Im Schnee durch die Stille

Im Schnee durch die Stille

Jenseits der Wintersport-Massen: Skibergsteigen in der Niederen Tatra

6. 3. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Robert Turjanek

Wer einmal eine Ski-Tour gelaufen ist, der möchte sich am liebsten nie wieder in eine überfüllte Gondelbahn zwängen. Der Ausblick auf die weiß bedeckten Gipfel, das Schneegestöber, aufgewirbelt durch den ersten Abfahrtsschwung: All das wirkt anders in der Stille abseits der Skigebiete und mit ein paar hundert Höhenmetern in den Beinen.

Tschechien bietet nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten für das Skibergsteigen. Vor drei Jahren wurden im Riesengebirge einige offizielle Routen eröffnet. Wer im höchsten tschechischen Gebirge auch eine anständige Abfahrt abseits präparierter Pisten erleben möchte, der gerät jedoch in Konflikt mit den Regeln des Naturparks Krkonoše. Im Nachbarland Slowakei bieten dagegen die Hohe und Niedere Tatra ideale Bedingungen für Tourenläufer.

Dank der gemeinsamen Vergangenheit der einstigen Föderalstaaten sind die slowakischen Bergkämme von Tschechien aus gut zu erreichen. Jeden Tag um Mitternacht etwa fährt ein Nachtzug von Prag in das Tal zwischen den slowakischen Hochgebirgen. Aber auch von Österreich und Deutschland aus ist die Anfahrt – vor allem mit dem Auto – gut möglich.

180 Euro pro Tag
Wer sich in winterlichen hochalpinen Gefilden nicht zuhause fühlt, der sollte sich vor der Abfahrt um einen Bergführer kümmern, etwa über die Nationale Bergführervereinigung der Slowakei (Národná asociácia horských vodcov Slovenskej republiky). Vor allem die Lawinengefahr, aber auch die passende Route hilft der professionelle Guide einzuschätzen.

Robert Turjanik ist einer von ihnen. Er hat freundliche, dunkle Augen und wartet auf uns am Samstagmorgen ungeduldig auf dem Parkplatz des Ski­gebiets Jasná in signalroter Jacke. 180 Euro kosten seine Dienste für einen Tag. Im Kofferraum seines Audi-Kombi hat er alles bereit, was für den Aufstieg unabdingbar ist: Lawinensuchgeräte, Schaufeln, Sonden. Robert hält zur Eile an, das Wetter ist gut und warum mehr Zeit als nötig im Rummel am Fuße des größten slowakischen Skigebiets verbringen? Ein paar Gehminuten und David Hasselhoffs Titelsong aus der Fernseherie „Baywatch“ und die Stimme des Moderators der heutigen BMW-Allrad-Show, die gerade noch aus den Boxen an der Talstation tönten, sind nur noch eine matte Erinnerung.

Wir gelangen an den verschneiten Anfang eines Waldweges und schnallen uns die Fortbewegungsmittel an die Füße. In meinem Fall sind das gelb-rote Schneeschuhe, mein Snowboard bleibt vorerst an meinem Rucksack befestigt. Bei meinen zwei Begleitern macht es leise Klack, Klack und die Touren-Skier sind an den Fußspitzen fixiert, an den Fersen bleiben sie frei beweglich. Mit den Skifellen aus Kunstfaser auf der Lauffläche machen sie so den Aufstieg möglich.

Das Streichen der Skier
Das Tempo, das Turjanik vorgibt, ist zackig. Etwa eine Stunde geht es durch dichten Tannenwald. Ein Bergbach kreuzt unseren Weg, die Schneekissen an seinen Ufern wachsen mit dem stetigen Höhengewinn. Nur das leise Streichen der Skier, das Knarzen des Schnees unter den vergrößerten Fußflächen und mein tiefer werdender Atem durchbrechen die Stille.

Nachdem uns ein gelbes Schild darauf aufmerksam macht, dass wir nun Lawinengebiet betreten, lichtet sich der Wald im Údolí Tri vody. Durch eine Rinne geraten wir unter eine imposante weiße Wand. Der Bergführer deutet nach oben, dorthin, wo Wolkenfetzen in Windeseile über den Bergkamm ziehen. Der Polany-Sattel, unser erstes Etappenziel. Zunächst aber werden uns ein paar Minuten für einen warmen Tee und ein paar Bissen tiefgefrorener Müsliriegel gewährt. Der eisige Wind droht die Schweißperlen auf meinem Nacken zum Gefrieren zu bringen. Beim Anziehen einer wärmenden Schicht werde ich von Turjanik zu Schnelligkeit gemahnt.

Brennende Oberschenkel
Dann gehen wir die weiße Wand vor uns an. Nach etwa 200 Höhenmetern werden die Skier geschultert. Ich ramme mit aller Kraft den eisernen Zacken an der Spitze meiner Schneeschuhe in die gefrorene Schneedecke. Das Lächeln eines Skifahrers, der wenige Meter neben mir nach unten wedelt, gibt Hoffnung – das Brennen in den Oberschenkeln könnte sich lohnen. Die Entschädigung kommt schneller als gedacht: Ein Ausblick auf die weiß geschwungen Gipfel in der Nähe, die gezackten Spitzen der Hohen Tatra in der Ferne. Der Himmel ist tiefblau und der Wind beißt.

Es geht weiter über den Bergkamm, zur Hütte unter der Seilbahn auf den Berg Chopok. Bei warmer Suppe und einem wohligen, brennenden Gefühl auf den Wangen sammeln wir Kräfte.

Turjanik lädt die Fotos des Tages auf sein Facebook-Profil. Auf Fragen zur Theorie des Tourengehens antwortet er enttäuschend knapp. Durch die Skifahrer-Massen an der Gipfelstation winden wir uns, nun auf dem Snowboard und den vom Fell befreiten Skiern an den Rand eines Abgrunds. „Školský žlab” – die „Schüler-Rinne“ – heißt er laut dem Bergführer. Nach ein paar klärenden Worten stürzt er sich in die Tiefe. Wir hinterher. Der Schnee ist hart. Das Gefühl, den mit eigenen Kräften erklommenen Berg hinabzugleiten, berauscht trotzdem. Die Szenerie des mühsamen Aufstiegs verdichtet sich zu wenigen Minuten. Die steilen Hänge lassen uns in einen dichter werdenden Wald eintauchen. Hier zeigt sich unser Führer nicht von seiner besten Seite. Er verschwindet immer wieder außer Sichtweite. Dass er zur letzten Sesselbahn eilt, die ihm den Weg zurück zu seinem abgestellten Auto erleichtert, erfahren wir erst später.

Wer etwas mehr Glück mit dem Bergführer hat, für den ist die Niedere Tatra der ideale Ort, um die ersten Schritte auf Tourenskiern zu gehen. Mit bis zu 2.043 Metern ist der Aufstieg technisch nicht allzu anspruchsvoll, Abfahrten gibt es in allen Schwierigkeitsgraden. Wer die Anstrengung des Bergsteigens scheut, der kann sich sogar mit der Gondelbahn auf den Chopok fahren lassen und von dort über den Bergkamm an die richtige Stelle für seine Abfahrt laufen. Allerdings bleibt man so um einige Glücksgefühle ärmer.

Informationen

Nationale Bergführervereinigung der Slowakei: www.nahvsr.sk

Informationen zu Skigebieten, Hotels und Wetter in der Niederen Tatrain schlechter, deutscher Übersetzung: www.slowakische.de/niedere-tatra

Bergführer Robert Turjanik: www.horskyvodca.info