungen in Weiden nehmen jährlich an die 60 Schüler teil und erwerben ein Zertifikat. Die meisten absolvieren die Prüfung der Stufe A1 des Europäischen Referenzrahmens, also der untersten Stufe, einige erreichen das Level A2. Das sind bis jetzt unter anderem Schüler, die aus tschechischsprachigen Familien kommen.

Nehmen die denn auch am Tschechisch-Unterricht teil?

Seidlmayer: Ja. Sie können zwar meistens gut sprechen, aber oft schlecht lesen und gar nicht tschechisch schreiben. Unsere Aufgabe ist es dann, das auf einen Nenner zu bringen. Aber sie sind schon eher die Ausnahme. An der Realschule in Roding unterrichte ich in diesem Schuljahr 25 Schüler. Davon haben drei einen tschechischen „Migrationshintergrund“.

Für Sie als Lehrerin ist es bestimmt nicht einfach, wenn die Schüler so unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen…

Seidlmayer: Die Anzahl der Schüler ist in den Wahlfach-Klassen niedriger als beim „normalen“ Unterricht, deshalb können wir mit den Kindern individueller arbeiten. Bei unseren Treffen in Weiden haben wir Lehrer uns ein methodisches Konzept für den Unterricht überlegt, jeder hat ein Thema ausgearbeitet. Es entstanden eine Lehrerhandreichung, ein Übungsbuch und etwa 200 Arbeitsblätter, die wir für die Schüler kopieren. Wir haben aber immer noch kein richtiges Lehrbuch mit Fotos und einem Wörterbuch im Anhang, das bleibt wohl ein Traum. Hinzu kommt, dass Tschechisch als Wahlfach nur am Nachmittag stattfindet, wenn die Kinder schon einen ganzen Schultag hinter sich haben. Wir müssen sie motivieren, bei der Sache zu bleiben, sich überhaupt noch konzentrieren zu können.

Nicht zu vergessen, dass Tschechisch im Vergleich zu Englisch oder Französisch wirklich nicht einfach zu erlernen ist. Wie schaffen Sie es, dass die Jugendlichen trotzdem Erfolgserlebnisse haben?

Seidlmayer: Wir versuchen, die Themen so weit es geht spielerisch, dem Alter angepasst zu präsentieren. Sie lernen einfache Alltagsgespräche und den Basis-Wortschatz. Manche haben ein erstes Erfolgserlebnis, wenn sie mit ihren Eltern ins Nachbarland fahren und die Aufschriften auf Geschäften lesen können, die Städtenamen richtig aussprechen, oder fragen, wo das Restaurant ist und wie viel etwas kostet. Außerdem organisieren wir für die Schüler Fahrten nach Tschechien. Mein Ziel ist es, dass die Schüler zumindest in Prag, Pilsen, Krummau, Marienbad und Karlsbad waren, wenn sie vier Jahre am Sprachunterricht teilgenommen haben. Auch die Idee mit dem Theaterbesuch in Pilsen ist so entstanden. Er soll die Schüler motivieren, Tschechisch zu lernen. Jedes Jahr suchen wir dafür einen anderen Sponsor, diesmal waren es die Volksbanken und Raiffeisenbanken der Oberpfalz.

Was wissen die Jugendlichen über das Nachbarland, wenn sie mit dem Tschechisch-Unterricht beginnen?

Seidlmayer: Sehr wenig. Viele wissen zum Beispiel nicht, wie groß Tschechien ist. Die Meinungen gehen von zwei bis 80 Millionen Einwohner. Manche wissen nicht, wie die Hauptstadt heißt, wie weit es nach Prag oder bis zur Grenze ist. Von der Geschichte des Landes haben viele wenig oder keine Ahnung. Viele waren noch nie auf der anderen Seite der gemeinsamen Grenze, oder nicht weiter als bei der ersten Tankstelle und auf dem Vietnamesen-Markt.

Das klingt sehr ernüchternd. Glauben Sie, dass der Tschechisch-Unterricht etwas daran ändern kann?

Seidlmayer: Wenn wir nicht überzeugt wären, dass wir mit dem Tschechisch-Unterricht einen kleinen Beitrag leisten können, würden wir uns alle nicht so engagieren. Die Schüler lernen nicht nur eine neue Sprache, sie knüpfen neue Kontakte und die erworbenen Kenntnisse werden für sie ein Schlüssel zum Nachbarland. Es hat sich in den Jahren seit der Grenzöffnung viel bewegt. Man kann nicht sagen, dass das Grenzland schlafen würde.