Erschwerte Wege

Erschwerte Wege

Die Organisation „Pestrá“ unterstützt körperlich behinderte Menschen und muss dabei auch selbst einige Hürden meistern

21. 8. 2013 - Text: Jakob MatheText: Jakob Mathe; Foto: origini-kun

„Der Hund ist der beste Freund des Menschen“. In diesem allgemein bekannten Spruch steckt viel Wahres. Zwischen Hunden und ihren Besitzern herrscht oft eine innige Beziehung. Hunde können jedoch weit mehr als nur Freunde sein. Für viele körperlich behinderte Menschen sind sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und stellen eine große Unterstützung dar. Deren Ausbildung ist allerdings mit viel Aufwand und hohen Kosten verbunden. Diesem Problem widmet sich die Organisation „Pestrá“, die im Prager Stadtteil Černý Most ihren Sitz hat. Sie bietet körperlich behinderten Menschen nicht nur Arbeit und eine Gemeinschaft an, sondern ermöglicht auch die Ausbildung von Assistenzhunden, die Hilfsbedürftige in ihrem Alltag unterstützen.

„Die Ignoranz, die bösen Blicke und Beleidigungen der Leute machen manche unserer Mitarbeiter fertig.“

Klára Pragerová hat die Organisation im Jahr 2009 zusammen mit ihrem Mann gegründet, der selbst Rollstuhlfahrer ist. „Mein Mann konnte einfach keinen Job finden – und das nur weil er im Rollstuhl sitzt.“ Da dieses Problem kein Einzelfall ist, gründeten sie „Pestrá“, um Menschen zu unterstützen, die im Alltag mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Der Verein geht zwei Haupttätigkeiten nach. Zum einen organisiert er Reisen für Rollstuhlfahrer. Die Mitarbeiter sitzen größtenteils selbst im Rollstuhl und sind Voll- oder Teilzeitangestellte. Zum anderen fördert die Organisation die Ausbildung von Assistenzhunden.

Das Reisebüro exisitert seit rund einem Jahr. Mittlerweile kann es sich durch seine Einnahmen selbst finanzieren. In Zukunft sollen überschüssige Einkünfte für die Ausbildung der Assistenzhunde eingesetzt werden. Eine solche kostet umgerechnet rund 7.500 Euro. Ohne die Hilfe von Freiwilligen würde das Projekt wohl scheitern. Die ausgewählten Welpen leben zunächst ein Jahr lang in Familien, in denen sie kostenlos betreut und aufgezogen werden. Die Tiere kommen meist bei Hundeliebhabern unter, die selbst Erfahrung sammeln und später als Hundeausbilder arbeiten wollen. Für Futter und medizinische Versorgung kommt „Pestrá“ auf. Mit Vollendung des ersten Lebensjahres beginnt die Schulung. Während dieser Zeit werden Hund und zukünftiger Besitzer bereits aneinander gewöhnt. Schließlich werden die Tiere speziell für dessen Bedürfnisse geschult. Für Rollstuhlfahrer ausgebildete Hunde können unter anderem Türen öffnen und schließen, Lichtschalter bedienen, Gegenstände tragen und gelähmte Menschen aufrichten. Assistenzhunde für taube Menschen sind hingegen auf das Wahrnehmen von Geräuschen geschult. Sie weisen auf Alarmsignale oder einfach nur das Klingeln an der Haustür hin. Der Staat übernimmt lediglich die Kosten für die Ausbildung von Blindenhunden, die Schulung anderer Assistenzhunde wird nicht unterstützt.

Diesem Problem stellt sich die Organisation von Klára Pragerová. Um die Kosten dafür tragen zu können, ist der Verein auf Sponsoren angewiesen. Jedes Jahr veranstaltet er Benefizveranstaltungen, eine Modenschau, ein Konzert, einen Tanzball. Um die klammen Kassen zu füllen, ruft „Pestrá“ auch zu Spenden auf. Mitarbeiter, meist Studenten, stellen sich an Straßen- oder U-Bahn-Haltestellen, sprechen Leute an und verkaufen kleine Stofftiere. Einen geringen Teil des Erlöses bekommen die Verkäufer, der Rest geht an die Organisation. Die Arbeit sei hart, meint Prágerová. Im stressigen Großstadtalltag hätten die Leute kaum Zeit und gingen einfach uninteressiert weiter. Viele seien schlichtweg genervt, andere wären ausfallend oder beleidigend. Auch fehle den Spendensammlern ein klares Erkennungszeichen, weist Pragerová auf ein Problem hin. Denn viele Leute wüssten nicht, wofür denn da eigentlich Geld gesammelt wird und schöpften den Verdacht, dass Betrüger am Werk sind, die sich das Geld in die eigene Tasche steckten. Um die Zweifel zu beseitigen, zeigt die Organisation ihre Assistenzhunde auch öffentlich.

„Heute sind auch Rollstuhlfahrer in der Lage, etwas zu bewirken.“

Für das Sammeln von Spenden braucht man zudem eine Genehmigung. Die ist zwar kostenlos, aber mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. Die Pestrá-Mitarbeiter werden häufig von den Behörden kontrolliert. „Das Spendensammeln ist eine schwierige Aufgabe, man muss dafür gemacht sein. Ich bin es nicht“, gibt Pragerová zu. „Viele von unseren Mitarbeitern kommen zu mir zurück und sagen, dass sie es einfach nicht schaffen. Die Ignoranz, die bösen Blicke und Beleidigungen der Leute machen sie fertig.“ Auch wenn sich die Finanzierung von wohltätigen Organisationen als schwierig erweist, hat sich deren Arbeit in den vergangenen Jahren bemerkbar gemacht. Das Bild von behinderten Menschen in Tschechien habe sich laut Pragerová gewandelt. Heute seien sie in die Gesellschaft integriert. Dennoch müssten sie oft nach Hilfe fragen. Das läge nicht daran, dass die Menschen nicht hilfsbereit wären. „Sie wissen meistens einfach nicht, wie sie  mit der Situation umgehen sollen und reagieren deshalb erst, wenn sie um Hilfe gebeten werden“, erklärt Pragerová.

Sie meint, das Leben von Menschen mit Behinderung habe sich in vielerlei Hinsicht verbessert: „Heute kümmert man sich um sie, schenkt ihnen die nötige Aufmerksamkeit und sorgt dafür, dass sie am öffentlichen Leben teilnehmen können. Während des Kommunismus war das noch anders. Damals glich die Betreuung von körperlich behinderten Menschen einer massenhaften Fürsorge.“ Vor der politischen Wende lebten sie in großen Einrichtungen zusammen und wären systematisch nach einem festen Ablaufplan betreut worden, ohne Zuwendung für den Einzelnen. Die Menschlichkeit sei auf der Strecke geblieben. Heute sieht es anders aus: „Wer unbedingt etwas erreichen will und dafür kämpft, der hat auch als Rollstuhlfahrer die Chance, etwas zu bewirken. Genau an diese Menschen richtet sich unsere Organisation. Viele Leute beschweren sich noch immer und fühlen sich ausgeschlossen, so ist es aber nicht mehr.“

Doch gewisse Probleme gibt es nach wie vor. Wie in Deutschland ist auch in Tschechien der Zivildienst abgeschafft worden. Früher dauerte dieser zwei Jahre. Die Bezahlung war mit rund 4.000 Kronen pro Monat zwar gering, aber die jungen Männer nahmen den Dienst gern an, auch um Lebenserfahrung zu sammeln. Heute fallen diese zusätzlichen Arbeitskräfte weg. Einen bezahlten Freiwilligendienst nach deutschem Vorbild gibt es hierzulande nicht.