Im Sumpf der Panscher

Im Sumpf der Panscher

Ein halbes Jahr nach dem Methanol-Skandal sterben weiterhin Leute. Die Polizei sucht Giftschnaps, Politiker nach Lösungen

20. 3. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: čtk

Als es abends an seiner Tür klopfte, hatte er bereits alles hinter sich: Bauchkrämpfe, Erbrechen, Erblindung, Panik. Kein Lebenszeichen drang aus der Wohnung des 25-Jährigen im tschechischen Opava. Besorgte Verwandte riefen die Polizei. Die konnte später nur noch den Leichnam des jungen Mannes aus der Mehrfamilienwohnung in der Stadt an der polnischen Grenze tragen. Und feststellen, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um das 44. Opfer eines Alkoholpanscher-Skandals handelt, der von den Medien bereits im Herbst 2012 für beendet erklärt wurde.

Václav Kučera wirkt müde. Seit Mitte September leitet der Vize-Präsident der Tschechischen Polizei die Spezialeinheit „Metyl“. Zwölf Tage nachdem er den schwierigen Posten übernommen hatte, konnte der schnauzbärtige Beamte der Presse einen entscheidenden Erfolg vermelden. Damals war das Land noch im Ausnahmezustand: Gesundheitsminister Leoš Heger (TOP 09) hatte ein Schankverbot auf Hochprozentiges erhoben, fast täglich wurden neue Todesfälle gemeldet. Die Presse kannte kein anderes Thema. Polen, die Slowakei und Russland hatten sogar Einfuhrverbote auf tschechische Sprituosen ausgesprochen.
Man sei zur Spitze der Pyramide vorgedrungen, hieß es Ende September 2012 auf der Pressekonferenz der Polizei. Man fand sie in Opava, im Nordosten der Tschechischen Republik. In der Region mit den meisten Methanol-Vergiftungen. In der Stadt, aus der das vorerst letzte Todesopfer des Giftschnapses stammt.

Geschmack aus der Garage
Dort, auf einem stillgelegten Fabrikgelände, hatte die mittelböhmische Firma Carlogic ihr Lager. Die Firma hatte auch Frostschutzmittel für Scheibenwischerflüssigkeit im Angebot – ein Gemisch aus Alkohol und Methanol. Der Geschäftsführer gestand der Polizei, dass er 1:1-Mischungen angefertigt und weiterverkauft hatte. In zahlreichen Garagen im Land wurden Wasser und Aromen hinzugefügt, in Flaschen gefüllt und auf diese Etiketten wie „Albanischer Wacholder“ oder „Wodka Lunar Extra mild“ geklebt. Den beiden Männern von Carlogic drohen nun bis zu 20 Jahre Haft. Insgesamt wird gegen rund 70 Verdächtige ermittelt.

„Das Team ,Metyl‘ ist mit seiner Arbeit bei Weitem nicht am Ende“, sagte Polizeivizepräsident Kučera nach der erfolgreichen Aktion. Nun wartete die Sisyphusarbeit. Verhöre, Nachspüren von Lieferwegen, Auswertung von Hinweisen aus der Öffentlichkeit. „Die Spuren führen oft ins Leere“, sagt Kučera heute, die Ergebnisse entsprächen nicht den Erwartungen. Ende September hieß es, rund 15.000 Liter des Giftschnapses seien in Umlauf geraten. Von rund 5.000 Liter fehlte damals jede Spur. Heute will sich Kučera auf keine konkreten Zahlen mehr festnageln lassen: „Das wäre reine Spekulation“, sagt er.

Gift und Gegengift
Das Panscher-Problem existiert nicht erst seit dem 3. September letzten Jahres, als das erste Methanol-Opfer gemeldet wurde. „Die Panscherei kam sofort mit der Einführung der Verbrauchssteuer auf“, erklärt Petr Pavlík, Vorsitzender der Union der Importeure und Hersteller von Spirituosen (UVDL). Mit der Einführung von Steuerbanderolen 2004 sei der Schwarzmarkt in seinem Wachstum gebremst worden. Eine Steuererhöhung habe das illegale Geschäft 2010 erneut aufblühen lassen.

Es geht um das schnelle Geld. Eine am Fiskus vorbei geführte Halbliterflasche bringt 50 Kronen ein. Dass gepanschter Alkohol überall sein kann, hatten die großen Spirituosenhersteller bereits vor Jahren unter Beweis gestellt. Zöllnern brachten sie Flaschen aus dem Großhandel, deren Preis unter dem Gesamtbetrag von Mehrwert- und Alkoholsteuer lag. Man beauftragte Privatdetektive damit, den Schwarzmarkt zu erkunden.

Die Methoden der Panscher klingen nach Experimentieren im Chemielabor: Im Wesentlichen gehe es darum, Industriealkohol, der keiner Besteuerung unterliegt und schrecklich bitter schmeckt, wieder genießbar zu machen. Die tschechischen Panscher verwenden hierzu gerne „Savo“, ein Bleichmittel das in jedem Haushalt zu finden ist.
Dass Methanol in den gefälschten Schnaps kam, lässt sich laut Pavlík auch auf eine Entscheidung der EU zurückführen. Vor rund zwei Jahren habe sich die Gefahrenstoffklassifizierung geändert. Seither ist Methanol, ein Grundprodukt der chemischen Industrie und im Normalfall als Lösungsmittel oder Treibstoff im Einsatz, interessant für die Panscher. Methanol ist um die Hälfte günstiger als das industriell hergestellte Ethanol.

Wer merkt, dass er hochgiftiges Methanol getrunken hat, sollte als erstes ein Gläschen Qualitätsschnaps trinken. Was absurd klingt, hat seine Logik. Ethanol wirkt als Gegengift zu Methanol. Und genau das macht die giftigen Garagenmischungen unberechenbar: Es handelt sich immer um Mischungen der beiden Alkohole, von Gift und Gegengift. „Die Reaktionen im Körper treten deshalb oft erst 24, manchmal sogar erst 48 Stunden nach dem Konsum ein“, erklärt Sergey Zakharov, Leiter des Prager Toxikologischen Informationszentrums. Erst nachdem das Ethanol abgebaut wurde, produziert der Stoffwechsel Ameisensäure. Viele Patienten können sich deshalb gar nicht mehr erinnern, wann sie den tödlichen Schnaps zu sich genommen haben, wenn die ersten Symptome einsetzen. Mit Übelkeit und Bauchkrämpfen geht es los. Es folgen Sehprobleme. „Manche sehen einen grauen Schleier, andere nur Dunkelheit“, so die mit biochemischen Fachausdrücken gespickte Erläuterung des Toxikologen. Dann geht es schnell: Atemnot, Bewusstlosigkeit, Herzstillstand. Rund zwei Drittel der Methanol-Vergifteten konnten vor den schlimmsten Folgen bewahrt werden.

Dass weiterhin Menschen sterben, überrascht Zakharov nicht. Aufgrund von Erfahrungen aus dem Ausland – ähnliche Fälle erlebten vor Jahren Norwegen und Estland, die Zahl der Opfer des aktuellen Methanol-Skandals in Libyen ist auf knapp 90 gestiegen – wisse man, dass der vergiftete Schnaps, der sich bereits in den Haushalten befindet, schwer aufzuspüren sei.

Mit Lizenzen gegen Panscher
Ende Januar veröffentlichte das staatliche Hygieneamt die Ergebnisse eines freiwilligen Spirituosentests. Drei Wochen lang konnten Bürger verdächtige Flaschen einschicken. Zwölf Prozent der insgesamt knapp 7.000 Alkoholproben waren belastet – mit Methanol oder Isopropanol, ein Produkt, das beim Panschen mit industriellem Alkohol entsteht.
Handlungsbedarf sehen Experten vor allem bei den Gesetzgebern. Man sei jahrelang zu lax mit dem Problem umgegangen. Nachdem unmittelbar nach der Prohibition verschärfte Herkunftskontrollen für Spirituosen eingeführt wurden, verhandelt das Parlament nun über verschärfte Bedingungen für den Verkauf von Alkohol. Spezielle Genehmigungen sollen eingeführt werden.

Politische Brandbekämpfung
„Die vorgelegte Novelle wird nicht greifen, sie ist absolut sinnlos“, meint ein aufgebrachter Zdeněk Juračka, Präsident des Handels- und Tourismusverbandes. Auch der Minister für Industrie und Handel, Martin Kuba (ODS), gibt zu, dass die Genehmigung jeder, der einen entsprechenden Gewerbeschein besitze, erhalten werde. Man wolle sich einen Überblick verschaffen, wo überall im Land Alkohol über den Ladentisch gehe. Die Händler selber, so Juračka, fordern schärfere Auflagen. Die Umsatzeinbußen durch den Imageverlust seien enorm. In Restaurants ist laut Jančura der Verkauf von Spirituosen auf das gesamte Skandal-Jahr 2012 gerechnet um elf Prozent zurückgegangen.

Warum verschärft der Staat nicht die Bedingungen, wenn die Händler selbst danach rufen? Juračka zuckt mit den Schultern. Von der Einstellung der Politiker ist er enttäuscht. „Kurz gesagt: Was nicht brennt oder aufgehört hat zu brennen, das braucht man nicht zu löschen.“ Da eine Senkung der Alkoholsteuer nicht in Frage kommt, wolle man sich laut dem Sprecher des Finanzministeriums vor allem auf Sanktionen und schärfere Kontrollen durch die Zollbeamten konzentrieren.

Als Gesundheitsminister Heger am 27. September das Schank- und Verkaufsverbot für Hochprozentiges aufhob, zählte man 26 Todesopfer. Heute sind es offiziell 42 – die Todesursache des jungen Mannes aus Opava muss noch gerichtsmedizinisch bestätigt, bei einem 71-Jährigen aus dem ostböhmischen Náchod konnte sie nicht eindeutig geklärt werden. Weitere Todesopfer werden folgen, da sind sich die Experten einig. Ob Tschechien sein Panscher-Problem in den Griff bekommt, das liegt vor allem in der Hand der Politiker.