Im Labyrinth der Hussiten

Im Labyrinth der Hussiten

Im südböhmischen Tábor tauchen Besucher in die Geschichte der Glaubensbrüder um Jan Hus ein

28. 5. 2014 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Matt Borak

Verwinkelte Gassen, eine stattliche Burganlage und ein Labyrinth dunkler Katakomben – als mittelalterliche Perle wie aus dem Bilderbuch bewerben Reiseführer das südböhmische Tábor. Wer mit dem Zug anreist und am Hauptbahnhof aussteigt, mag der Beschreibung kaum glauben: Graue Kleinstadthäuser und Geschäfte ohne Charme künden von einer eher reizlosen Stadt, von Mittelalter und bewegter Geschichte keine Spur. Dem spontanen Impuls – in den nächsten Zug Richtung Budweis zu steigen – sollte man dennoch nicht nachgeben. In etwa 20 Minuten zu Fuß erreicht man den idyllischen Stadtkern, der den Besucher sofort mit dem ersten Eindruck versöhnt.

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts auf einer Anhöhe am Fluss Lužnice (Lainsitz) von den Taboriten – einem besonders radikalen Flügel der Hussiten – gegründet, entwickelte sich die Stadt zu einer Hochburg der Hussitenbewegung. Von hier aus zogen die Glaubensbrüder des 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannten Jan Hus unter ihrem Anführer Jan Žižka gegen den Adel und die katholische Kirche in den Kampf. Die Stadt hat daher im Nationalbewusstsein vieler Tschechen einen besonderen Platz. Mit dem Festival „Táborská setkání“ („Taborer Begegnungen“) gedenken sie alljährlich im September der religiösen Rebellen. Marktleute, Ritterspiele, Gaukler und ein festlicher Umzug zu Ehren Žižkas bringen das Mittelalter für drei Tage wieder in die Straßen zurück.

Ihre neue Stadt gestalteten die Taboriten damals nach dem Prinzip des gemeinschaftlichen Eigentums, Privatbesitz wurde gänzlich abgeschafft. So musste, wer sich in Tábor niederlassen wollte, sein Hab und Gut in den auf dem Marktplatz aufgestellten Bottichen hinterlassen. Die gesammelten Habseligkeiten wurden nach Bedürfnissen an die Mitglieder der Gemeinschaft verteilt. Der „christliche Kommunismus“ war jedoch nur von kurzer Dauer. Schon nach einem halben Jahr sollen sich einige Bürger an speziellen Abgaben der Bauern bereichert haben, sodass sich recht schnell wieder materielle Ungleichheiten herausbildeten.

Vom gemeinschaftlichen Grundgedanken zeugen heute noch zwei steinerne Tische vor dem alten Rathaus. Auf ihnen wurde das Abendmahl gespendet. Das alte Rathaus mit seinem markanten Renaissancegiebel beherbergt heute das Hussitenmuseum, in dem man sich ausführlich über die Stadtgeschichte informieren kann. Im gotischen Saal ist ein Reiterstandbild Žižkas zu sehen, das Bohumil Kafka als Vorlage für sein ungleich monumentaleres Denkmal des Hussitenführers auf dem Prager Vítkov-Hügel diente.

Das Museum bietet auch Führungen durch ein System unterirdischer Gänge an. Etwa 14 Kilometer lang sollen die Katakomben von Tábor insgesamt gewesen sein. Noch begehbar ist heute ein Teilabschnitt von rund 700 Metern. Ein Besuch lohnt sich. In bis zu zwölf Metern Tiefe erfährt man nicht nur, wo und wie die Taboriten ihre Vorräte lagerten. In die dunkel-kalte Unterwelt wurden vor allem zänkische Frauen und Straftäter verbannt. Bei Angriffen diente das im 16. Jahrhundert angelegte unterirdische Gangsystem als sicheres Versteck.

Um den Marktplatz, den „Žižkovo náměstí“, winden sich zahlreiche enge Gassen. Die ursprünglich unübersichtlich angelegten Straßenzüge sollten die Verteidigung der Stadt erleichtern. Einen Überblick über das Gassengeflecht und die spätgotischen Bürgerhäuser kann man sich auf dem Kirchturm der Dekanatskirche verschaffen, zu deren Füßen eine Statue Žižkas den Platz überwacht. Nach 250 Treppenstufen und einem Parkours durch das Glockengestühl blickt man in 70 Metern Höhe bis auf das nahegelegene Wallfahrtskloster Klokoty. Man erreicht es über einen schmalen Weg von der recht gut erhaltenen Burganlage Tábors hinab ins Flusstal der Lužnice. Ein Kreuzweg führt dann wieder hügelaufwärts zu dem barocken Kloster, dessen zehn Türme die gefalteten Hände der Jungfrau Maria symbolisieren sollen.

Tábor zeigt sich als erstaunlich grüner Ort. Nahe dem Stadtzentrum erstreckt sich der Jordán, der älteste Stausee Europas. Er wurde 1492 angelegt, in dem Jahr, da Kolumbus Amerika entdeckte. Derzeit wird der See neu geflutet, zum Baden lädt er wohl frühestens im kommenden Sommer wieder ein. Radfahrer und Flaneure dürften das Flusstal und der grüne Gürtel westlich der Altstadt erfreuen. Von hier aus gelangt man auf einem Wanderweg ins ländlich-wilde Wolfstal (Vlčí důl). Ein anderes Ausflugsziel liegt rund fünf Kilometer südöstlich von Tábor: die Ruine der gotischen Burg Kozí Hrádek, in der Jan Hus vor seiner tödlichen Reise nach Konstanz zwischen 1412 und 1414 lebte.

TIPPS

Hussitenmuseum, Žižkovo náměstí 2, geöffnet: April bis Mai täglich 9 bis 17 Uhr, Oktober bis März mittwochs bis samstags 9 bis 17 Uhr, Eintritt: 50 CZK (ermäßigt 30 CZK), Gruppenführungen nach Voranmeldung auch auf Englisch und Deutsch, Tel. +420 381 254 286 www.husitskemuzeum.cz

Aussichtsturm der Dekanatskirche, Žižkovo náměstí, geöffnet: Mai bis August täglich 10 bis 17 Uhr, Eintritt: 30 CZK

Táborská setkání, 12. bis 14. September, www.taborskasetkani.eu