Gescheiterter Widerstand

Gescheiterter Widerstand

Vor 70 Jahren formierte sich der Slowakische Nationalaufstand

27. 8. 2014 - Text: Daniela CapcarováText: Daniela Capcarová; Foto: Vom „Freien Slowakischen Sender Banská Bystrica“ aus wurde der Nationalaufstand ausgerufen. (SZPB Košice)

Vor 70 Jahren, am 29. August 1944, begann der Slowakische Nationalaufstand gegen die deutsche „Schutzmacht“ und die Regierung unter „Führer und Präsident“ Jozef Tiso. Für die slowakische Geschichte hat der Aufstand eine ähnliche Bedeutung wie der Warschauer Aufstand in Polen, allerdings mit einem Unterschied: Während die Rolle der Roten Armee beim Warschauer Aufstand umstritten ist, wollten die slowakischen Aufständischen gegen den Faschismus kämpfen und einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das Vorrücken der Sowjets in Richtung slowakisches Partisanengebiet zu unterstützen.

Die Situation vor dem Aufstand schildert Pavol Burák, Historiker aus Košice (Kaschau): „Durch das Münchner Abkommen verlor die Tschechoslowakei das Sudetenland. Danach folgte der Erste Wiener Schiedsspruch, nach dem die Tschechoslowakei 1938 ihr Südgebiet und die Karpato-Ukraine an Ungarn abtreten musste. Am 14. März 1939 wurde auf dem Gebiet der autonomen Slowakei ein klerikal-faschistischer Staat ausgerufen.“

Sowohl die Slowakei als auch Ungarn seien Verbündete Hitlers gewesen, so der Historiker, dennoch habe sich die politische Situation in beiden Ländern voneinander unterschieden: „Am deutlichsten kam das bei der Judendeportation zum Vorschein. Die ersten Transporte aus dem Gebiet der Slowakei unter dem mit Hitler verbundenen Präsidenten Jozef Tiso erfolgten bereits 1942. Die Judendeportationen in Ungarn begannen dagegen erst im Mai 1944. So durften die Juden in Košice, das damals zu Ungarn gehörte, bis 1944 in der Stadt bleiben, während die Juden aus dem 40 Kilometer entfernten Prešov schon zwei Jahre vorher deportiert wurden“, erklärt Burák.

Es gab jedoch viele Slowaken, die gegen das Regime von Hitlers Verbündetem Tiso waren und Juden während des Krieges Unterschlupf gewährten. „Auf dem Gebiet der Slowakei fanden auch viele russische Kriegsgefangene Schutz, die aus den nationalsozialistischen Gefangenenlagern in die slowakischen Berge geflüchtet waren. Nach Russland durften sie nicht mehr, dort drohte ihnen wegen Spionageverdacht das Todesurteil oder der Gulag“, schildert Burák. „So formierten sich in der Slowakei die ersten Partisanentruppen. Außerdem fand der Widerstand gegen die Nazis immer größere Unterstützung seitens der Eliten der politischen Diaspora – sowohl der kommunistischen in Moskau als auch derjenigen in London.“

Verratene Pläne
Im Frühling und Sommer des Jahres 1944 gewann die slowakische Partisanenbewegung immer größere Bedeutung. „Der damalige slowakische Präsident Tiso berief die deutsche Armee auf das Gebiet des Slowakischen Staates, um den Aufstand zu unterdrücken. Am Vormittag des 29. August 1944 besetzte die deutsche Armee die Slowakei“, erklärt der Historiker den Anfang des Nationalaufstands. Am selben Tag habe der Freie Sender in Banská Bystrica, dem Zentrum des Widerstands, zum Aufstand aufgerufen. Zentrales Gebiet der Auflehnung gegen die Besatzer und ihre Lakaien war die Mittelslowakei, obwohl sich auch im Osten des Landes Partisanenbrigaden gebildet hatten. Der Hauptorganisator des Nationalaufstands war der Slowakische Nationalrat, der aus der breiten antifaschistischen Front hervorgegangen war. Der Nationalrat koordinierte die Partisanenkämpfe, die militärische Hauptkraft lag jedoch bei der slowakischen Armee. Ein Teil des Heeres, das de facto Jozef Tiso unterstand, hatte sich ohne dessen Wissen mit dem Slowakischen Nationalrat abgesprochen.

Wichtige Unterstützung erwartete der Nationalrat von zwei Divisionen der slowakischen Armee im Osten der Slowakei. Sie befanden sich in dem Gebiet, in dem deutsche Soldaten starke Abwehrpositionen ausbauten. „Die zwei Divisionen sollten die deutsche Abwehr zerstören und das Vorrücken der Roten Armee auf slowakischem Gebiet bis nach Banská Bystrica unterstützen“, sagt Burák. Doch die Pläne wurden verraten. Hitler ließ die Einheiten im Osten der Slowakei – vermutlich am 31. August – entwaffnen, die ersehnte Hilfe für die Aufständischen in Banská Bystrica blieb aus.

Laut Informationen aus dem Buch von Helena Pažurová „Východoslovenská armáda“ („Die ostslowakische Armee“) fand die Entwaffnung der zwei Divisionen durch die deutsche Armee am 31. August 1944 statt. „Manche Einheimische wurden in die slowakische Armee berufen, trafen jedoch nicht in der Kaserne ein oder verließen sie noch vor der Entwaffnung und gingen zu den Partisanen in die Berge“, erzählt Burák. „Diejenigen, die in der Kaserne blieben, wurden in die Gefangenenlager nach Deutschland und zur Zwangsarbeit deportiert.“

Was das für die Menschen damals bedeutete, zeigt die Geschichte von Peter Capcara. Seinen Einberufungsbefehl erhielt er am 10. August 1944. Als Reservesoldat sollte er in das motorisierte Schutzbataillon der östlichen Divisionen in Prešov eintreten. Nach dem Ausbruch des Nationalaufstands am 29. August wurde in der Kaserne die Kriegsbereitschaft ausgerufen. Nach der deutschen Besatzung kapitulierten die Kasernenleiter und befahlen auch den Soldaten die Kapitulation. Und doch kam es zu spontanen Feuergefechten zwischen deutschen und slowakischen Soldaten, bei denen mehrere Slowaken den Tod fanden.

Ersehnte Stunde
Die Überlebenden suchten Zuflucht in den umliegenden Wäldern, um die Partisanenbewegung und den Aufstand zu unterstützen. Peter Capcara kam gemeinsam mit seinem Bruder Michal und den anderen Partisanen in die Nähe der Stadt Liptovský Mikuláš, wo sich einige der schwersten Kämpfe ereigneten. Peter und Michal wurden mit ihrer Partisanengruppe von den Deutschen umzingelt. Michal wurde zu Tode gefoltert, Peter mit anderen gefangenen Partisanen nach Prešov gebracht. Am Hauptbahnhof luden die Deutschen ihn mit weiteren Partisanen in einen Viehtransport. Der Zug fuhr über Ungarn in das Gefangenenlager STALAG II/A in Neubrandenburg – einige der Gefangenen verstarben während dieser Fahrt.

Das Lager war mit elektrischem Stacheldraht eingezäunt, eine Flucht unmöglich. Je näher die Rote Armee Richtung Deutschland vorrückte, desto weniger bekamen die Häftlinge zu essen und zu trinken. Jeden Tag starben im STALAG II /A bis zu 20 Gefangene. „Am 28. April erlebten die Neubrandenburger Kriegsgefangenen die langersehnte Stunde des Kriegsendes“, schreibt Dieter Krüger in seinem Buch „…doch sie liebten das Leben“. Für Peter Capcara hieß das, dass ihm der lange Heimweg auf Lastkraftwagen der Roten Armee aus Deutschland und dann zu Fuß in die Heimat bevorstand. Erst zuhause erfuhr er, dass der Slowakische Nationalaufstand, an dem er teilgenommen hatte, bereits am 27. Oktober 1944 niedergeschlagen wurde. An diesem Tag eroberten die Deutschen Banská Bystrica. Danach begann in der Slowakei die Zeit des Terrors. Die deutschen Einheiten ermordeten Partisanen, Soldaten, Zivilisten, Frauen und Kinder und setzten ganze Dörfer in Brand. Nach Angaben der slowakischen Presseagentur SITA sollen bei den Kämpfen insgesamt mehr als 10.000 Partisanen und slowakische Zivilisten ums Leben gekommen sein.

Laut SITA befinden sich in deutschen Archiven bis heute „interessante Dokumente“ über den Slowakischen Nationalaufstand, über den Einsatz der deutschen Truppen und die Beurteilung der einzelnen Kampftage. Auch Geheimdienstinformationen über die Unterdrückung des Aufstandes sollen dort lagern.

Das Museum des Slowakischen Nationalaufstandes in Banská Bystrica bedauert, dass junge Menschen in der Slowakei heutzutage nur sehr wenig über das Ereignis wüssten und sich über dessen Bedeutung gar nicht bewusst seien. Slowakische Schulgeschichtsbücher widmeten sich der Problematik nur am Rande. „Das ist schade, denn der Slowakische Nationalaufstand war Ausdruck der Zivilcourage unseres Volkes, die in der heutigen slowakischen Gesellschaft oft fehlt“, meint Burák. „Außerdem müsste man noch den Verlauf des Aufstands in den Gebieten der Slowakei erforschen, die im Krieg an Ungarn abgetreten wurden.“