Edles Erbe

Edles Erbe

Tschechien zählt neun neue Objekte zu seinem nationalen Kulturschatz. Viele davon können in Prag besichtigt werden

29. 7. 2015 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Gesangbuch von Žlutice/Museum Karlovy Vary

Kulturdenkmäler sind in Tschechien Chefsache. Vor kurzem beriet die Regierung erstmals seit mehr als fünf Jahren über die Aufnahme neuer Bauten und Kunstwerke in die Liste Nationaler Kulturdenkmäler. Das Verzeichnis umfasst Objekte, die aufgrund ihrer Bedeutung für das kulturelle Erbe des Landes einen hohen Stellenwert haben und daher besonderen Schutz verdienen. Ungewöhnlich bei der Ernennung am 8. Juli war die Auswahl, die eine Expertenkommission den Politikern vorgelegt hatte: Alle neun Objekte, die den Status letztlich erhielten, zählen zu den beweglichen Kulturdenkmälern. Dazu gehören unter anderem ein Gesangbuch aus der Renaissance, neun Tafelbilder des Altarzyklus von Vyšší Brod (Hohenfurth) und drei astronomische Geräte aus der Zeit Rudolfs II.

Letztere befinden sich im Nationalen Technikmuseum in Prag und dürften Laien vor allem aufgrund ihrer ehemaligen Benutzer interessieren. Ende des 16. Jahrhunderts stand der Schweizer Uhrmacher und Instrumentenbauer Jost Bürgi im Dienste Rudolfs II. Zu seinen Arbeitsorten gehörte auch Prag, wo Tycho Brahe seinerzeit als Mathematiker tätig war. Als Hofastronom diente auch Johannes Kepler dem Kaiser. Beide Wissenschaftler verließen sich auf die für die damalige Zeit außerordentlich präzisen Sextanten, die Bürgi herstellte. Eines der Messgeräte wurde nun zum Nationalen Kulturdenkmal ernannt. „Es gehört zu den wertvollsten astronomischen Instrumenten, die aus dem 16. und 17. Jahrhundert noch erhalten sind“, sagt Antonín Švejda vom Prager Technikmuseum. Kepler nutzte den Sextanten, der vermutlich um 1600 entstanden war, um seine Hypothesen zur Planetenbewegung zu bestätigen.

Auch der zweite Sextant, den das Museum beherbergt, stammt aus dieser Zeit: Als In­strumentenbauer am Hofe Rudolfs II. fertigte Erasmus Habermel bis zu 300 Messgeräte. Die meisten verschwanden im Dreißigjährigen Krieg, so Švejda. Das einzige, das in Prag blieb, war jener Sextant, da er zu groß und schwer gewesen sei.

Technikfreunde und Welt­erklärer dürfte auch die astronomische Uhr von Engelbertus Seige aus dem Jahr 1791 faszinieren. Basierend auf dem damaligen Wissensstand verfügt die Uhr über ein Modell des Sonnensystems, das sieben Planeten umfasst – Wilhelm Herschel hatte 1781 mit Uranus den seinerzeit letzten Wandelstern entdeckt. Außer der Zeit zeigte die Uhr auch Mondphasen, Planetenkonstellationen, Sonnenfinsternisse und die Tierkreiszeichen an.

Auch ein Großteil der übrigen jüngst ernannten Kulturdenkmäler befindet sich in der Hauptstadt. So ist das Gesangbuch von Žlutice (Luditz) in der Gedenkstätte des nationalen Schrifttums (Památník národního písemnictví) ausgestellt. Die kunstvoll illustrierte Handschrift entstand im 16. Jahrhundert, als der nordwestböhmische Ort durch das hiesige Tuchmachergewerbe eine Blütezeit erlebte. Auf Bestellung des Stadtrates wurde das Gesangbuch in der seinerzeit bedeutendsten Buchwerkstatt – bei Jan Táborský in Prag – gefertigt. Das Werk wuchs auf beachtlichen Umfang heran: 43 Zentimeter hoch, 40 Zentimeter breit und 16 Zentimeter dick, mit einem Gewicht von 28 Kilogramm.

Zur Sammlung der Nationalgalerie gehört auch die Madonna von Veveří. Das gotische Tafelbild entstand vermutlich um 1350. Geschaffen wurde es von einem unbekannten Maler, dem sogenannten Meister von Eichhorn, der vor allem in Südböhmen und -mähren tätig war. Die großformatige Tafel zeigt eine gekrönte Madonna mit Jesuskind.

Der gleichen Epoche wird auch der Hohenfurther Altar zugeordnet. Die ursprünglich im Zisterzienserkloster im südböhmischen Vyšší Brod aufbewahrten neun Tafeln zeigen Szenen aus dem Leben Christi. Heute ist das Werk des Meisters von Hohenfurth im Agneskloster zu sehen.

Eine besondere christlich-spirituelle Dimension verkörpert das Palladium von Böhmen. Wer das kostbare Kunstwerk besichtigen möchte, sollte einen Ausflug ins mittelböhmische Stará Boleslav (Altbunzlau) unternehmen. Das Kupferrelief, das die Gottes­mutter mit ihrem Kind zeigt, stammt vermutlich aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und lockte tausende Gläubige in die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt in Stará Boleslav. Die barocke Plastik galt zu Zeiten Rudolfs II. als ein Symbol der böhmischen Gegenreformation.

Auf Schloss Náchod in Ostböhmen ist der Schmuckkasten der Familie Schlick aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt. Und in Tábor befindet sich der Altarflügel von Roudníky (Raudnig), der zu den ältesten hierzulande bekannten Darstellungen der Verbrennung von Jan Hus zählt.

Die neun Kunstwerke und Messgeräte werden offiziell im Januar 2016 als Nationale Kulturdenkmäler in die 304 Objekte umfassende Liste eingetragen. Damit erweitert sich der Bestand der beweglichen Kulturdenkmäler auf 27 Exemplare. In Zukunft will sich das Kulturministerium vermehrt um die bisher eher vernachlässigte Kategorie kümmern. Wenn sich weitere Objekte von gesamteuropäischer Bedeutung finden, könnte deren Bewahrung laut Kulturminister Daniel Herman (KDU-ČSL) „auch mit Mitteln aus EU-Fonds finanziert werden“.

Technikmuseum | Kostelní 42, Prag 7, geöffnet: Di.–Fr. 9 bis 17.30 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen, Eintritt: 190 CZK (ermäßigt 90 CZK), www.ntm.cz

Gedenkstätte des nationalen Schrifttums | Strahovské nádvoří, Prag 1, geöffnet: April bis Oktober täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt: 75 CZK (ermäßigt 45 CZK),
www.pamatniknarodnihopisemnictvi.cz

Agneskloster | U Milosrdných 17, Prag 1, geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), www.ngprague.cz