Großes Thema auf kleiner Bühne

Großes Thema auf kleiner Bühne

David Czesanys Inszenierung von Havels „Sanierung“ im Theater am Geländer ist eine Typologie von Widerstand und Anpassung

9. 1. 2014 - Text: René PfaffText René Pfaff; Foto: Jan Dvořák

 

Hoch oben über einer namenlosen Stadt (die in David Czesanys Inszenierung unschwer als Prag erkennbar ist) wird verfügt: Die Moderne soll Einzug halten, die Altstadt muss weg. Insbesondere den im Argen liegenden hygienischen Verhältnissen soll damit endlich der Garaus gemacht werden. Beauftragt mit der praktischen Umsetzung dieser Direktive wird das städtische Architekturbüro.

Die Planung schreitet munter voran, doch erwachsen manchem Mitarbeiter Zweifel an Sinn- und Rechtmäßigkeit dieses Vorhabens. Ein Zeichner hintertreibt gar aktiv seine Arbeit, indem er heimlich das Manifest für eine Bürgerbewegung verfasst, die gegen die Reformen Protest anmeldet. Dass das herrschende System nicht nur autoritäre, sondern auch repressive Züge hat, wird nicht zuletzt am Umgang mit den beiden Sprechern der Bürgerbewegung deutlich: Die „Wutbürger“ werden kurzerhand in den Kerker gesteckt.

Seit 2012 steht Václav Havels absurdes Stück „Asanace“ (zu Deutsch „Sanierung“) auf dem Spielplan des Theaters am Geländer (Divadlo Na zábradlí). Hier im heimeligen Kammertheater in der Prager Altstadt nahm Václav Havels Karriere als Dramatiker einst ihren Anfang. Fast zwei Jahre nach seiner Premiere ist das Stück naturgemäß nicht frei von einer gewissen Routine. Diese im Verbund mit Czesanys gleichzeitig plakativem wie symbolhaftem Inszenierungsstil und der für nicht-tschechischsprachige Theatergänger nur mühsam im Auge zu behaltenden Übertitelspur macht das Stück zu einer Herausforderung. Doch das heißt keinesfalls, dass sich der Theaterbesuch nicht lohnt.

Václav Havel schrieb das Stück 1987 und übte damit vor allem Kritik am damaligen Regime. Das absurde Theater setzte den Absurditäten des kommunistischen Bürokratismus den Spiegel vor. Havel spielt in „Asanace“ mit Formen der Anpassung und des Widerstandes gegen ein autoritäres System und mit einer Frage, die nichts an Aktualität eingebüßt hat: Wie reagieren Menschen, wenn sie mit ihrem Gewissen konfrontiert werden?

Vom skrupellosen Karrieristen über schleimige Stiefellecker bis zum resignierenden Bürovorsteher: Das Stück ist vor allem eine aufschlussreiche psycho­logische Typenstudie. Die Modernisierung und der Umgang des einzelnen Bürgers damit sind ein zeitloses Grundproblem; was in sozialistischer Zeit unabwendbar erschien, erhält heute einen freiheitlich-demokratischen Anstrich. Der Staat gefällt sich als progressiver Impulsgeber und Reformmotor – doch Fortschritt für viele bedingt oft Rückschritt für wenige. In „Asanace“ ist das die kleine Minderheit unzufriedener Stadtbewohner, die durch die bevorstehenden Sanierung ihre Heime verlieren werden.

Unter Czesanys Regie findet dieser Diskurs allerdings eher im Hintergrund statt. Die Inszenierung hat vielmehr ästhetischen Wert. Der Regisseur schafft eine beklemmende Atmosphäre aus Verzweiflung und Aufbegehren. Die teils komischen Effekte sind gelungen – nutzen sich im Laufe der zweieinhalb Stunden Spielzeit aber leider allzu schnell ab. Schwerer hingegen wiegt die Unübersichtlichkeit auf der Bühne. Die schiere Ballung und Häufung der Schauspieler und Schauspielerinnen sind zu viel für die eher intime Bühne des Theaters; Szenen, in denen sich sechs oder mehr Schauspieler auf der Bühne regelrecht auf die Füße treten, sind leider mehr Regel denn Ausnahme. Auch Tomáš Bambušeks raffiniertes mehrgeschossiges Bühnenbild kann keine Abhilfe schaffen, wenn der kleine Spielraum nicht nur räumlich, sondern auch dramaturgisch an seine Grenzen stößt. Die durchweg guten bis sehr guten Schauspielleistungen sowie die zeitlos-aktuelle Thematik rechtfertigen aber dennoch den Besuch im Theater am Geländer.

Havels „Asanace“ im Divadlo Na zábradlí (Anenské nám. 209/5, Prag 1), weitere Aufführungen: Donnerstag, 16. Januar und Freitag, 7. Februar jeweils um 19 Uhr, Dauer: 2 Stunden 20 Minuten (mit Pause), Eintritt: 250 bis 350 Kronen, www.nazabradli.cz

Havel-Stücke im Nationaltheater
Zwei Jahre nach Havels Tod und im Jahr, in dem sich die Samtene Revolution zum 25. Mal jährt, setzen mehrere Prager Bühnen Stücke des Dichterpräsidenten in Szene. Aktuell können Theaterbesucher neben der „Sanierung“ eine moderne Aufführung von Havels „Gartenfest“ („Zahradní slavnost“) im Ständetheater und an der Neuen Bühne des Nationaltheaters „Antikódy“, eine multimediale Interpretation seines gleichnamigen Gedichtbands, sehen.

Als visuelle Gedichte, grafische Wortspiele an seiner Schreibmaschine verstand Havel seine experimentelle Poesie aus den sechziger Jahren. Erklärtes Ziel des jungen Teams um Regisseur Bráňo Mazúch: Die Kombination aus Bühnentanz, Projektionen und Live-Lichtanimationen soll Havels Verständnis von seinen „Typogrammen“ als „lebendige Strukturen“ einem internationalen Publikum näher bringen.

Begeisterung löst beim Publikum ebenso wie bei den Theaterkritikern die Havel-Inszenierung des deutsch- und tschechischsprachigen Regisseurs Dušan D. Pařízek aus. Das prunkvolle Interieur des Schauspielhauses kontrastiert Pařízeks Version des „Gartenfests“ mit einem minimalistischen Bühnenbild und einer Inszenierung, die von der Bühne auf die Sitzreihen überschwappt. Da entpuppt sich ein unscheinbarer Zuschauer schon mal als exzentrischer „Eröffner“ des Gartenfests – furios und mit vollem Körpereinsatz gespielt von Vladimír Javorský. Der überrollt bald das Publikum mit seinem Selbstbewusstsein, zwingt es „Das Gartenfest gehört uns allen“ im Kanon zu singen, nur um später Opfer des bürokratischen Apparats zu werden, in dem nur besteht, wer sich am geschmeidigsten den Machtverhältnissen unterordnet. Eine beklemmend komische Parodie auf die normalisierte Gesellschaft der Tschechoslowakei. Sehr gute Tschechisch-Kenntnisse sind für den Genuss dieses unterhaltsamen Stücks Voraussetzung.   (mn)

Nächste Aufführungen – Anticodis: 10. Januar, 25. März, 9. April; Das Gartenfest: 13. und 23. Januar, 6. und 26. Februar, 30. März, Weitere Informationen unter www.narodni-divadlo.cz

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