Film ab am Kieselstrand

Film ab am Kieselstrand

Binnen einer Woche wird aus einer Brachfläche in Smíchov ein Sommerkino mit Blick auf die Moldau. An diesem Freitag beginnt dort die Film-Saison

25. 6. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

 

Sommer ist, was in deinem Kopf passiert. Auf der Suche nach dem Sommerkino in Smíchov schleicht sich diese Liedzeile ins Ohr. Einen Tag vor dem kalendarischen Sommeranfang muss am Oberen Ufer der Moldau (Hořejší nábřeží) noch recht viel im Kopf passieren. Nicht nur die Sonne muss man sich bei dicken Wolken und Windböen vorstellen. Auch für das Sommerkino, das in einer Woche hier direkt am Ufer eröffnen soll, braucht es noch viel Fantasie. Im Wasser ziehen die Schwäne ungestört ihre Bahnen, am Kieselstrand schwankt ein junger Mann entlang, der offenbar noch von letzter Nacht übriggeblieben ist. In regelmäßigen Abständen rauscht ein Zug über die nahegelegene Eisenbahnbrücke, die auch Fußgänger vom ordentlich gepflasterten Ufer östlich der Moldau nach Smíchov bringt: Von der Brücke aus geht es an einem Großhandel vorbei zur Brachfläche mit Kieselstrand, gegenüber liegt eine Brauerei, dazwischen die Straße. „Einfach herrlich, idyllisch“, findet Lukáš Otevřel und es dauert eine Weile, bis man versteht, was er meint. „Stellen Sie sich vor, wie hier abends alles leuchtet, der Horizont, der Vyšehrad, das Emmauskloster.“

Es ist Freitag, Otevřel hat noch eine Woche Zeit, den Ort in ein Sommerkino zu verwandeln. „Das reicht“, sagt er gelassen und blickt von der Moldau zur Eisenbahnbrücke und wieder zurück. „Letztes Jahr haben uns sogar drei Tage genügt.“ Vergangenen Sommer hat der Wahl-Prager aus dem Uferareal in Smíchov zum ersten Mal ein Kino gemacht. Ursprünglich war er damals allerdings auf der Suche nach einem Ankerplatz für ein Hausboot, das auch als Galerie dienen sollte. Der Platz nahe der Eisenbahnbrücke gefiel ihm. Bevor er dort das Schiff anlegte, musste er dem Ort aber erst einmal „Leben einhauchen“, wie der 33-Jährige sagt. Er beschloss, es mit Filmvorführungen im Freien zu versuchen und eröffnete das „Výletní kino“ – was sich etwa mit „Ausflugskino“ übersetzen lässt.

In die industrielle Umgebung von Smíchov, die das Stück Ufer zwischen Eisenbahnbrücke und Brauerei prägt, wollte er im vergangenen Jahr so wenig wie möglich eingreifen. Die Leinwand wurde direkt über der Moldau aufgespannt, davor entstanden Sitzgelegenheiten und ein paar Zelte, in denen Getränke verkauft wurden – fast fertig war das Freilicht-Filmtheater: „Das hier ist das Herz unseres Kinos“, erklärt Otevřel und deutet auf einen rot angemalten Container, der etwas verloren mitten auf dem Gelände steht, etwa auf halber Höhe zwischen Ufer und Straße. Dass aus diesem Mini-Bunker einmal das Herzstück eines Sommerkinos werden würde, damit haben die sowjetischen Soldaten wohl nicht gerechnet, die ihn im Jahr 1968 „bei der Okkupation mitgebracht haben“, so Otevřel. Die Hinterlassenschaft der Sowjets überdauerte inmitten einer Gartenkolonie und kam dem Kinobetreiber gerade recht, als er einen Ort suchte, an dem er den teuren geliehenen Projektor sicher verwahren konnte. Ein bisschen musste der Bunker seiner neuen Funktion angepasst werden, Rohre wurden angebracht, damit die heiße Luft während der Vorführung nach draußen gelangt, das Logo des „Výletní kino“ wurde aufgemalt.

Sein Ziel hat Otevřel im vergangenen Jahr erreicht: Die Brachfläche erwachte zu neuem Leben, zu den 60 Filmvorführungen kamen oft mehrere hundert Zuschauer, die sich schon vorher auf ein Glas Prosecco oder eine Tasse Kaffee trafen und nach dem Abspann noch ein wenig blieben, um den idyllischen Abend mit Blick auf das andere Ufer zu genießen. Eigentlich hätte er es damit belassen und das Hausboot anlegen können, er hatte dem Ort schließlich genug „Energie verliehen“. Doch weil das Kino gut lief, suchte er für das Galerie-Schiff einen anderen Ort und ließ die Brachfläche in Smíchov über den Winter wieder einschlafen, um sie jetzt noch einmal in ein Filmtheater zu verwandeln.

Die Zuschauerkapazitäten hat Otevřel erweitert. Bis zu 800 Menschen sollen jetzt Platz finden, ein Teil davon auf großen Sitzsäcken für je zwei Personen, die man sich im Freilicht-Kino ausleihen kann. Dazu gibt es weitere Sitzgelegenheiten und kleine Tische, eine sommerliche Landschaft wird aufgebaut und Container, die als Lagerräume dienen und zugleich den Straßenlärm abfangen sollen. Am Konzept hat sich aber nichts geändert: Auch in diesem Jahr soll sich das Kino in die vorhandene Landschaft einfügen, der industrielle Charme erhalten bleiben. „Wir respektieren die Umgebung“, erläutert Otevřel – das gelte auch für den Baucontainer, den der Kinobetreiber als „Wunde“ inmitten der Kinofläche bezeichnet. Er zeugt von einer Baugrube unter der Moldau und steht Otevřel zufolge schon seit zwei Jahren an dieser Stelle. „Man kann dabei zusehen, wie hier nichts passiert.“ Da der Bunker schon einmal da ist, soll auch er Teil des Gesamtkunstwerks werden. Der Kinobetreiber verspricht eine Installation, in die der Container mit einbezogen werden soll.

Wenn am Freitag, 27. Juni mit „Begin again“ (tschechischer Titel: „Love Song“) der erste Film des Jahres im „Výletní kino“ läuft, weiß der Betreiber selbst nicht, ob es vielleicht schon die letzte Saison am Ufer in Smíchov werden könnte. Er denke lieber von Jahr zu Jahr, sagt er. Zwar habe er das Grundstück langfristig gepachtet, aber vielleicht werden doch noch die ursprünglichen Pläne eines Investors realisiert. Der will ein Luxus-Hotel errichten – dort, wo jetzt das „Herz des Kinos“ steht. Solange es geht, will Otevřel weitermachen – und eventuell wird er sein Konzept schon bald in andere Länder expandieren. Aber darüber darf er noch nicht viel verraten.

Sommerkinos in Prag

Výletní kino Smíchov, Hořejší nábřeží 2, Prag 5, Einlass täglich ab 18 Uhr, Filmbeginn 22 Uhr, Eintritt 100 CZK,
www.vyletnikino.cz

Karlínské filmové léto, Hybešova 10, Prag 8, Einlass täglich ab 20.30 Uhr, Filmbeginn 21.30 Uhr, Eintritt 50 CZK,
www.karlinske-filmove-leto.cz

MeetFactory, Ke Sklárně 3213/15, Prag 5, Vorführungen mittwochs, Filmbeginn im Juli um 21.30 Uhr, im August und September um 20.30 Uhr, Eintritt 80 CZK, www.meetfactory.cz/en/letnikino

Žluté lázně, Podolské nábřeží 3/1184, Prag 4, Vorführungen dienstags, Filmbeginn nach Einbruch der Dunkelheit, Eintritt frei, www.aperolspritzkino.cz

U Trojského koně, Vodácká ulice, Prag 7, Vorführungen dienstags, Filmbeginn im Juli ab 21 Uhr, im August ab 20.30 Uhr, Eintritt frei, www.utrojskehokone.cz

Kinematograf Bratří Čadíků, Českomoravská 2420, Prag 9, Vorführungen freitags bis sonntags, Filmbeginn im Juli um 21.30 Uhr, im August um 21 Uhr, Eintritt 100 CZK, www.letniscenaharfa.cz

Die Filme werden in der Regel in der Originalsprache mit tschechischen Untertiteln gezeigt.