Die Selbstreiniger von Smíchov

Die Selbstreiniger von Smíchov

Dodo Gombár bringt ein philosophisch-derbes Musical auf die Bühne des Švanda-Theaters

22. 4. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Alena Hrbková

„Ich weiß selbst nicht genau, was mich dazu bewogen hatte, es in diesem vollkommen unattraktiven Beruf zu versuchen. Ich hatte mir wohl einen neuen Blickwinkel erhofft, der mir zu einer ungeahnten Sicht auf die Welt verhelfen würde.“ So reflektiert der Ich-Erzähler in Ivan Klímas Roman „Liebe und Müll“ über seine neue Tätigkeit als Müllmann. Eigentlich ist er Schriftsteller, kann seiner Berufung in der sozialistischen Tschechoslowakei jedoch nicht frei nachgehen.

Derart philosophisch geht es bisweilen auch im Musical „Popeláři“ („Die Müllmänner“) zu, mit dem Regisseur Dodo Gombár die Geschichte Klímas für die Bühne adaptiert hat. Anfang Mai feierte das Stück im Prager Švanda-Theater Premiere. Doch trotz politisch-transzendentalen Tiefgangs: Im renommierten Theaterhaus von Smíchov dominiert das Schrille: Es klappern die Deckel der Abfalltonnen, wirbelt wild der Staub umher und blinken die Rücklichter des Müllautos neonfarben. Ein Musical im Švanda-Theater? Die traditionsreiche Institution ist eher für stillere Inszenierungen schwerer Stoffe bekannt. Auf den Geschmack der breiten Masse wird bei der künstlerischen Ausrichtung kaum Rücksicht genommen. Der anspruchsvolle Theatergänger braucht aber keine Angst zu haben: Entsprechend ironisch gefärbt sind die musikalischen Darbietungen des Schauspiel­ensembles. Die Qualität der Gesangseinlagen, die von Gitarre, Schlagzeug und Klavier begleitet werden, überzeugen auch Fans des Genres.

In seinem „schmutzigen Musical über Sauberkeit“ lässt Gombár seine namenlose Hauptfigur, einen Studenten der Ethnologie (Tomáš Červinek), einen angeblichen Kindheitstraum verwirklichen. Hierfür stellt er sich in den Dienst der Straßenreinigung. Mehr als diese Tätigkeit selbst interessieren ihn die Biographien seiner vier Kollegen, die ihn nur „Mladý“ – den „Jungen“ – rufen. Die schillerndste Gestalt ist der Chef der kleinen Kompanie, der „Professor“ (Miroslav Hruška). Er schafft es, die von Gestank und sozialem Stigmata geprägte Arbeit mit Sinn aufzuladen, ihr eine fast göttliche Mission einzuhauchen. Für ihn ist klar: Ohne die Müllmänner wäre jede Stadt in kürzester Zeit am Ende und würde im Chaos versinken. Wie Klímas Romanheld hat der Professor wegen politischer Unzuverlässigkeit seine Arbeit verloren und verlagert seine Sinnsuche auf die Straße.

Geglücktes Experiment
Dort findet er unter anderem den „Sammler“ (Tomáš Pavelka), der eines Morgens im Anzug in einer Mülltonne stehend seinem Abtransport in Richtung Deponie entgegensieht. Auch er hat seinen Job verloren, die Frau ist weg – er empfindet sich nur noch als Abfall der Gesellschaft. Nach der Rettung durch den Professor verbringt er seine Arbeitszeit vor allem damit, in den Containern und Tonnen nach Erinnerungen zu suchen. Die Mannschaft wird ergänzt durch Pepa (Robert Jašków), den grobschlächtigen „Touristen“, der seine Familie im Jahresurlaub über die weltweit größten Mülldeponien scheucht, und „Don Juan“ (Patrik Děrgel), der sich seit dem Selbstmord seiner Schwester in destruktive und kurzweilige Beziehungen stürzt. Seinen Beruf verleugnet er und verlässt die Frauen immer dann, wenn sie den Müll an ihm zu riechen beginnen.

Besonders letztere beide Figuren sorgen für eine ordentliche Portion Vulgarität und Sexismus, die allzu grob über die durchaus vorhandenen Feinzeichnungen der Inszenierung hinwegfegen und den Gegenpol zu den exaltiert philosophischen Monologen des Professors darstellen. Der dramaturgische Wendepunkt der Katharsis nach griechischem Vorbild setzt mit dem „Wunder in der Holečkova“ ein. In dieser Straße, die – auch ganz real – neben dem Theater den Strahov-Hügel hinaufführt, findet die Truppe ein verlassenes Baby. Es folgt die gemeinsame Besinnung auf moralische Werte und damit auch die psychische Selbstreinigung.

Dodo Gombárs jüngstes Werk bietet viel Unterhaltungspotential, die Musik- und Tanzeinlagen sind gelungen. In dieser Hinsicht ist dem Švanda-Theater sein Musical-Experiment geglückt. Der derbe Humor wird allerdings ein bisschen zu sehr auf die Spitze getrieben. Zu viel Staub wird auf diese Art aufgewirbelt; er verdeckt den Blick auf die wirklich interessanten Handlungsansätze und die spannende Konfrontation der verschiedenen Charaktere.

Popeláři. Švandovo divadlo (Štefánikova 57, Prag 5), Dauer: 155 Minuten inkl. Pause, Eintritt: 280–330 CZK (Ermäßigungen für Studierende), mit englischen Übertiteln, nächste Aufführungen: Montag, 18. Mai & Donnerstag, 11. Juni, jeweils 19 Uhr