Hilfe für Kinder ohne Namen

Hilfe für Kinder ohne Namen

Seit zehn Jahren stellt Ludvík Hess Babyboxen in Tschechien auf. Mehr als 100 Säuglinge wurden darin bereits anonym abgelegt

14. 1. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Kirk

Nur in eine Decke war das Mädchen ohne Namen gewickelt, als es im Dezember gefunden wurde. Gerade auf die Welt gekommen, wollte es jemand loswerden. Eine verzweifelte Mutter womöglich, die keinen Weg sah, sich um ihr Kind zu kümmern? Man wird es wahrscheinlich nie erfahren, denn das Kind wurde ohne Hinweise auf seine Herkunft in eine Babybox in Prag gelegt – so heißen in Tschechien die Einrichtungen, die in Deutschland als Babyklappen oder Babyfenster bekannt sind. Für ihre Verbreitung setzt sich hierzulande seit zehn Jahren der Schriftsteller und Pferdezüchter Ludvík Hess ein.

Die Klappen sind meist an öffentlichen Gebäuden wie Kranken- oder Rathäusern angebracht. Mütter können ihre Säuglinge dort anonym ablegen, woraufhin umgehend medizinisches Personal alarmiert wird. So würden Neugeborene gerettet, die sonst in einem Mülleimer oder auf einer Parkbank ausgesetzt würden, sagen Befürworter. Gegner kritisieren, dass es den Eltern auf diese Weise zu leicht gemacht würde, ihre Säuglinge loszuwerden. Außerdem würden die Kinder des Rechts beraubt, ihre Eltern und ihre Herkunft zu kennen. So sieht es zum Beispiel der UN-Ausschuss für Kinderrechte, der die Entwicklung 2011 als beunruhigend bezeichnet und erklärt hatte, dass die tschechischen Babyklappen gegen mehrere Artikel der Kinderrechtskonvention verstießen: Sie stünden im Widerspruch zum Recht auf Namen, Identität, Staatsangehörigkeit und die Möglichkeit, die eigenen Eltern zu kennen.

Gewachsene Akzeptanz
Auch in Tschechien überwogen die kritischen Stimmen, als vor zehn Jahren die erste Babybox eingerichtet wurde. Mittlerweile habe sich das geändert, sagt Ludvík Hess. Für ihn besteht der Grundgedanke der UN-Konvention darin, das Leben der Kinder zu retten, und dazu trage die Babybox bei, die er mit der Feuerwehr vergleicht: „Es ist gut, dass es sie gibt. Aber es ist besser, wenn sie nicht gebraucht wird.“ Die Einrichtungen sind nach zehn Jahren weitgehend akzeptiert in Tschechien, ein Großteil der Bevölkerung hält sie für nützlich. 63 Boxen gibt es bereits, drei weitere sollen in den kommenden Monaten aufgestellt werden. Insgesamt wurden in zehn Jahren bisher 112 Kinder abgegeben. Das Mädchen, das im Dezember in die Babybox am Rathaus von Prag 6 gelegt wurde, war das zwölfte, das 2014 in Tschechien auf diesem Weg gefunden wurde. Hess gab ihm den Namen Jitka.

Das erste tschechische Babybox-Kind heißt Soňa und wird in diesem Jahr seinen neunten Geburtstag feiern. Manchmal sieht Hess die Kinder später wieder, ganz selten kommt es vor, dass sich auch die Mütter melden. „Vielleicht dreimal“ habe er das in zehn Jahren erlebt. Wenn jemand ein Kind abgebe, sei er der erste, der davon erfahre, sagt Hess und kramt in seiner Hosentasche nach dem Handy. Er bekommt automatisch eine SMS und eine Mail mit einem Foto aus der Box. Die meisten Babyboxen gehörten inzwischen der neuen Generation an, sagt der Initiator. Sie seien nicht nur klimatisiert und mit einem Alarm ausgestattet, sondern auch mit einer Kamera. Die Findelkinder werden zuerst von Medizinern untersucht, dann wird ein Sozialarbeiter der zuständigen Behörden informiert. Im Idealfall findet sich schnell eine Pflegefamilie, die das Kind auch adoptieren will. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Kinder nicht in einem Heim aufwachsen“, so der 67-Jährige, der sich selbst als „Baby-Opa“ bezeichnet.

Während in Deutschland verschiedene Hilfsorganisationen hinter den Klappen und Fenstern stehen, kümmert sich Hess mit seiner Stiftung und in Zusammenarbeit mit dem Hersteller weitgehend allein um alle tschechischen Babyboxen. Das sei einfach so über ihn gekommen, meint der Autor von Pferdebüchern und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Divoké víno“ („Wilder Wein“). Er erzählt von einem Gedicht über einen toten Säugling, das ihn sehr berührt habe. Genaueres verrät er über seine Motivation nicht. Aber er will nicht nur den Kindern helfen, sondern auch den Müttern.

Deswegen hat er eine Notunterkunft auf seinem Grundstück in Prag 10 eingerichtet, wo sich Hess außerdem um seine 30 Pferde kümmert. In einem Haus ist Platz für vier Mütter mit Kindern, ein weiteres für zwei Mütter baut er gerade mit Hilfe eines Sponsors. Auch bei den Babyboxen, die beim Gesundheitsamt als „medizinische Produkte“ registriert sind, ist er auf Spender und Unterstützer angewiesen, um das Geld für Installation, Betrieb und Wartung aufzubringen. Noch etwa zehn bis 20 Babyboxen wolle er aufstellen, sagt Hess. Dann seien alle größeren Städte des Landes mit solchen Einrichtungen versorgt.