Innovation mit Klasse

Innovation mit Klasse

Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache schrumpft – und hält sein Niveau

31. 10. 2012 - Text: Tatyana SynkovaText: Tatyana Synkova; Foto: Hans Jörg Michel

Zwölf Tage, vier Länder, fünfzehn Vorstellungen. Die einzigen Gemeinsamkeiten: das Theater und die deutsche Sprache. So präsentiert sich das Programm des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache. Zum 17. Mal werden Innovationen, Experimente und neue Trends der deutschsprachigen Theaterszene auf tschechische Bühnen gebracht. Von 2. bis 13. November gastieren Ensembles aus Deutschland, Luxemburg, Österreich und Liechtenstein an der Moldau. Sie bieten dem Publikum eine abwechslungsreiche Mischung aus aktuellen Stücken und Klassikern, die es in dieser Form in den Prager Kulturhäusern sonst nicht zu sehen gibt.

Historisches Verhältnis
Das Theaterfestival knüpft an die Tradition der deutschen Sprache in Böhmen und Mähren, vor allem aber in der Stadt Prag an. Das historische Verhältnis kann man dabei wohl als durchwachsen bezeichnen. Deutsch war hierzulande über Jahrhunderte Amtsprache, was eine Unterdrückung des Tschechischen mit sich brachte. Im 19. Jahrhundert waren die meisten Prager Theater deutschsprachig, erst mit der Gründung des Nationaltheaters wurde Tschechisch auf die Bühne gebracht. Gesprochen wurde Deutsch von den unbeliebten Monarchen, gehobenen Kreisen und den verhassten Protektoren. Nicht unbedingt die Basis für eine gute Freundschaft. In Prag wurde aber auch in einem großen Teil der jüdischen Gemeinde sowie in vielen Künstlerkreisen Deutsch geredet und geschrieben. Franz Kafka, Max Brod und Rainer Maria Rilke sorgten dafür, dass die Sprache vor und nach dem Ersten Weltkrieg eine kulturelle und literarische Blütephase erlebte. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde diese abrupt beendet. Seither galt Deutsch als verpönt und war ungern gehört.

So wurde aber auch eine Sprachverbindung beider Länder unterbrochen, die durchaus kreativ und bereichernd war. Daran will Jitka Jílková, Direktorin der deutschen Theatertage, mit dem von Pavel Kohout und Renata Vatková 1996 gegründeten Theaterfestival erinnern: „Durch das Festival wird die Aufmerksamkeit auf die deutsche Sprache gelenkt und das ist wichtig. Auch wenn sie nicht mehr so verpönt ist wie noch vor einigen Jahrzehnten, so beobachte ich immer mehr, dass selbst in deutschen Firmen in Prag Englisch gesprochen wird. Das Interesse an der Nachbarsprache muss wieder geweckt werden und dafür ist Kultur der beste Vermittler.“

Von Kleist bis Fassbinder
Das Festival soll weiterhin deutsches innovatives Theater in die Goldene Stadt bringen. Und so werden Stücke wie Rainer Werner Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ gezeigt – ein voyeuristisches Drama der menschlichen Sehnsucht nach der Macht über das Liebesbedürfnis des Anderen. In die gleiche Kategorie fällt der absurde Altberliner Schwank „Die (s)panische Fliege“ mit der „Schauspielerin des Jahres 2012“ Sophie Rois, inszeniert von Herbert Fritsch. Zudem wird ein Hörspiel der etwas anderen Art zu sehen sein: Stefan Kaminski wird den gesamten „Ring der Nibelungen“ „on air“ präsentieren, mit ihm in allen Rollen, „destilliert und völlig neuartig erzählt“. Auch das Burgtheater Wien bleibt thematisch klassisch und zeigt mit Kleists Korruptionskomödie „Der zerbrochene Krug“, wie aktuell das 200-jährige Stück noch immer ist. Der festivalbegleitende Josef-Balvín-Preis für die beste tschechische Inszenierung eines deutschsprachigen Textes geht in diesem Jahr an das mährische Theater in Olmütz. Und so kann sich auch das Prager Publikum von Roland Schimmelpfennigs „Arabische Nacht“ aus tschechischer Sicht überzeugen und einen Großstadtabend zu Tausendundeiner Nacht werden lassen.

Der Wille ist der Weg
Das Programm erscheint auch in diesem Jahr spannend und vielseitig, dennoch bemerkt man deutliche Abstriche bei der Quantität. Manche Inszenierungen konnten organisatorisch und finanziell nicht verwirklicht werden. Die Wirtschaftkrise habe auch beim Theaterfestival gewütet und so seien viele Sponsoren und Förderer abgesprungen, bemerkt Jílková. „Kulturförderung ist leider das erste, was man in Zeiten der Krise zusammenkürzt. Doch wenn man Kultur großzügiger unterstützen würde, wäre das Klima in der Gesellschaft besser“, so die Festivalleiterin. Und so kämpft sie weiter, mit ihren zweieinhalb Mitarbeiterstellen, viel Idealismus, einigen treuen Partnern und vor allem jeder Menge Engagement. „Wir wollen nicht aufgeben, denn das Prager Publikum verdient das Festival und die deutschen Theater verdienen es, auf tschechischen Bühnen zu spielen.“

 

Programm (Auswahl)

R.W. Fassbinder: Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Sechs Frauen versammeln sich in einer luxuriösen Wohnung zum emotionalen Ringkampf. Im Zentrum steht die amour fou zwischen der erfolgreichen Modedesignerin Petra von Kant und der jungen, aber mittellosen Karin Thimm, die aus Petras Zustand hysterischer Verliebtheit Profit zu schlagen weiß. Eine Dynamik der Ausbeutung nimmt ihren Lauf. Die Beteiligten erweisen sich dabei als Teil eines Gefüges wechselseitiger Abhängigkeit in einer Hochglanzwelt, die Fassbinder mit voyeuristischem Blick seziert. (Regie: Martin Kušej)

Sebastian Frommelt: Das Erbgut
Im Haus der verstorbenen Eltern treffen sich zwei Brüder und eine aufbegehrende Ehefrau. Unter dem belastenden Eindruck eines Fluches, der auf der Familie lasten soll, müssen die Anwesenden über die Zukunft des dritten Bruders beraten, der an Autismus leidet und deswegen unter elterlicher Obhut gelebt hat. „Das Erbgut“ ist ein Stück über ein familiäres Schlammsammelbecken der Emotionen, in das sich Liebe, Schuld, Trauer und Sehnsucht ergießen.  (Regie: Sebastian Frommelt)

Roland Schimmelpfennig: Arabische Nacht
Im Hochhaus einer anonymen Wohnsiedlung kommt kein Wasser und der Aufzug bockt. Die nüchterne Großstadtrealität verwandelt sich allmählich in einen mystischen Traum aus Tausendundeiner Nacht. Eine laue Sommerbrise trägt den Zuschauer in eine Sandwüste, wo im Harem eines mächtigen Scheichs soeben ein Hinrichtungsurteil ausgesprochen wurde. (Regie: Martin Glaser)

Franz Arnold, Ernst Bach: Die (s)panische Fliege
Brünstig stürzen sie sich aufeinander: Mann und Frau, Fräulein und Verehrer, Bruder und Schwester. Moralvorstellungen entpuppen sich als Bigotterie und führen zum Wirrwarr um ein uneheliches Kind, multiple Vaterschaft, einen unerwünschten Schwiegersohn und eine geheimnisvolle Tänzerin. Mit dem gleichnamigen Potenzmittel hat „Die spanische Fliege“ dabei herzlich wenig zu tun. (Regie: Herbert Fritsch)

Programm und weitere Informationen unter www.theater.cz