Die Stadtgärtner

Die Stadtgärtner

In Holešovice bauen Städter auf Brachflächen ihr eigenes Gemüse an und erobern sich damit den urbanen Raum zurück

10. 4. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: prazelenina.cz

Holešovice, Ecke Komunardů/Přístavní. Dass hier ein Gemüsegarten sein soll, darauf weisen nur die Motive des bunt besprühten Metallzauns hin, der eine Häuserlücke umgibt. Ein kleiner Junge hockt auf der Erde und schraubt an dem rostigen, platten Rad eines alten, mit dunkelbraunen Brettern verschlagenen Bauwagens. Sobald es warm wird, gehen seine Markisen auf. Dann wird Bier und Brause ausgeschenkt. Aber vorher steht der Umzug an, und der alte schwere Bauwagen voll mit Gartengeräten, Kaffeeautomaten und Schankanlagen muss mit. Mit müssen außerdem zwei etwa Hügel aus feiner Pflanzenerde, über die sich ein Pulk von Kindern gerade mit Schaufeln und Spielzeug-Baggern hermacht. „Der Frühling wartet nur auf uns!“ feixt Karina, Mitte dreißig, drei Kinder, Wollmütze, eine Hand in den Taschen ihrer dicken Winterjacke, in der anderen ein Biermischgetränk. Bei ihr stehen Standa, Regina und ihr Mann Martin. Sie stoßen an: Auf die kommende Saison, auf baldige Sonne, auf sich selbst und ihre Gartengemeinschaft „Prazelenina“. Und auf ihr neues Domizil, das sie gleich besichtigen werden. Jetzt, Anfang April, wenn die Samen eigentlich schon in der Erde sein sollten, wissen die Gärtner endlich, wo sie die kommende Saison verbringen.

Eine städtische Gartengemeinschaft hat es in Prag nicht einfach. Matěj, mit Hornbrille und in Trainingsjacke gehüllt, Gründer und Kopf von „Prazelenina“, wirkt geschafft. Sie könnten hier nicht bleiben, teilte der Grundstücksbesitzer Mitte März kurz vor der Aussaat mit und kündigte den Vertrag. Kurzzeitig stand „Prazelenina“ vor dem Aus. Es ist ein Glück, dass sie im beliebter und teurer werdenden Stadtteil Holešovice rund 500 Meter die Komunardů-Straße aufwärts ziemlich schnell etwas Neues fanden.

Umzug mit Gemüsebeet
Vielleicht lag es an Matějs Erfahrung, die er vor genau einem Jahr gesammelt hatte, als er das erste Mal einen Platz für einen Gemeinschaftsgarten suchte. „Urban Gardening“, das städtische Gärtnern, hatte er sich von Freunden in Helsinki abgeschaut, die in der Stadt ihr eigenes Gemüse anbauten und deren Garten gleichzeitig ein öffentlicher Treffpunkt für gärtnernde Stadtbewohner war. So etwas wollte er auch. Er ging mit seinem Anliegen zum Prager Magistrat und fragte, ob ihm die Stadt nicht ein brachliegendes Grundstück überlassen könnte. In anderen Städten, zum Beispiel in Berlin, wo in den vergangenen Jahren zahlreiche öffentliche Gemüsegärten entstanden sind, ist ein solches Vorgehen durchaus üblich und möglich. Die Prager Beamten aber schüttelten den Kopf. „Die verstanden mich überhaupt nicht“, sagt Matěj. So blieb nur, ein freies Grundstück zu mieten. Matěj ging zum Katasteramt, er scannte den städtischen Grundstücksplan nach Brachflächen und kontaktierte die Besitzer. Für 15.000 Kronen monatlich, inklusive einer Gebühr für die Hydrantennutzung – man muss die Beete ja bewässern – mieteten sie zu viert den jetzigen Standort. Erde bekamen sie von einer örtlichen Kompostfirma. Die Beete legten sie in mit Erde gefüllten Säcken an, auf Euro-Paletten. Diese mobile Beet-Variante hat den Vorteil, dass man leicht umziehen kann. Ein Sack bietet rund einen Quadratmeter Anbaufläche. Mietkosten pro Einheit: 850 Kronen mit Wasser, die Samen nicht eingerechnet. In der Innenstadt ist „Prazelenina“ die erste Gartengemeinschaft dieser Art. Matěj weiß noch von einem Projekt im Prager Süden und in der Nähe des Flughafens, wo auf freiem Feld angebaut wird.

Verkaufte Stadt
Vielleicht stieß Matějs Idee beim Magistrat auf Unverständnis, weil man meinte, der gemeine Prager habe ja irgendwo draußen seine „Chata“. Aber das trifft bei Weitem nicht auf alle zu.
Standa, Dreadlockträger, Vater zweier Kinder und Besitzer eines Hundes, ist hier um die Ecke geboren und aufgewachsen. Im vergangenen Jahr erntete er zum ersten Mal in seinem Leben eigene Früchte: Erdbeeren, Pfefferminze, grünen Salat. Alles auf einem kleinen Beet. Aber das Gemüse ist für ihn Nebensache. „Wichtiger ist uns die Gemeinschaft und dass wir einen Treffpunkt haben. Einen Ort, wo die Kinder spielen können, wo der Hund sich austoben kann“, sagt er. Mit seiner Familie kommt er im Sommer fast jeden Tag hierher. Der so sanft wirkende Standa regt sich auf, dass in Holešovice alles privatisiert wird, um Geld zu machen. „Es gibt keinen Platz, jedes Stück Erde wird an Investoren verkauft und bebaut. Man kann nirgends hingehen.“ Von dem Projekt erfuhr er „irgendwie über das Internet“, er erinnert sich nicht genau.

„Prazelenina“ erhielt gleich in der ersten Saison regen Zulauf. Rund hundert Leute mieteten sich letztes Jahr ein oder mehrere Beete, um ihr eigenes Gemüse, Obst, Kräuter oder Blumen aufzuziehen, sagt Matěj. 140 Erdsäcke standen auf dem Areal, das schätzungsweise die Größe zweier Tennisplätze hat. Junge Leute, auch viele Expats, gehören zu „Prazelenina“. Und sie stammen nicht nur aus der Nachbarschaft. Karina und Martin etwa kommen regelmäßig aus Vinohrady mit der Metro in den Garten, um ihre drei Beete zu versorgen. Mangold, Kürbis und sogar Kartoffeln ernteten sie letztes Jahr. „Die waren ziemlich klein“, sagt Karina.

Ranken im Maschendraht
Das Rad am Bauwagen wackelt inzwischen. Allerdings klemmt der kaputte Schlauch im Rad, weil das gesamte Gewicht des Wagens auf das Rad drückt. Vier Männer stemmen sich mit ganzer Kraft gegen den Bauwagen und bringen ihn in ein rhythmisches Schwanken, während der fünfte an dem alten Schlauch zerrt. Im Nu ist er draußen. Schluss für heute. Es ist noch viel zu tun, in zwei Wochen soll die Saison eröffnet und die Beete bestellt werden. Aber heute ist Sonntag.

Die Gärtner ziehen die Komunardů-Straße entlang, um den zukünftigen Garten zu besichtigen. Matěj zeigt den Weg. „Der neue Platz ist größer und die Miete sogar günstiger. Wasser haben wir nicht aus dem Hydranten, sondern vom Nachbarhaus“, sagt er zufrieden. Dann steht die Gruppe vor einem früheren Parkplatz, kaputtgefrorener Beton, umgeben von einem Maschendrahtzaun – wenig anheimelnd im Vergleich zu den alten Häusermauern im bisherigen Garten. „Hier kann der Kürbis ranken, ein Hokkaido“, frohlockt Martin als er den Zaun prüft. „Und wir bräuchten ein paar Bäume!“ Er zeigt auf eine verrostete Straßenlaterne, die einzige Dominante auf der öden Freifläche. „Das wird er!“ Martin will eine Bohne an der Laterne hochziehen.