„Keine einfachen Zeiten“

„Keine einfachen Zeiten“

Die Prager Niederlassung der Heinrich-Böll-Stiftung setzt sich für politische Bildung in Tschechien und im Ausland ein. Ein Gespräch mit Büroleiterin Eva van de Rakt

11. 8. 2016 - Text: Helge HommersInterview: Helge Hommers; Foto:

Als am 21. August 1968 sowjetische Truppen dem Prager Frühling ein Ende setzten, weilte der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll in der Stadt. Auf den Tag genau 22 Jahre später eröffnete die dem Bündnis 90/Die Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung in Prag ihr erstes Auslandsbüro. PZ-Mitarbeiter Helge Hommers sprach mit der Büroleiterin Eva van de Rakt über die Unabhängigkeit von der Partei, Warnsignale für Europa und Schulungsprogramme für Romnija.

Wie kam es dazu, dass die Heinrich-Böll-Stiftung ihr erstes Auslandsbüro ausgerechnet in Prag eröffnete?
Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte schon vor 1989 regen Kontakt zu tschechoslowakischen Dissidenten und Dissidentinnen. Nach dem Fall der Mauer und der Samtenen Revolution war klar, dass es in der Region ein Büro geben muss. Eröffnet wurde es 1990 von Milan Horáček, der selbst gebürtiger Tschechoslowake ist, nach 1968 im Exil sehr aktiv war und in Deutschland die Partei der Grünen mitgegründet hat. Das Büro in Prag war damals, anders als heute, für die gesamte Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung in der Visegrád-Region zuständig.

Wofür steht die Heinrich-Böll-Stiftung und welche sind die Aufgaben des Prager Büros?
Der Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung liegt grundsätzlich in der politischen Bildung im In- und Ausland. Dabei orientieren wir uns an den Grundwerten Ökologie und Nachhaltigkeit, Demokratie und Menschenrechte sowie Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Ein besonderes Anliegen sind uns Geschlechterdemokratie und die Gleichberechtigung ethnischer und kultureller Minderheiten. In Prag selbst liegt unser Fokus auf der Förderung eines grenzüberschreitenden und europäischen Dialogs, beispielsweise zum Thema Energiepolitik und Klimaschutz sowie der Zukunft der europäischen Integration und Demokratie. In diesem Bereich sind wir für die Stiftungsaktivitäten in Tschechien, der Slowakei und Ungarn zuständig.

Seit wann sind Sie bei der Heinrich-Böll-Stiftung aktiv? Und wie viele Mitarbeiter hat das Prager Büro?
Begonnen habe ich im Jahr 2001 als Mitarbeiterin im Prager Büro. Drei Jahre später wurde Milan Horáček für die deutschen Grünen ins Europaparlament gewählt. Seitdem bin ich für die Leitung des Büros zuständig. Insgesamt arbeiten hier mit mir sechs Personen aus Tschechien, Deutschland und auch aus Ungarn.

Wie setzt sich die Finanzierung Ihrer Stiftung zusammen?
Die politischen Stiftungen werden hauptsächlich aus deutschen Steuergeldern finanziert, die über verschiedene Ministerien verteilt werden. Es gibt auch Projekte im In- und Ausland, die von der EU gefördert werden.

Im Vergleich zu anderen Stiftungen wie etwa der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde Ihre nicht nach einem Politiker, sondern nach einem Schriftsteller benannt. Macht Sie das von der Politik der Grünen unabhängiger?
Für alle politischen Stiftungen gilt, dass sie unabhängig sind, auch wenn sie einer Partei nahestehen. Das ist für die Arbeit und das Selbstverständnis der deutschen politischen Stiftungen sehr wichtig. Natürlich war es eine bewusste Entscheidung, diesen Namen zu wählen, denn Heinrich Böll hat sich stets für die Verteidigung von Freiheit, für streitbare Toleranz und für Menschenrechte eingesetzt. Zudem war er für die grüne Bewegung in Deutschland eine wichtige Persönlichkeit und hat diese unterstützt. Hier in der Region ist er bekannt und hat daher für unsere Arbeit vor Ort große Bedeutung.

Wie bewerten Sie die Arbeit der tschechischen Grünen?
Auf kommunaler Ebene leisten die Grünen gute Arbeit. Auch im Senat beobachten wir wichtige Initiativen wie beispielsweise zum Thema Flucht, Asyl und Migration. Fakt ist aber, dass die Grünen derzeit leider nicht im Abgeordnetenhaus vertreten sind, sodass grüne Inhalte in der Landespolitik fehlen.

Migration gehört zu Ihren Grundthemen. Wie beurteilen Sie die Rolle Tschechiens in der aktuellen Flüchtlingsdebatte?
Meiner Ansicht nach ist es sehr wichtig zu diskutieren, wie Integration gelingen kann. Was wir hier in Tschechien beobachten, sind große Bedenken und Ängste in der Bevölkerung vor dem Fremden. Im deutsch-tschechischen Kontext müssen wir daher meiner Meinung nach Bedingungen diskutieren, die für eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen wichtig sind. In diesem Bereich haben wir in den letzten Monaten Begegnungsreisen angeboten, bei denen Vertreterinnen und Vertreter aus Zivilgesellschaft und Politik nach Deutschland gereist sind, um zu erfahren, welche Konzepte und Projekte es in dieser Hinsicht gibt. Es ist positiv, dass die tschechische Regierung in vielen Bereichen offen und sehr an einem Dialog interessiert ist. In der Diskussion um die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU hätte ich mir von tschechischer Seite allerdings einen alternativen Vorschlag zu den Pflichtquoten gewünscht, die die Regierung ja vehement abgelehnt hat.

Wie erklären Sie sich diese Haltung?
Ich kann verstehen, dass Pflichtquoten hier auch aus historischen Gründen auf Widerstand stoßen. Wir sind als Europäerinnen und Europäer aber verpflichtet, Menschen Schutz zu bieten, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung sind. Selbstverständlich ist das auch mit Herausforderungen verbunden, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Wir dürfen die Länder mit EU-Außengrenzen auf keinen Fall alleine lassen, jeder EU-Mitgliedstaat muss einen Beitrag leisten. Wir dürfen auch nicht die EU-Außengrenzen für Menschen auf der Flucht schließen. Rechtspopulisten schüren Ängste, indem sie Flucht mit Terroranschlägen in Europa in Zusammenhang bringen. Das ist falsch und unverantwortlich.

Wie sieht die Arbeit Ihrer Stiftung in der Slowakei und Ungarn aus, zu denen eine gewisse räumliche Distanz herrscht?
Natürlich führen wir die meisten Aktivitäten hier in Tschechien durch, aber wir arbeiten intensiv mit Organisationen zusammen, die sich in der gesamten Region unseren Schwerpunktthemen widmen. Was die Anzahl betrifft, sind unsere Aktivitäten in Ungarn und in der Slowakei zwar geringer, aber über unsere Partner stoßen wir auch dort viele Projekte an. Wir legen ebenfalls Wert darauf, dass unsere Projekte in Tschechien eine Plattform für einen regionalen Austausch bieten. Zu einer Konferenz laden wir dann beispielsweise nicht nur Gäste aus Tschechien, sondern aus der gesamten Region ein.

An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Derzeit arbeiten wir unter anderem zur deutschen Energiewende im europäischen Kontext. Wir informieren in Ländern, in denen wir Auslandsbüros haben, über Mythen und Fakten zur deutschen Energiewende und leiten Bedenken der Nachbarländer nach Deutschland weiter. In diesem Jahr haben wir eine deutsch-tschechische Expertengruppe ins Leben gerufen, die sich mit Fragen zur Zukunft von Braunkohle­regionen und Struktur­wandel auseinandersetzt. Ein sehr erfolgreiches Format sind unsere thematischen Atlanten, von denen zwei tschechische Versionen veröffentlicht wurden. Darin informieren wir über die Auswirkungen des Fleischkonsums und über Kohle als globalen Brennstoff. Des Weiteren veranstalten wir seit 2006 mit großem Erfolg Projekte, durch die Romnija gefördert werden, die im gesellschaftspolitischen Bereich aktiv werden möchten. Im Herbst planen wir außerdem eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Nachhaltige Stadtentwicklung“.

Im Mai haben Sie eine Konferenz zum Populismus in Europa organisiert. Wie schätzen Sie den Aufstieg der überwiegend rechtspopulistischen Parteien in Staaten wie Frankreich, den Niederlanden oder auch in Deutschland ein?
Ich denke, es sind gerade keine einfachen Zeiten. Wir müssen uns Sorgen um die Zukunft des europäischen Projekts machen. Die Erfolge rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen in Europa, die sich für eine Renationalisierung und gegen eine Vertiefung der europäischen Integration aussprechen, sind alarmierend. Die Brexit-Abstimmung war ein weiteres Warnsignal und hat auch hier einiges ausgelöst. Dieses Signal muss ernst genommen werden. Das Problem ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ihren Sinn und Zweck nicht mehr sehen. Wir müssen diese Entwicklungen ernst nehmen, ihre Ursachen benennen und zukunftsorientierte Projekte anstoßen – wofür wir uns auch einsetzen.