„Kein bedeutendes Thema“

„Kein bedeutendes Thema“

Immer mehr Tschechen sind für die Abschaffung der Beneš-Dekrete. Laut Experten sind die aber längst nicht mehr rechtskräftig

5. 2. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: APZ

Im Dezember noch machte sie Miloš Zeman zum Hauptthema in der finalen Runde des Präsidentschaftswahlkampfs und versetzte damit seinem Kontrahenten Karel Schwarzenberg den wohl entscheidenden Schlag im Kampf um die Burg. In Zukunft allerdings dürfte es immer schwieriger werden, die Beneš-Dekrete zur politischen Stimmungsmache zu nutzen. Das zumindest deuten die Ergebnisse einer Studie des Zentrums für Meinungsforschung (CVVM) der Tschechischen Akademie der Wissenschaften an. Der Umfrage zufolge sprechen sich derzeit 14 Prozent der Tschechen für eine Abschaffung der durch den Nachkriegspräsidenten Edvard Beneš erlassenen Gesetze aus, die zur Grundlage der Vertreibung der Sudetendeutschen aus Böhmen und Mähren wurden. Mehr als ein Drittel hat laut CVVM keine Meinung zu dem Thema, etwa die Hälfte aller Befragten begrüßt die Beibehaltung der Dekrete. Damit ist die Zahl der Befürworter deutlich gesunken: Bis etwa 2009 gab es eine stabile Zustimmung von zwei Dritteln der Bevölkerung.

Die Haltung zu den Nachkriegserlassen wird dabei entscheidend durch das Alter der Befragten bestimmt. „Für die heutigen Mittzwanziger sind weder die Dekrete noch die Vertreibung ein bedeutendes Thema“, erklärt Daniel Kunštát, Soziologe bei CVVM. Während zwei Drittel der über 60-Jährigen die Abschaffung der Dekrete ablehnt, vertritt nur etwa ein Drittel der unter 29-Jährigen diesen Standpunkt; über 50 Prozent haben überhaupt keine Meinung zu dem Thema. Laut Kunštát verlieren die Beneš-Dekrete damit an „politischem Mobilisierungspotential“.

Etwas deutlicher fällt die Ablehnung der eigentlichen Abschiebung der rund 2,9 Millionen Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei aus. 36 Prozent aller Befragten halten die Vertreibung für ungerecht. „Viele derer, die an der Gerechtigkeit der Abschiebung zweifeln, halten die Dekrete gleichzeitig für einen unabdingbaren Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung“, erklärt Kunštát die immer noch hohe Zustimmung.

Der frisch ernannte Minister für Menschenrechte Jiří Dienstbier (ČSSD) hat das Thema nun auf die politische Tagesordnung zurückgeholt. Unmittelbar nach der ersten Sitzung des neuen Kabinetts sagte Dienstbier, den die Sozialdemokraten im Präsidentschaftswahlkampf noch als Gegner Miloš Zemans aufgestellt hatten, er wolle sich für eine Abschaffung der tschechischen Ausnahmeregelung im Lissabon-Vertrag stark machen. Václav Klaus hatte das ihm verhasste Dokument nach monatelangem Hinhalten Ende 2009 unterschrieben – und im Gegenzug ein Aussetzen der EU-Grundrechtecharta in Tschechien erwirkt. Die Begründung des damaligen Präsidenten: Die Grundrechtecharta könnte zu einer Aufhebung der Beneš-Dekrete führen und damit eine Welle von Eigentumsrückforderungen von Seiten der Sudetendeutschen auslösen. Auf seiner ersten Pressekonferenz als Minister und Leiter des Legislativrats der Regierung sagte Dienstbier: „Die Rechte werden zwar durch andere Verfassungsdokumente und internationale Verträge gewährleistet, aber ich denke, dass es unsere Staatsbürger verdienen, Grundrechte im selben Umfang zu genießen, wie die Bürger anderer EU-Staaten.“ Die Abschaffung der sogenannten Opt-out-Regelung nannte Dienstbier einen außerordentlich wichtigen und symbolischen Schritt.

Glaubt man Rechtsexperten, dann basierte Klaus’ Warnung vor deutschen Eigentumsrückforderungen und Zemans Stimmungsmache gegen Schwarzenberg auf reinem Populismus. Jan Kysela, Leiter des Instituts für Politologie und Soziologie an der Juristischen Fakultät der Karls-Universität, erwartet bei einer Abschaffung der Beneš-Dekrete keinerlei rechtliche Konsequenzen. Der Grund läge auf der Hand: Die Dekrete, so Kysela, sind schon seit über 20 Jahren nicht mehr rechtswirksam, da die tschechische Verfassung alle Gesetze außer Kraft gesetzt hat, die im Widerspruch zu den Grundrechten stehen. „Wenn es eine Chance gäbe, Eigentum zurückzufordern, wäre das längst unter Berufung auf internationales, gegebenenfalls auf europäisches Recht geschehen. Zu einer Abschaffung der Dekrete besteht kein Zusammenhang“, sagt Verfassungsexperte Kysela.