„Die tschechische Dramatik existiert faktisch nicht“

„Die tschechische Dramatik existiert faktisch nicht“

Mit Katharina Schmitt gehört auch eine Deutsche zum Leitungsteam des Prager Studio Hrdinů

8. 10. 2014 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: privat

Es war eher Zufall, dass die gebürtige Bremerin Katharina Schmitt ihre Theater-Karriere in Prag begann. Sie kam 1999 direkt nach dem Abitur – aus Neugier auf Osteuropa, wie sie sagt. Zunächst lernte sie Tschechisch und unterrichtete Deutsch. Ein Jahr später legte sie die Aufnahmeprüfung für Regie an der Theaterfakultät der Akademie der Musischen Künste ab – und bestand. Auch nach dem Ende ihres Studiums blieb sie der Prager Theaterszene treu. Ihre ersten Stücke inszenierte sie unter anderem im Theater „Divadlo Komedie“, wo sie auch den Dramaturgen Jan Horák kennenlernte. Er ist heute künstlerischer Direktor des Theaters Studio Hrdinů im Prager Stadtteil Holešovice, zu dessen Leitungsteam auch Katharina Schmitt gehört.

Seit zwei Jahren ist das „Studio der Helden“ – wie das Theater in der deutschen Übersetzung heißt – in einem ehemaligen Kinosaal im Untergeschoss des Messepalastes beheimatet, in dem die Nationalgalerie moderne und zeitgenössische Kunst ausstellt. Diese Umgebung beeinflusst auch die Arbeit der drei Hausregisseure: den Maler, Fotografen und Video-Künstler Michal Pěchouček, die Kostümbildnerin Kamila Polívková und Katharina Schmitt. „Unsere Ausrichtung hat vor allem mit dem Ort zu tun, an dem wir arbeiten. Wir konzentrieren uns auf zeitgenössische Dramatik, Performance und Inszenierungen zwischen bildender Kunst und Schauspiel“, erklärt die 34-Jährige. Mit minimalistischem Design, experimentellem Schauspiel und kontroversen Inhalten zieht das Studio Hrdinů auch ein jüngeres Publikum an.

Im vergangenen Jahr brachte Schmitt eine Erzählung von Arno Schmidt auf die Prager Bühne. In der jetzigen Spielzeit inszenierte sie mit „Wälsungenblut“ eine Novelle von Thomas Mann, die ein Motiv aus Wagners „Walküre“ aufgreift: den Inzest zwischen dem Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde. Die Arie „Wotans Abschied“ wird im Stück im deutschen Original gesungen. Versteht sich die Theatermacherin auch als Mittlerin zwischen deutscher und tschechischer Kultur? Zwar versuche man im Studio Hrdinů auch immer wieder deutschsprachige Zuschauer zu erreichen, pädagogische Ambitionen streitet sie jedoch ab: „Mich interessiert hauptsächlich der Stoff. Wenn meine Arbeiten Zuschauern Texte vermitteln, die ihnen vorher fremd waren, freut mich das, aber das ist nicht mein Ziel.“ Für Schmitt macht es keinen Unterschied, auf Tschechisch oder auf Deutsch zu arbeiten. Was die Theaterszene betrifft, sieht sie zwischen den beiden Ländern mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Die Themen, die sie interessieren, sind tatsächlich nicht an einen Sprachraum gebunden: zum Beispiel das Verhältnis von Schauspieler und Rolle, oder von Zuschauer und Schauspieler sowie die Übertragungen, die zwischen diesen Identitäten stattfinden. Das spiegelt sich auch in ihren persönlichen Theatervorlieben wider. So kann sie sich für die Arbeit der Französin Gisèle Vienne begeistern. Die Performancekünstlerin und Puppenspielerin arbeitet, wie das Team des Studio Hrdinů, mit verschiedenen Kunstformen, die bei ihr auf der Bühne eine oft unheimliche, spannungsgeladene Ästhetik entwickeln. Die Verunsicherung der Zuschauer ist dabei Teil des Konzepts. Auch in Schmitts Inszenierung von „Wälsungenblut“ ist die Distanz des Publikums zu den Schauspielern, schon allein räumlich gesehen, sehr gering. Hinter dem vordergründigen Thema, der skandalös-inzestuösen Beziehung eines Geschwisterpaares, geht es eigentlich um Narzissmus und die grundsätzliche Suche nach sich selbst im Gegenüber.

Trotz der Möglichkeit, in Prag spannende Theaterprojekte voranbringen zu können, äußert Schmitt schließlich doch einen Kritikpunkt an ihrer Wahlheimat: In Deutschland arbeite sie vor allem als Dramatikerin, also als Autorin von Stücken. Dort sei das ein Beruf, von dem man leben könne. Hier in Tschechien sähe es dagegen eher düster aus: „Es gibt keine Hausautoren an Theatern und die Tantiemen, die man bekommen kann, sind lächerlich niedrig. So sieht es auch schlecht mit der tschechischen Dramatik aus, sie existiert faktisch nicht. Begabte junge Autoren gehen hier fast ausnahmslos zum Fernsehen. So lange tschechische Theaterautoren nicht besser bezahlt werden, wird sich das leider nicht ändern.“

Wälsungenblut. Studio Hrdinů (Dukelských hrdinů 47, Prag 7), 19. Oktober, 20 Uhr, Eintritt: 150–250 CZK, www.studiohrdinu.cz