Eine Stadt pumpt auf

Eine Stadt pumpt auf

Strakonice ist eine Hochburg des böhmischen Dudelsacks. Ein Besuch bei drei jungen Musikerinnen

7. 8. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

Wenn Michaela Babková in Prag erzählt, welches Instrument sie spielt, muss sie ihr Gegenüber oft aufklären: „Nein, wir blasen in unseren Dudelsack nicht hinein“, sagt die 23-Jährige. In der Hauptstadt studiert sie Psychologie, gerade sitzt sie aber in ihrer Heimatstadt Strakonice, etwa 110 Kilometer südwestlich von Prag. Hier muss sie niemandem erklären, wie ein böhmischer Dudelsack funktioniert. „Wie in Mähren das Zymbal gehört bei uns der Dudelsack zur traditionellen Volksmusik“, bestätigt Patrik Ředina. Er ist 22, hat das Konservatorium in České Budějovice absolviert, spielt Kontrabass und leitet die „Mladá dudácká muzika“, die junge Musikgruppe, der auch Michaela angehört.

Strakonice und Domažlice seien die Zentren der böhmischen Dudelsackmusik, sagt Patrik, mit einem Unterschied: Im grenznahen Gebiet um Domažlice habe sich die Tradition über die Jahrhunderte gehalten, in der Gegend um Strakonice dagegen sei sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt worden. Eine wichtige Rolle habe der Musiker Josef Režný gespielt, der das Instrument beherrschte, alte Lieder sammelte und das Internationale Dudelsack-Festival in Strakonice in den sechziger Jahren begründete.

Während der Dudelsack in Strakonice lange Zeit eher Männersache war, spielen mittlerweile mehr Frauen das Instrument. Michaela erklärt, wie sie zum Dudelsack kam: „Angefangen habe ich mit Flöte. Meine Oma wollte, dass ich mit Akkordeon weitermache, aber meiner Mutter hat Dudelsack gefallen, weil das bei uns Tradition hat.“ Ähnlich erging es Zuzana Horňáková und Renata Švedová, den beiden anderen Dudelsack-Spielerinnen im Ensemble. „Wir hatten alle den gleichen Lehrer, er war damals der einzige in Strakonice“, erinnern sie sich an ihre ersten Unterrichtsstunden vor mehr als zehn Jahren. Mittlerweile würden auf gut 20.000 Einwohner etwa 30 bis 40 aktive Dudelsackspieler kommen, meinen die Musikerinnen. In der Kleinstadt gebe es acht Musikgruppen mit meist mehreren Dudelsäcken.

Ziege oder Hund?
Voraussetzung für das Instrument sei vor allem ein gutes Gehör. „Bis man fast alle Lieder nach Noten spielen kann, dauert es etwa ein Jahr“, sagt Zuzana, die in Brünn Deutsch studiert. Renata glaubt, dass der Anfang am schwersten sei. Allein wie sie die einzelnen Teile zu einem Instrument zusammensetzt, sieht für den Laien kompliziert aus: Sie schnallt sich einen Gürtel um die Hüfte, an dem der Dudelsack befestigt wird. Unter ihren linken Ellenbogen klemmt sie einen Blasebalg, der aussieht wie eine kleine Handtasche: „Da wird die Luft hineingepumpt“, erklärt die 22-Jährige und bewegt ihren Ellenbogen auf und ab. Patrik weiß auch, warum in den böhmischen Dudelsack im Gegensatz zum schottischen oder spanischen nicht geblasen wird: „Der Tscheche will beim Spielen auch singen und sein Bier trinken.“

Die Luft wird in einen Sack gepumpt, der heute meist aus Ziegenfell besteht. „Früher hat man auch das Fell von Hunden genommen, aber das gibt es kaum noch“, so die jungen Musikerinnen. Ob Hundefell einen besseren Ton gibt, darüber sind sie sich uneinig, für Renata steht jedoch fest: „Ich brauche bald einen neuen Sack, aber ich will auf keinen Fall einen aus einem Hund.“ Die Krönung des Instruments und das Markenzeichen eines Herstellers sei der hölzerne Ziegenkopf, durch den die Luft in eine Art Flöte geleitet wird. An deren Ende kommt der Ton aus einem Kuhhorn. Im ganzen Land gebe es wohl drei aktive Dudelsack-Bauer, die regelmäßig Exemplare anfertigen, sagt Patrik. Für ein Instrument zahle man heute etwa zwischen 13.000 und 20.000 Kronen, umgerechnet knapp 500 bis 700 Euro.

Nachdem Renata, Zuzana und Michaela ihre Instrumente zusammengesetzt haben, treffen auch die anderen Mitglieder der „Mladá dudácká muzika“ im Proberaum ein. Das Ensemble gibt es seit acht Jahren und hat etwa 25 Auftritte im Jahr. Die Musiker sind alle knapp unter oder über 20. Sie üben im Erdgeschoss des Plattenbaus, in dem Patrik wohnt. Als alle zehn da sind, ist der Raum mehr als voll. Nachbarn hätten sich aber noch nicht über die Musik beschwert, lacht der junge Leiter und sagt an, was geprobt wird: ein neues Volkslied, das die Gruppe – neben drei Dudelsäcken und Kontrabass besteht sie aus Geigen, Klarinetten, einer Viola und Sängern – beim Festival in Strakonice vorführen will. „Das unterscheidet uns von den meisten anderen Gruppen: Wir sind nicht nur die Jüngsten, sondern führen auch immer wieder unbekannte Volkslieder auf, wenn wir alte Noten in Archiven oder Büchereien finden“, erklärt Patrik. Daneben stünden natürlich Klassiker zum Mitsingen auf dem Programm, die das Publikum hören wolle, wenn es ein Ensemble mit böhmischen Dudelsäcken sehe.

Internationales Dudelsackfestival Strakonice
Von 21. bis 24. August 2014 regiert in Strakonice der Dudelsack. Das Festival, das 1967 mit etwa 250 Teilnehmern begann, lockt seit Jahren Tausende Musiker und Zuhörer in die Stadt. Es wird am Donnerstagabend mit einem Umzug und einer feierlichen Zeremonie im Burghof eröffnet. Von Freitag bis Sonntag finden unter anderem im Kulturhaus, im Freilichtkino und in der St.-Margareta-Kirche zahlreiche Konzerte, Ausstellungen und Theateraufführungen mit einheimischen und ausländischen Musikgruppen statt. Im Burghof treffen sich zudem europäische Dudelsack-Hersteller, im Malteser-Saal können Volkstrachten aus Böhmen, Mähren und Schlesien bestaunt werden. Den Abschluss bilden am Sonntagnachmittag zwei Galakonzerte, die Lust auf das nächste Festival in zwei Jahren machen sollen. Weitere Informationen unter: de.dudackyfestival.cz   (ca)