Festival mit Tränengas

Festival mit Tränengas

Petra Voráčková war als freiwillige Helferin im griechischen Flüchtlingscamp Idomeni

18. 5. 2016 - Text: Katharina WiegmannInterview: Katharina Wiegmann; Fotos: Petra Voráčková

Petra Voráčková schreibt einen Reiseblog. Auf ihrer Internetseite „Restless Child“ gibt sie in kurzen Videos Tipps für den nächsten Städtetrip, lächelt aus einem Pool in Bangkok in die Kamera oder leert die Minibar in einem schicken Hotelzimmer. Im Frühjahr tauchten auf einmal Bilder von windschiefen Zelten und lachenden dunkelhaarigen Kindern auf ihrer Facebook-Seite auf. Vier Wochen lang verbrachte die 22-Jährige im griechischen Flüchtlingscamp Idomeni. Mit einem Freiburger Fotografen gründete sie dort das Projekt „Lighten Up Idomeni“. Sie sammelten Geld für Lampen und verteilten sie im Lager an Familien, die nach Sonnenuntergang oft im Dunkeln saßen. Mit der freiwilligen Helferin über Idomeni zu sprechen, hat auch etwas Erhellendes. Für die großen politischen Debatten interessiert sie sich nicht. Das Wort „Flüchtlinge“ nimmt sie kaum in den Mund, wenn sie von Idomeni redet. Stattdessen erzählt sie von Müttern und Vätern – und von ihrem syrischen Freund Raged.

Warum sind Sie nach Idomeni gefahren?

Im März war ich in Berlin, um einen Vortrag zu halten. Dort lernte ich David kennen, einen Fotografen aus Freiburg. Wir waren beide schon als Frei­willige in Flüchtlingslagern, ich im serbischen Šid, David ganz in der Nähe, im kroatischen Opatovac. Eine Woche später fuhren wir gemeinsam nach Idomeni. Wir wollten fünf Tage bleiben, am Ende waren es vier Wochen.

Haben Sie sich einer Organisation angeschlossen?

David kannte ein paar Leute von IHA (Intereuropean Human Aid Association, Anm. der Red.), aber wir sind beide als unab­hängige Freiwillige nach Idomeni gefahren. Wir haben vor allem mit dem Team Bananas zusammen­gearbeitet. Jeden Morgen verteilten wir 4.500 Bananen an Kinder, Zelt für Zelt. Die Leute im Camp schätzten das sehr, weil sie für die Bananen nicht an­stehen mussten wie für fast alles andere.

Warum haben Sie ein eigenes Projekt gegründet?

Wenn wir im Lager unterwegs waren, wurden wir oft nach Lampen gefragt. Darum hat sich zu diesem Zeitpunkt niemand gekümmert; wir dachten also, dass es Sinn macht, Spenden zu sammeln und Lampen für die Leute zu kaufen. Wir starteten eine Kampagne und dokumentierten die Ergebnisse mit Fotos und Videos. Das hat dem Projekt sehr geholfen. Jetzt kümmert sich IHA darum, mindestens einmal pro Woche werden Lampen verteilt.

Wie ist die Freiwilligenarbeit in Idomeni organisiert?

Ungefähr 20 Minuten von Idomeni entfernt liegt die Kleinstadt Polykastro. Das Park Hotel dort ist momentan das Hauptquartier der Freiwilligen. Jeden Morgen um acht findet ein Informations­treffen statt. Es gibt eine Gruppe, die sich um die neuen Freiwilligen kümmert und eine Homepage betreibt, auf der sich Neuankömmlinge registrieren und einen Überblick verschaffen können. Manche Orga­nisationen haben Apartments in Polykastro angemietet. Es ist gut, mit den Leuten befreundet zu sein, wenn man mal duschen will. Für Polykastro sind die Freiwilligen gut. Sie sind überall, kaufen in den Geschäften ein, sitzen in Cafés, nutzen das Internet und essen am Abend in den Restaurants.

Wie sah Ihr Alltag in Idomeni aus?  

Ich habe auf einem Parkplatz neben dem Park Hotel gezeltet. Jeden morgen um halb neun trafen wir uns im Team. Gegen Mittag waren wir fertig mit dem Verteilen der Bananen. Ich fühlte mich ein bisschen wie eine Postbotin. Jeden Tag sah ich dieselben Gesichter, man unterhielt sich. An schlechten Tagen hatten wir weniger Bananen und mussten kontrollieren, ob die Familien wirklich so viele Kinder haben, wie die Eltern behaupteten. Viele haben uns angelogen, was ich auch irgendwie verstehen kann. Nachmittags bin ich dann zurück nach Polykastro, um an meiner Abschlussarbeit für die Uni  zu schreiben.

Und am Abend?

Ab ungefähr sechs Uhr arbeiteten wir für Lighten Up Idomeni. Ich war dafür verantwortlich, das Team zusammenzustellen, David kümmerte sich um die Logistik. Dann verteilten wir die Lampen im Lager. Nicht jeden Abend – in der letzten Woche mussten wir zum Beispiel ein paar Mal absagen, weil es so stark stürmte und wir dachten, dass die Leute unter diesen Umständen andere Prioritäten haben. Manche schlossen sich dem Team an, das die Zelte reparierte. Und abends haben wir natürlich Ouzo getrunken.

Wie sieht das Leben im Lager für die Flüchtlinge aus?

Nicht schön. Sie warten darauf, dass etwas passiert. Manchmal wird gefragt, warum die Leute keine Asylanträge in Griechenland stellen, schließlich sei das ja auch Europa. Das ist nicht wirklich möglich. Der einzige Weg führt über ein Skype-Interview. Die ganze Prozedur ist lächerlich und funktioniert nur für wenige Stunden am Tag. Ich habe von jemandem gehört, der es über vier Tage mit vier verschiedenen Handys versuchte, bis er endlich durchkam und zur Verteilungsstelle gehen konnte. Bis jetzt sitzen die Leute also nur da und schauen in die Luft. Sie haben viel Zeit nachzudenken. Den Familien geht es ein bisschen besser, weil sie damit beschäftigt sind, sich um ihre Kinder zu kümmern.

Neben Hilfsgütern verteilen die Freiwilligen oft auch einfach eine Umarmung. 

Warum warten die Leute weiterhin?

Es gibt ja keinen anderen Weg. Die einzige Möglichkeit, wenn man nicht in Griechenland Asyl beantragen will, sind die vielen Schmuggler. Eine Familie, die wir alle sehr mochten, verschwand eines Tages. Inzwischen wissen wir, dass sie in München ist. Eine andere Familie hat sich auch einem Schmuggler angeschlossen und wurde irgendwo am Straßenrand in Mazedonien zurück­gelassen. Der Vater sitzt jetzt dort im Gefängnis.

Anfang April kam es zu einem Sturm auf den Grenzzaun, einige versuchten, über ihn zu klettern. Die mazedonische Polizei reagierte mit Tränengas und Gummigeschossen. Wie ­haben Sie die Situation erlebt?

Die ersten beiden Wochen in Idomeni fühlten sich ein bisschen wie ein Sommerfestival an. Die schweren Regenfälle waren vorbei, die Sonne schien und alle waren fröhlich, saßen draußen, spielten Fußball, hatten ein Lächeln auf den Lippen. Am 10. April beschlossen dann viele Leute, dass sie es versuchen wollen. Sie bewegten sich auf die Grenze zu, manche warfen Steine. Die maze­donische Polizei setzte Tränengas ein, was ich direkt an der Grenze sogar verstehe. Steine werfen ist auch nicht gut. Dann landete das Tränengas auf einmal sehr weit weg vom Zaun, zwischen den Zelten. Seitdem weiß ich, dass Cola und Zitronen gegen Tränengas helfen.

Wie war die Zeit danach?

Nach den Unruhen wurden an einem Tag 26 Freiwillige verhaftet. Zum Beispiel ein Engländer, weil er seinen Pass nicht bei sich hatte, oder eine Deutsche, die Pfefferspray in der Tasche trug. Anscheinend ist das in Griechenland illegal. Sie musste einen Tag im Gefängnis verbringen. Aber alle nahmen es locker und waren nicht wirklich eingeschüchtert. Wir wurden jeden Tag von der Polizei kontrolliert und aufgefordert, uns bei einer Organisation zu registrieren. Es schien so, als würde sich etwas ändern. Aber die Polizei hat in Idomeni nicht viel zu sagen. Es ist kein offizielles Flüchtlings­lager. Die Leute sollten dort zwar nicht sein, weil sie privates Land besetzen. Aber die Polizei kann nicht kontrollieren, wer sich dort aufhält. Im Grunde genommen ist es nur ein Feld.

Haben Sie im Lager Bekanntschaften gemacht, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Es gab diese syrische Familie. Mutter, Vater, ihre Söhne und ihr Neffe Raged. Seine Eltern sind noch in Syrien, seine Brüder haben es schon nach Deutschland geschafft. Er sitzt in Idomeni fest. Ich habe bei der Abreise ernsthaft darüber nachgedacht, es zu riskieren und ihn mitzunehmen. Ich hoffe sehr für ihn, dass er es nach Deutschland zu seinen Brüdern schafft. Er ist minderjährig und sollte nicht an einem Ort wie Idomeni sein. An seinem Onkel hat man gesehen, wie unterschiedlich Menschen mit solchen Situationen umgehen. Manche sind deprimiert und starren nur vor sich hin. Er dagegen hat angefangen, Sachen zu bauen. Zuerst ein kleines Holzhaus, später fand er einen Stapel Bambus. Er fragte uns nach Draht und bastelte Möbel daraus. Als am 10. April diese große Gruppe von Menschen in Richtung Grenze zog, saßen wir zusammen beim Mittagessen. Wir hörten die Explosionen der Tränengasgranaten und Raged sagte „Oh, wie in Syrien!“

Bei den Unruhen im April landeten Tränengas und Gummigeschosse im Lager.

Wie empfinden Sie die Stimmung gegenüber Flüchtlingen in Tschechien?

Ich hasse die Nachrichten, die bei uns verbreitet werden. Und es macht mich wütend, dass die Leute den Nachrichten blind glauben. Ich wollte aber trotzdem an der Diskussion teil­nehmen und mir meine eigene Meinung bilden. Dafür wollte ich diese Leute treffen und ihnen meine Fragen stellen.

Was machen Sie zurück im Alltag mit Ihren Erfahrungen?

Ich habe Bilder auf meiner Facebook-­Seite hochgeladen und angeboten, über meine Erlebnisse zu sprechen. Ich denke aber, ich könnte niemanden überzeugen, der grundsätzlich gegen Flüchtlinge ist. Solche Leute sind nicht offen genug. Ich konzentriere mich auf diejenigen, die sich nicht ganz sicher sind. Die Zielgruppe meines Blogs sind Teenager-Mädchen. Viele von ihnen haben mir geschrieben, dass sie nicht wissen, was sie denken sollen. Ich habe ein Video gemacht, in dem ich darüber spreche, dass Flüchtlinge auch Menschen sind. Es wurde auf YouTube ungefähr 9.000 Mal angesehen.

Haben Sie in Idomeni auch negative Erfahrungen gemacht?

Einmal hat jemand eine Banane nach mir geworfen. Und wie gesagt – viele Familien haben uns beim Verteilen angeschwindelt.

Religiöse und kulturelle Unterschiede waren kein Problem?

Nein. Ich war im Lager in Tanktops unterwegs. Einmal, wirklich nur einmal, starrte ein Typ mich an und fragte mit Gesten, was mit mir los sei. Ich rief ihm zu, dass alles gut sei und ich nicht friere. Er zuckte dann nur mit den Schultern und ging weg. Ich hatte das Gefühl, dass es sehr viel gegenseitigen Respekt gab. Eine Amerikanerin sagte mir einmal, ich solle die Kultur der Flüchtlinge respektieren und nicht so freizügig durch das Lager laufen. Ich habe nicht mit ihr gestritten, aber wir sind in Europa und niemand sollte sich daran stören, was ich trage, genauso wenig, wie ich mich an der Kleidung anderer störe. Wenn ich mit Familien gegessen habe, fragte ich immer, ob meine Kleidung für sie in Ordnung sei. Manchmal fragten sie mich dann, ob es mich störe, dass sie ein Kopftuch tragen.

Sind Sie ein politischer Mensch?

Nein. Ich schaue die Nachrichten nicht mehr. Ich bin nicht auf dem neuesten Stand was mein Land angeht, weil es nicht genug gute Komiker gibt, die sich damit beschäftigen. Ich würde mir nur wünschen, dass die Menschen mehr reisen, damit sie merken, dass sie nicht über alles Bescheid wissen. Was die Flüchtlinge angeht – warum fragen wir überhaupt die Mehrheit nach ihrer Meinung? Menschen brauchen Hilfe, da müssen wir nicht die Nachbarn von gegenüber fragen, was sie darüber denken. Sie werden das Problem ja nicht lösen müssen.