Ein Leben für die Achterbahn

Ein Leben für die Achterbahn

Das Leben kann wie eine Achterbahn sein. Was das wörtlich bedeutet, weiß wohl niemand so gut wie Jaroslav Štaubert, der Betreiber der ersten und einzigen Achterbahn in Prag

15. 5. 2013 - Text: Christian Müller-BreitenkampText: Christian Müller-Breitenkamp und Peggy Lohse; Foto: Peggy Lohse

Am Fuße des Stromovka-Parks in Holešovice sind die Geräusche des angrenzenden Rummelplatzes „Lunapark“ deutlich zu hören. Das Hupen, Klingeln und Bimmeln der Autoscooter und Karussells vermengt sich mit aktuellen Chart-Hits, das Geräusch-Wirrwarr klingt nach Kirmes.

Beim Betreten des Parks bekommt man allerdings das Gefühl, dass die Stimmung nicht zur launigen Musik passen möchte. Es ist der 8. Mai, aber trotz des Feiertags und des guten Wetters sind nur wenige Besucher hier. An einem kleinen Stand warten einige Kinder auf Zuckerwatte, eine Hüpfburg und einige Karussells machen den Eindruck, als hätten sie ihre beste Zeit bereits hinter sich.

Ein wenig abseits der etwas bizarren Melange aus guter Laune und Tristesse liegt die Achterbahn, das große Schild mit der Aufschrift „Horská dráha“ (wörtlich „Bergbahn“) ist von Weitem erkennbar. Irgendwie passt auch die Achterbahn zur Atmosphäre des Parks. Sie wirkt klein und ein wenig verlassen. An der Kasse sitzt ein alter Herr. Das sei sein Vater erzählt Jaroslav Štaubert.

Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und seinem 85-jährigen Vater betreibt er die Achterbahn. Štaubert, ein groß gewachsener Mann in Jogginghose, schwarzem T-Shirt und mit Sonnenbrille ist guter Dinge – obwohl es auf den ersten Blick keinen Grund dafür zu geben scheint. „Ja, es ist nicht mehr so viel los wie früher“, meint er nun ein wenig nachdenklich. Eine Achterbahn betreibe man eben nicht wegen des Geldes. Es gebe gute und schlechte Monate, sagt er. Zwar könne die Familie vom Betrieb des Fahrgeschäftes leben, aber rechnen müssten sie schon. Štaubert lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern hinter der Achterbahn in einem Wohnwagen.

Schausteller aus Leidenschaft
Er kann sich keinen anderen Beruf vorstellen. Dafür sei er ja schon viel zu alt, sagt er mit einem Grinsen. Štaubert ist 38. Wer ihm zuhört, ahnt, dass die wahren Gründe andere sind. Draußen arbeiten und Leuten Spaß bereiten, das gefalle ihm. Vor allem aber sei die Achterbahn eine Familientradition. Die Branche wechseln? Undenkbar.

Štaubert fängt an zu erzählen. Aus Italien kam die Achterbahn 1975 in den damals noch staatlichen Prager „Park kultury“. Da war er gerade auf die Welt gekommen. Štauberts Vater arbeitete seinerzeit schon im Vergnügungspark. Als Angestellter der Stadt sollte er nun die neue staatliche Achterbahn betreiben. „Galaxi“ hatte der italienische Hersteller sie getauft. „Zu amerikanisch“ befand man und gab ihr den Namen „Cyklon“. Als erste Achterbahn in Prag überhaupt war „Cyklon“ eine Riesenattraktion. Die Bahn wurde sogar abgebaut und reiste 1982 nach Moskau und Chișinău. Selbst in der Hauptstadt der Sowjetunion habe es eine so moderne Bahn damals nicht gegeben, sagt Štaubert. Seine Familie fuhr mit. Štaubert ging während dieser Aufenthalte ein halbes Jahr in Moskau zur Schule. 1992 hat die Familie die Bahn gekauft. Das hat viel verändert. Seit die Bahn Familieneigentum ist, habe man ein ganz anderes Verantwortungsgefühl, sagt Štaubert.

Auf die Probe gestellt wurde die Familie durch das Hochwasser im Jahr 2002. Nur noch die oberen Ecken des Schildes mit der Aufschrift „Horská dráha“ hätten aus dem Wasser geschaut. Mit Booten sei man zur Bahn gefahren.

Unfälle gab es noch nie
Hohe Reparaturkosten und ausbleibende Einnahmen haben Betreiber vieler anderer Fahrgeschäfte im „Lunapark“ in den Bankrott getrieben. Für seine Familie habe die Schließung der Achterbahn nie zur Debatte gestanden, sagt Štaubert. Sechs Monate hat es gedauert, bis die Bahn repariert war. Der Druck, die Sicherheitsbestimmungen einzuhalten, ist in der Branche hoch. „Ohne Sicherheitszertifikate, Stempel und Nachweise geht gar nichts.“ Angst vor Unfällen habe er nicht, behauptet Štaubert. „Wir achten ja auf alles, noch nie ist hier etwas passiert.“

Für die ständige Wartung geht ein großer Teil des Arbeitsalltags drauf. „Es gibt immer etwas zu tun. Sechs Tage die Woche haben wir geöffnet, montags wird kontrolliert, ob alles funktioniert“ , sagt Štaubert. Im Winter, wenn der „Lunapark“ schläft, wird die Bahn generalüberholt. Dann fährt er nach Italien zum Hersteller. Denn nur hier gibt es Ersatzteile für die Bahn. Štaubert und seine Brüder machen alles selbst. Auch die einzelnen Lämpchen der Achterbahnbeleuchtung kontrolliert er. Dazu muss er bis zum höchsten Punkt der Achterbahn hinaufsteigen – Štauberts Lieblingsplatz. „Hier zu sein ist noch schöner als selbst zu fahren“, strahlt er.

Štaubert fällt noch etwas ein. Einmal habe es doch einen Unfall auf der Achterbahn gegeben. Den habe man bewusst verursacht, für das Fernsehen. Da gebe es doch diese deutsche Krimiserie. Ziemlich bekannt. „Tatort oder so“, sagt Štaubert. Das war 1998. „Der Tod fährt Achterbahn“ hieß die Folge.