Ein fröhlicher Gulag

Ein fröhlicher Gulag

Die Oper „Aus einem Totenhaus“ von Leoš Janáček feiert Premiere im Nationaltheater

21. 5. 2015 - Text: Sophie KohoutekText: Sophie Kohoutek; Foto: Národní divadlo

Ein düsterer, verkommener Saal, beschmierte Wände – eine unüberschaubare Menge an Männern in Häftlingskleidung betritt den einst prunkvollen Raum mit Besen und Putzeimern. Eine bedrückende Handlung wird antizipiert, es überrascht, als einzelne Gefangene damit beginnen, ausgelassene Tänze aufzuführen. Sie erstarren schlagartig, als Soldaten einen neuen Häftling hineinführen: Gorjančikov ist politischer Gefangener. Zu Beginn seiner Haft wird er ausgepeitscht.

Mit der Arbeit an seinem finalen Werk begann Leoš Janáček 1927, seinem vorletzten Lebensjahr. Er schuf damit einen Gegensatz zu seinen früheren Werken, in denen zumeist charismatische Frauenfiguren im Vordergrund standen. Inspiriert von Dostojewskis Prosawerk „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“, in dem der Autor seine eigene Erfahrung in Gefangenschaft verarbeitete, stehen die männlichen Gefangenen und ihre Erzählungen über ihr früheres Leben, in dem der Grund für ihre Gefangenschaft liegt, im Zentrum der Oper.

Der erst 35-Jährige Regisseur Daniel Špinar, der in der kommenden Spielzeit den Posten des künstlerischen Leiters am Prager Nationaltheater antreten wird, inszenierte mit „Aus einem Totenhaus“ seine erste Oper. In seinem Prosatext beschreibt Dostojewski verschiedene Typen von Häftlingen: Die Grimmigen und die fast zu Fröhlichen. Die Inszenierung durchbricht mit gelungenen heiteren Choreographien einer Männergruppe die Tragik des Schauplatzes – oftmals in exaltierten femininen Bewegungen – und unterstreicht die innere Flucht der Männer vor ihrem Schicksal im Gulag.

Die Utopie der Freiheit

Während die erste Hälfte der Inszenierung noch im weitesten Sinne einen realistischen Bezug zu den grausamen Zuständen im Gulag aufnimmt, erscheint der Saal nach der Pause zum dritten Akt in sauberem Glanz. Die Gefangenen betreten in Frack und Mundschutz den Raum, was die Handlung vollkommen ins Surreale abschweifen lässt und an den Anfang anschließt, wo alle Sträflinge während des musikalischen Intros ebenfalls im Frack einzeln vorgestellt und mit ihren Häftlingsnummern fotografiert wurden. Das positive, fast kitschige Ende der Oper, die Freilassung eines verletzten Adlers – dargestellt durch einen Konzertflügel – den die Gefangenen gesund pflegten, und des Intellektuellen Gorjančikov, wird von den nun als Clowns verkleideten Soldaten eingeführt, die sich grinsend mit Luftballons in der Hand für ihr vormaliges Verhalten entschuldigen. Eine fantasierte Abwendung der Häftlinge von der grausamen Realität der Gefangenschaft in die Utopie der Freiheit?

Dass Špinar vom Schauspiel kommt, merkt man der Inszenierung an. Der Kraft der Musik alleine scheint er nicht zu vertrauen. So wird der Erzählung des Häftlings Šapkin (Ondrej Šaling), einer langatmigen Sprechgesang ähnlichen Arie, eine Tänzerin beigefügt, die mit zuckenden Bewegungen die ermordete Frau des Häftlings verkörpert – eine dramaturgisch schlüssige Entscheidung, die ihre Wirkung jedoch verfehlt. Dies ist jedoch nicht dem Regisseur, sondern eher dem Choreographen vorzuhalten und letztendlich wohl auch eine Geschmacksfrage.

Einzelne Passagen der Inszenierung glänzen durch Präzision. Die Darsteller überzeugen nicht nur gesanglich, sondern auch mit schauspielerischer Leistung. Der slowakische Opernstar Štefan Margita mimt mit großer Ausdruckskraft den griesgrämigen Luka Kuzmič, der die anderen Hauptdarsteller jedoch keineswegs in den Schatten stellt: Den Bass-Bartiton František Zahradníček als stolzen Gorjančikov und Michal Bragnolo als gebrechlichen aber strahlenden Aljeja. Die Sänger schaffen es, die modernen Töne von Leoš Janáček, die kein harmonisches Zusammenspiel von Gesang und Musik erlauben, weitgehend zu beherrschen.

Mit „Aus einem Totenhaus“ ist dem Nationaltheater eine interessante und kurzweilige Inszenierung gelungen, die im dritten Akt einen Moment an Spannkraft verliert, um am Ende überraschend abzubrechen. Eine Inszenierung voller kreativer Ideen, die nicht immer gelungen umgesetzt werden, insgesamt aber für einen abwechslungsreichen Abend sorgen.

Aus einem Totenhaus (Z mrtvého domu). Národní divadlo (Narodní 2, Prag 1), Dauer: 135 Minuten (mit Pause), englische Übertitel, nächste Vorstellungen: 22. und 28. Mai, 4. und 12. Juni, jeweils 19 Uhr