Ein Tor zur Welt
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Ein Tor zur Welt

Seit 80 Jahren sendet der Tschechische Rundfunk ins Ausland – und erreicht noch heute Hörer von Miami bis Moskau

14. 9. 2016 - Text: Katharina Wiegmann, Fotos: Radio Prag

Bauschige Designerlampen, Sichtbeton, viel Glas und eine moderne Cafeteria ändern nichts an dem nostalgischen Gefühl, das Besucher beim Betreten des Rundfunkgebäudes in der Vinohradská-Straße ergreift. Seit 1933 wird aus dem massiven funktionalistischen Bau gesendet. Die ersten Redakteure gingen hier in der Ersten Tschechos­lowakischen Repu­blik ein und aus; die roten Lampen vor den Aufnahmestudios leuchteten zur Zeit der Nazi-Besatzung ebenso wie unter der Herrschaft der Kommunisten.

Die Dimensionen des Rundfunkpalastes unterstreichen, wie groß die Bedeutung des Massen­mediums Radio nach seiner Erfindung in den frühen zwanziger Jahren war. Über die Wellen im Äther erreichten Informationen breite Bevölkerungsschichten. Dabei wurden nicht selten Emotionen geschürt und Hörer politisch indoktriniert. Rundfunksender gehören bei Invasionen, Putschver­suchen und Aufständen stets zu den wichtigsten strategischen Punkten. Wer das Wort kontrolliert, hat die Macht. Das ist immer noch so; allerdings hat heute dank Smartphone und Internetverbindung fast jeder seinen eigenen kleinen Sender in der Tasche.

Doch zurück zu den Anfängen des Tschechischen Radios und seinen Fremdsprachen-Redaktionen. Technisch möglich wurden Sendungen aus der Tschechoslowakischen Republik nach Europa und sogar Amerika durch eine 1936 erbaute Kurzwellenstation in Poděbrady. Das Außenministerium sah darin eine Chance, „Propaganda im Ausland zu verbreiten, die auch Staaten wie Deutschland, Ungarn, Italien und die UdSSR verstehen würden“, wie in einem Memorandum festgehalten wurde. Zudem sollte auf diese Weise Kontakt zu im Ausland lebenden Tschechen und Slowaken gehalten werden.

Ganz neu war die Idee aber nicht. Bereits 1924 wurde der erste Vortrag ausgestrahlt, der sich an ein Publikum jenseits der Grenzen der Ersten Tschechoslowakischen Republik richtete und in der Weltsprache Esperanto über das Land informierte. Die Absichten waren friedlich, wie Post- und Telegraphenminister Alois Tučný in einer Ansprache betonte: „Die neue Kurzwellenstation öffnet unserer Kultur, vor allem unserer Musik, die Tore zur Welt und ermöglicht uns in einem edlen Wettstreit mit anderen europäischen Staaten zu zeigen, inwieweit wir zur Blüte der allgemeinen Bildung der Menschheit beitragen können.“ Bald gab es Programme auch auf Englisch, Deutsch, Französisch, Ruthenisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Serbo­kroatisch und Rumänisch; zeitweise sogar auf Arabisch, Schwedisch und Suaheli.

Klára Stejskalová ist die neue Chefredakteurin der Auslandsprogramme.

Kosmopolitisch geht es bei den Auslandssendern von Radio Prag noch heute zu, wie Klára Stejskalová sagt, die als Chefredakteurin seit Anfang September die Auslandsprogramme leitet. Pünktlich zum 80. Geburtstag der Sparte hat die Journalistin den Posten übernommen. Zuvor war sie vier Jahre lang Deutschland-­Korrespondentin des Rundfunks und hat den Tschechen die Politik der Nachbarn erklärt.

Nun ist es andersherum. Welche Aufgaben sieht sie heute für Radio Prag und seine Fremdsprachenprogramme? „Tschechien spielt keine große Rolle in Europa. Daher haben die meisten Medien aus anderen Ländern keine Korrespondenten hier. Ausländer, die nach Tschechien kommen und sich informieren wollen, finden außer bei uns kaum Informationen in ihren Sprachen“, so Stejskalová. Sie finde es daher wichtig, diesen Menschen ein Bild ihres Landes zu vermitteln.

Propaganda im besten Sinne
Dafür sorgen aktuell sechs Redaktionen, die nach Jahren der Budgetkürzungen und Ent­lassungen noch Bestand haben. Radio Prag gibt es heute auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Russisch – und natürlich auf Tschechisch, für die Emigranten im Ausland. Von rund 350 Mitarbeitern in den sechziger Jahren sind gerade einmal 60 übrig geblieben. Sie produzieren 30 Minuten pro Redaktion und Tag – verglichen mit insgesamt 37 Stunden Sende­zeit Ende der siebziger Jahre ein ziemlich überschaubares Programm.

Dafür ist die Bandbreite der Inhalte groß. Sprachkurse, Reise­tipps, Interviews und Nachrichten erreichen noch immer viele Hörer, obwohl sie ausschließlich über das Internet zugänglich sind. 300.000 Seitenaufrufe würden monatlich gezählt, so Stejskalová.

Martina Schneibergová arbeitet seit 1990 in der deutsch­sprachigen Redaktion von Radio Prag; ihre Volontärszeit absolvierte sie noch vor der Samtenen Revolution ebenfalls beim Tschechischen Rundfunk. „Politische Inhalte wurden damals woanders vorbereitet, von uns wurden sie dann nur noch übersetzt“, erinnert sich Schneibergová. Dass bestimmte Themen nicht in Frage kamen, war allen klar.

Radio Prag und die anderen fremdsprachigen Programme werden heute vom Tschechischen Außenministerium finanziert. In einem Interview mit der deutschsprachigen Sektion sagte Kristina Larischová, Referatsleiterin im Außen­ministerium, dass die Sender auch heute noch ein wichtiges Instrument der Außendarstellung des Landes seien. Gibt es dadurch Beschränkungen hinsichtlich kritischer Berichterstattung?

Stejskalová betont, dass es kein Druck ausgeübt werde. Die Ausslandssendungen seien einfach eine Tradition – und „natürlich eine Art von Propaganda. Aber im besten Sinne“. Die Redakteure arbeiteten zwar nicht investigativ. Aber: „In den letzten Wochen war das ehemalige Roma-Konzentrationslager in Lety ein Thema. Über den Besuch von Finanz­minister Andrej Babiš und seine Äußerungen dort haben wir kritisch berichtet. Die Leute in den Redaktionen arbeiten nicht für die Burg.“ Sie seien Teil des Tschechischen Rundfunks und hielten sich an einen entsprechenden journalistischen Kodex, auch wenn sie vom Außenministerium finanziert werden, so Stejskalová.

Früher hatten die Fremdsprachenredaktionen rund 350 Mitarbeiter. Heute sind es wesentlich weniger.

Vom Radio ins Internet
Fragt man Martina Schneibergová nach der Finanzierung des Senders und ihrem Selbstverständnis als Journalistin, kommt die Antwort prompt. „Wir sind keine Kommentatoren.“ Sie schreibe vor allem über Prag und Reisethemen. Gerade sitzt sie an einem Interview zu dem Film „Deckname Holec“, eine österreichisch-tschechische Koproduktion. Einer ihrer Kollegen ist Lothar Martin, der seit 18 Jahren bei Radio Prag angestellt ist.

Wie in den anderen Redaktionen auch, arbeiten in diesem kleinen Team Tschechen mit Muttersprachlern zusammen. Die Kooperation der verschiedenen Nationalitäten empfinden alle als positiv und inspirierend. „Tschechen sehen oft andere Aspekte als wir Deutschen“, sagt Martin. Auch mit den anderen Fremdsprachen-Redaktionen gebe es regen Austausch und täglich eine gemeinsame Sitzung.

Radio Prag kann man heute nicht mehr über Kurzwelle im Radio hören – es ist ein reines Internet­programm. Mit wenigen Ausnahmen, wie Stejskalová erzählt: „Wir haben einen Sender in Miami, mit dem wir für Menschen in ganz Lateinamerika hörbar sind.“ Eine weitere Station gibt es in der Nähe von Moskau. Hörer-Briefe würden noch immer aus der ganzen Welt in Prag ankommen, aus Deutschland ebenso wie aus Japan oder Pakis­tan. Stejskalová hat einige der Postsendungen mitgebracht, die anlässlich des 80. Geburtstags im Funkhaus eingegangen sind. Ein Hörer hat eine mehrseitige Tabelle angefügt, in der er detailliert Empfangsberichte und Korrespondenz mit dem Sender vermerkt hat. Sie beginnt im Jahr 1985. Er wird sich wie viele andere darüber gefreut haben, dass es am 31. August eine halbstündige Sendung auf dem alten Verbreitungsweg, der Kurzwelle, zu hören gab.

Stejskalová freut sich über die Briefe der treuen Fans – sie weiß aber auch, dass sie zukunftsorientiert agieren müssen. „Die Umstellung zum Internetradio hat nicht viel ge­ändert. Die Sendungen werden genau wie früher produziert. Unsere Homepage ist sehr altmodisch, es gibt keine Apps für Smartphones.“ Sie habe den Eindruck, dass in den Redaktionen ein bisschen Frustration herrsche, weil man nicht mehr genau wisse, wer die Hörer sind. „Soziale Medien können ein Weg sein, mehr über unser Publikum zu erfahren. Damit müssen wir mehr arbeiten“, sagt Stejskalová. Für Nostalgie hat sie keine Zeit.

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