Im Pulversturm

Im Pulversturm

Daniel Hrbek inszeniert Čapeks „Krakatit“ im Smíchover Švanda-Theater

31. 10. 2013 - Text: René PfaffText: René Pfaff; Foto: ŠD

 

Es ist Nacht. Ein Mann irrt orientierungslos durch die Gassen der Prager Altstadt. Er ist verletzt, den notdürftig verbundenen linken Arm trägt er in einer Schlinge vor seinem Körper. Von der Moldau zieht Nebel herauf und vermischt sich mit dem schummrigen Licht der Gaslaternen – eine unheimliche Szenerie. „Krakatit… Krakatit.“ Immerzu murmelt der Mann dieses eine Wort vor sich her. Aus den bruchstückhaften Sätzen erfahren wir allmählich, dass es sich bei dem Unbekannten um den Ingenieur Prokop handelt, der eine furchtbare Entdeckung gemacht hat. Der neuartige Sprengstoff, den er in seinem Labor entwickelt hat, ist von bisher ungekannter Zerstörungskraft.

Dass Čapeks Vision von 1922 nicht nur düster, sondern vor allem auch eine ideenreiche Spielvorlage für einen Theatertext sein kann, beweist derzeit Daniel Hrbek eindrucksvoll am Švanda-Theater, wo er mit seiner Dramatisierung des Stoffes einen wahren Sturm an szenischen Ideen entfacht.

Schon der Hauch eines liegengebliebenen Rests der neuartigen Substanz reicht aus, um Prokop die Hand zu zerfetzen. Dieser durchschlagenden Wirkung wegen nennt er das Pulver „Krakatit“, nach dem verheerenden Vulkanausbruch auf der indonesischen Insel Krakatau Ende des vorletzten Jahrhunderts. Seine Erfindung weckt schnell die Begehrlichkeiten dunkler Mächte – mit einer solch verheerenden Waffe ausgestattet, könnte der Traum von der Weltherrschaft in greifbare Nähe rücken…

Diese Thematik der ultimativen Waffe mag heutzutage vielleicht nicht mehr so unmittelbar präsent sein wie etwa zu Zeiten des Kalten Krieges, doch die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen hat leider nicht abgenommen: Weltweit gibt es noch immer derart viele Atombomben, dass sie die Erde zigmal zerstören könnten. Gelangt diese Macht in die falschen Hände, droht eine Katastrophe. Die Fragestellungen nach Macht und Verantwortung, Wissenschaft und Gewissen erinnern an Dürrenmatts „Die Physiker“, doch der Schweizer schrieb seine berühmte Groteske zur Hochzeit des Ost-West-Konflikts – ganze 40 Jahre nach Karel Čapeks Roman. Auch dies macht deutlich, wie sehr der tschechische Schriftsteller seiner Zeit voraus war.

Feuerwerk der Einfälle
Das Bühnenbild, für das Petr Masopust gemeinsam mit dem Regisseur verantwortlich zeichnet, lotet die Möglichkeiten der tiefen Bühne des Smíchover Schauspielhauses ausgiebig aus: Die multifunktionelle, nach allen Richtungen hin schwenkbare Spielebene ist voller Fenster und Türen, die auch als Auf- und Abgänge fungieren. Szenenwechsel geraten hier zum ästhetisch ansprechenden Ereignis. So vielseitig wie das Bühnenbild sind auch Hrbeks dramaturgische Einfälle. Tanzeinlagen und akrobatische Elemente folgen auf intensiv gespielte Monologe. Man merkt schnell, dass der Regisseur hier mit viel Verve aus dem Vollen schöpft.

Doch möglicherweise wäre weniger mehr gewesen, denn mit knapp drei Stunden Spielzeit ist das Stück ein wenig zu lang geraten. Hrbek scheint sich an seinen fast durchweg gelungenen Eingebungen so zu berauschen, dass ihm der Blick auf das Grundthema des Romans – die Frage nach dem Verantwortungsdilemma der Wissenschaft – bisweilen entgleitet. Zudem nutzt sich so manche Idee rasch ab: Wilde Verfolgungsjagden beispielsweise verlieren schnell ihren Reiz, wenn nur allzu leicht vorhersehbar ist, aus welcher Tür der Schauspieler als nächstes hervorlugen wird.

Der Ingenieur Prokop muss sich der Gefahr, die von seinem Pulver ausgeht, erst bewusst werden. Dies lässt sich auf den Regisseur und seine Inszenierung übertragen: Er muss aufpassen, dass er sein Pulver nicht zu früh verschießt. Das glückt ihm leider nicht immer.

Durchweg gelungen dagegen ist die Musik von Milan Cais. Sphärisch-düstere Klangteppiche wechseln sich ab mit burlesken Passagen, die das mitunter sehr körperliche Spiel treffend illustrieren.

Ein Wermutstropfen allerdings: Jener Mitarbeiter, der für das Weiterklicken der englischsprachigen Übertitel sorgt, hat noch Mühe, mit dem auf der Bühne Gesprochenen Schritt zu halten. Bei der zweiten Premiere am 23. Oktober nämlich stimmten diese oft nicht mit dem Gesagten überein – und diese Asynchronizität stört leider, besonders bei einem langen Theaterabend. Doch das Stück ist noch jung, und es darf davon ausgegangen werden, dass sich die technischen Abläufe verbessern werden.

Die spielfreudige und ideenreiche Inszenierung ist einen Theaterbesuch in jedem Falle wert. Man sollte nur die Dauer von knapp 180 Minuten im Hinterkopf behalten, denn nicht nur durch die Übertitelung verlangt das Stück dem Publikum ein hohes Maß an Konzentration ab.

Krakatit. Švandovo divadlo, Štefánikova 57, Prag 5, Dauer: 175 Minuten exkl. Pause, Eintritt: 180–290 CZK, Aufführungen mit englischen Übertiteln: 8. & 23. November sowie 19. & 27. Dezember, jeweils 19 Uhr

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