„Durch minimale Kürzungen geht viel verloren“

„Durch minimale Kürzungen geht viel verloren“

Ondřej Matějka, Experte für das deutsche Kulturerbe in Tschechien, über eine fragwürdige Minderheitenpolitik

27. 3. 2013 - Interview: Nancy Waldmann, Foto: privat

Vor dem Rotstift der Politiker ist in Tschechien niemand sicher. Auch nationale Minderheiten nicht. Deren Verbände protestieren gegen die Kürzungen am Kulturministerium. Wie und warum man überhaupt als Minderheit anerkannt wird und wem gegenüber der tschechische Staat eine besondere Verantwortung hat, darüber sprach PZ-Redakteurin Nancy Waldmann mit Ondřej Matějka. Er ist Leiter der Bürgerinitiative Antikomplex, die das deutsche Kulturerbe in Böhmen, Mähren und Schlesien aufarbeitet.

Wie dramatisch sind  die im Minderheitenrat diskutierten Kürzungen von 30 Prozent?
Ondřej Matějka: Es geht nicht um große Summen, aber es geht viel verloren, wenn man sie streicht. Ein Ministerium hat sich zuletzt zwei neue Autos für 5 Millionen Kronen zugelegt. Davon könnte man zum Beispiel die „Landeszeitung“, die sich in letzter Zeit wirklich gut entwickelt hat, für ein paar Jahre finanzieren. Wenn so ein Medium einmal eingestellt ist, kann man das kaum noch rückgängig machen. Es ist ärgerlich, wenn das nicht bedacht wird. Die Regierung kürzt rein mathematisch.

In der Volkszählung 2011 haben sich gut 18.000 Menschen zur deutschen Nationalität bekannt, vor zehn Jahren waren es noch 39.000. Ein Kommentator der „Landeszeitung“ schrieb, die Kürzungen zerschlugen das letzte Band unter den Minderheitsdeutschen, von denen sich ohnehin viele aus Angst nicht zu ihrer Herkunft bekennen würden. Ist da was dran?
Matějka: Ich glaube nicht, dass sich heutzutage jemand aus Angst nicht als Deutscher bezeichnen würde. Angst und sozialen Druck gab es sicherlich bis in die sechziger Jahre hinein, vielleicht auch länger. Die abnehmenden Zahlen erkläre ich mir damit, dass die Minderheit sehr alt ist und viele gestorben sind. Wir waren mit Antikomplex oft auf Treffen von Ortsgruppen. Das war immer sehr nett. Aber es sind eben kleine zerstreut lebende Gruppen alter Menschen, die für sich bleiben.

Warum verstehen sich ihre Nachkommen nicht als Deutsche?
Matějka: Innerhalb der Minderheit gibt es leider nur wenige Aktivitäten der mittleren und jungen Generation, wie es vielleicht im Oppelner Schlesien in Polen der Fall ist. Die Jungen finden in der Minderheit kaum Anknüpfungspunkte. Und mit den in Tschechien lebenden Expats in den Städten hat die alte deutsche Minderheit meiner Wahrnehmung nach überhaupt nichts zu tun.

Hat der tschechische Staat gegenüber der deutschen Minderheit wegen der Vertreibung und der Diskriminierung nach dem Zweiten Weltkrieg eine spezielle historische Verantwortung?
Matějka: Ja, den Deutschen wurde Unrecht getan, aber anderen Minderheiten ebenso, was aber weniger bekannt ist. Beispielsweise den Kroaten, die von Süd- nach Nordmähren umgesiedelt wurden. Oder den Roma, die die Regierung in der Nachkriegszeit zersiedeln und als Minderheit auflösen wollte. Damit möchte ich das Leid der Deutschen nicht relativieren. Ich denke, dass der tschechische Staat in den letzten 20 Jahren auch Verantwortung übernimmt. Finanziell geht es der deutschen Minderheit sicherlich vergleichsweise gut. Sie bekommt auch Projektgelder von der Bundesregierung, hat Begegnungszentren.

Ist das Prinzip der Minderheitenpolitik in Tschechien denn noch zeitgemäß?
Matějka: Wir haben eine stark ethnisch geprägte Definition von Identität, ähnlich wie in Deutschland. Angelsächsische Länder orientieren sich hingegen stärker am Staatsangehörigkeitsprinzip als an der Volks­zugehörigkeit. Also, wer Tscheche ist, hat eine entsprechende Herkunft, spricht die tschechische Sprache und hat eine weiße Hautfarbe. Daher rührt auch das Konzept der Minderheiten, die davon abweichen. Allerdings ist dieses Denken auch gerade im Umbruch. In Schulen stelle ich oft die Testfrage: Ist ein hier geborener, tschechisch sprechender Vietnamese auch ein Tscheche? – Die Antworten der Schüler fallen immer sehr unterschiedlich aus.

Das heißt, eigentlich müsste der Staat sein Minderheitenkonzept überdenken, wenn er dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen will, und ganz andere Formen der Kulturförderung finden?
Matějka: Ja, aber es ist ein langsamer Prozess und auch eine neue Diskussion. Grundsätzlich ist es positiv, dass es überhaupt staatliche Förderung für das kulturelle Leben der Minderheiten gibt. Aber große und sichtbare Gruppen, die den Status der historisch gewachsene Minderheit nicht haben, erreicht sie nicht. Die Vietnamesen, denen der Minderheitenstatus bislang verwehrt wird, sind die Benachteiligten. Eine Handvoll Bulgaren, die in Tschechischen Republik als historische Minderheit anerkannt ist, bekommt hingegen Geld für Tanzabende. Das ist eigentlich reine Folklore.