Eine für alle
Die Regierung will beim Amt der Menschenrechtsbeauftragten sparen. Dabei bleibt Diskriminierung ein großes Problem
21. 11. 2012 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: APZ
Der Zusammenhalt der Gesellschaft steht auf dem Spiel. Zu diesem Schluss kommt Monika Šimůnková in ihrem diesjährigen Bericht zur Lage der Roma-Minderheit in der Tschechischen Republik. Vergangenen Mittwoch kam die Beauftragte für Menschenrechte mit weiteren Regierungsvertretern zusammen, um die Ergebnisse der Studie zu diskutieren. Reine Formsache eigentlich – wäre da nicht die angespannte Stimmung im Büro von Šimůnková. Wenige Tage zuvor musste sie erfahren, dass die Regierung von Premier Petr Nečas (ODS) die Menschenrechtsagenda erheblich „vereinfachen“ möchte. De facto bedeutet das eine Auflösung des Mitarbeiterstabs der Regierungsbeauftragten und die Verteilung ihrer Aufgaben auf verschiedene Ministerien.
Šimůnková ist außer sich: „Nachdem ich mich mit dem Vorschlag vertraut gemacht habe, musste ich diesen entschieden ablehnen!“ Die Juristin hat 2010 die Arbeit des einstigen Ministeriums für Menschenrechte und nationale Minderheiten übernommen. Michael Kocáb hatte seinen Ministerposten nach dem Fall der Regierung Topolánek aufgegeben, nach der Parlamentswahl im Mai 2010 wurde das Ressort nicht mehr besetzt. Šimunková fürchtet nun um die Früchte jahrelanger Arbeit. Es sei nicht einmal sicher, ob tatsächlich Einsparungen erreicht würden. „Ich hoffe, dass wir intern zu einer annehmbaren Lösung kommen“, sagt die Menschenrechtsbeauftragte gegenüber der „Prager Zeitung“. Regierungssprecher Michal Schuster winkt ab: „Wir suchen lediglich nach einem Weg, die Aufgabenverteilung administrativ zu vereinfachen, um dadurch Finanzmittel einzusparen.“
Neben der Stellung der Roma und anderer Minderheiten gehört die Einhaltung von Menschenrechten in Gefängnissen oder in Einrichtungen für psychisch Kranke, die Eingliederung sozial Benachteiligter sowie gleiche Bildungschancen zu den Aufgaben der Regierungsbeauftragten. Sie stellt die Kommunikation zwischen einzelnen Ministerien und nach Brüssel sicher und überwacht die Einhaltung internationaler Verträge.
Laut Schuster sind bereits mehrere Ministerien mit dieser Agenda beschäftigt: das Ministerium für Arbeit und Soziales, das für Schulwesen, Jugend und Sport, das Gesundheitsministerium ebenso wie das Ressort für Inneres und regionale Entwicklung.
Technokratische Maßnahme
Dass die Ministerien ihren Aufgaben nur unzulänglich nachkommen, liegt laut Jan Černý, Leiter der Abteilung für soziale Integration der Menschenrechtsorganisation „Člověk v tísni“ („Mensch in Not“), teilweise auch an der Ausgliederung der Agenda an die Regierungsbeauftragte. „Je weniger die Menschenrechtsagenda beim Regierungsamt verankert ist, umso mehr werden die Ministerien gezwungen sein, tätig zu werden“, sagt Černý im PZ-Interview (siehe unten). Allerdings obliege der Kampf gegen soziale Benachteiligung viel mehr lokalen Behörden, die Umstrukturierung der Regierung hält er für eine rein technokratische Maßnahme.
Die Diskriminierung von Roma im Schulwesen gehört zu den dringendsten Problemen. Davon zeugt nicht nur der neueste Bericht von Šimůnková, auch regelmäßige Rügen aus Brüssel oder der kürzliche Besuch des EU-Kommissars für Menschenrechte Nils Muižnieks. „Die sogenannten praktischen Schulen in der Tschechischen Republik setzen die Segregation von Roma-Kindern, Ungleichheit und Rassismus fort“, ließ der lettische Kommissar nach seinem viertägigen Aufenthalt in Prag hören.
NGOs warnen bereits seit Jahren vor der steigenden Ausgrenzung der Roma. Eine durch den Ombudsmann Pavel Varvařovský in Auftrag gegebene Studie kam unlängst zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Kinder in Praktischen Schulen aus Roma-Familien stammt – in Bildungseinrichtungen, die für Schüler mit leichten geistigen oder körperlichen Behinderungen vorgesehen sind. Fehlende Bildungschancen führen zu fehlenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahlen des diesjährigen Roma-Berichts sind alarmierend: 77 Prozent der 15- bis 24-Jährigen standen noch nie in einem Arbeitsverhältnis.
Ende 2011 lebten laut Statistikamt (ČSÚ) 152.297 Tschechen unterhalb der Armutsgrenze. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg von rund 3,6 Prozent. Allerdings befinden sich laut Jaromír Kalmus von der ČSÚ-Abteilung für Soziales 1,7 Millionen Tschechen – also 16,6 Prozent – nur sehr knapp über der statistischen Armutsgrenze. Steigende Armut der Gesamtgesellschaft, latenter Rassismus und zunehmende Ausgrenzung von Roma: es ist dieses Gemisch, das laut Menschenrechtsorganisationen die strapazierten Nähte der Gesellschaft bald zum Platzen bringen könnte.
Schwarzenberg kritisiert Nečas
Und nun die Kürzungspläne. Die Menschenrechtsbeauftragte unterhält momentan einen Stab von rund 50 Mitarbeitern. Werden die Streichungen umgesetzt, bliebe nur noch die Beauftragte selbst. Derart „allein gelassen“ würde es sich laut Šimůnková lediglich um eine formale Besetzung handeln, die Arbeit mit auf mehrere Ministerien verteilten Mitarbeitern sei unmöglich. Šimůnková kündigte im Falle der Kürzungen ihren Rücktritt an.
Den Rücken stärkte ihr Karel Schwarzenberg (TOP 09). Nečas unterstreiche mit einer solchen Maßnahme lediglich, dass ihm das Thema Menschenrechte egal sei, erklärte der Außenminister gegenüber dem Internet-Magazin „Insider“. Vielleicht sollte er für den Premier andere Argumente wählen. Eine Studie der Weltbank etwa. Der zufolge lässt sich Tschechien aufgrund der Roma-Arbeitslosigkeit jährlich etwa 367 Millionen Euro an Produktivitätspotential entgehen.
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