Dicke Luft in Žižkov

Dicke Luft in Žižkov

Trotz Bombendrohungen und Polizeieinsatz: Die Betreiber des autonomen Sozialzentrums „Klinika“ geben nicht auf

31. 5. 2016 - Text: Katharina Wiegmann, Foto: Jan Nechanický

Eigentlich sollten sie gar nicht mehr da sein. Bereits im März lief der auf ein Jahr begrenzte Mietvertrag des autonomen Sozial­zentrums „Klinika“ in Žižkov aus. Die Aktivisten aber blieben. Sie boten weiterhin kostenlos Sprachkurse an, luden zu Konzerten und Vorträgen ein und schenkten Kaffee aus. Auf eine gewaltsame Räumung wurde bislang verzichtet. Zur Ruhe kommen aber weder die Betreiber, noch deren Nachbarn. Im Februar warf eine Gruppe von Vermummten Brandsätze auf das Gebäude und in den vergangenen beiden Wochen sorgten gleich zwei Bombendrohungen für Polizeigroßeinsätze in der ansonsten ruhigen Jeseniova-Straße.

Ein Grund für die bisher wenig konsequente Räumung durch das Amt für die Vertretung des Staates in Eigentumsfragen (ÚZSVM), das das Gebäude verwaltet, könnte die breite öffentliche Unterstützung der „Klinika“ sein: Anfang März sprachen sich 30 prominente Schriftsteller in einer Erklärung für deren Erhalt aus, immer wieder kam es zu Solidaritätsdemonstrationen. Im April gewann das Sozialzentrum den František-Kriegel-Preis für Zivil­courage. Die Jury der von der „Stiftung Charta 77“ vergebenen Auszeichnung lobte die Freiwilligen­arbeit der Aktivisten, die sich nicht an ideologischen oder marktwirtschaftlichen Grenzen orientiere, sondern vor allem „menschlich“ sei. Prag brauche einen Ort, an dem Menschen mit unterschiedlichen Schicksalen und Meinungen als Bürger und nicht als Konsumenten zusammenkommen könnten.

Ob dieser Ort in Žižkov noch Zukunft hat, ist unklar. Das ÚZSVM­ besteht auf die Räumung, hat bereits geklagt und vor Gericht auch recht bekommen. Laut einer Pressemitteilung des Amtes sei die Polizei mehrfach aufgefordert worden, die Maßnahme durchzusetzen. Am Dienstag voriger Woche war dann tatsächlich ein Großaufgebot an Polizisten mit schwarzen Helmen und Schutzausrüstung in der Jesenius-Straße zu sehen – dies hatte allerdings einen anderen Grund. Wie am Freitag zuvor war eine anonyme Bombendrohung eingegangen. Die Polizei sperrte die Straße ab, durchsuchte und räumte die ehemalige Poliklinik. Vertreter des ÚZSVM verriegelten anschließend das Gebäude, was die Aktivisten der „Klinika“ aber nicht davon abhielt, sich ­erneut Zugang zu verschaffen.

Allerdings nicht ohne Konsequenzen: 1.000 Kronen Strafe pro Tag müssen sie bezahlen; knapp 90.000 Kronen (ungefähr 3.300 Euro) haben sich bereits angehäuft. Ungefähr die Hälfte davon haben die Mitglieder des Sozialzentrums bezahlt. Mit Transparenten zogen sie am Mittwoch vergangener Woche zum ÚZSVM-Sitz, um das Geld symbo­lisch zu übergeben. „160.000 Radieschensamen oder 400 Kilogramm Tofu könnte man mit den 40.000 Kronen kaufen, die wir gestern als erste Rate an das ÚZSVM übergeben haben. Das Amt kümmert sich nicht um das Gebäude, sondern verklagt die­jenigen, die es für sie tun. Mit dem Happening wollten wir darauf hinweisen, wie bizarr die ganze Situation ist“, schrieben die Aktivisten später auf ihrer Facebook-Seite. „Wir haben das Geld von Unterstützern bekommen“, sagte Arnošt Novák von „Klinika“ gegenüber Journalisten. „Es ist aber schade, dass wir es für diese Geldbuße ausgeben müssen, wenn es auch in die Renovierung der ,Klinika‘ fließen könnte.“

Die Stadt mischt sich ein
Die Zukunft des baufälligen Gebäudes schien im März festzustehen. Die Generalinspektion der Sicherheitskräfte (GIBS) wollte die ehemalige Poli­klinik nach einer Renovierung zu ihrer Zentrale machen. Inzwischen hat sie davon Abstand genommen. Dafür mischte sich die Stadt Prag in die Verhandlungen ein. Derzeit führt der Magistrat Gespräche mit dem ÚZSVM.

Die Einmischung der Stadträte ist der Beharrlichkeit des Grünen-Vorsitzenden Matěj Stropnický zu verdanken. Als er im April bei den Prager Koalitionsverhandlungen auf Wunsch von ANO und ČSSD freiwillig aus dem Stadtrat zurücktrat, stellte er eine Bedingung: Prag solle das Gebäude kaufen. Das Zentrum wurde damit endgültig zum ­Politikum. Stadtrat Karl Grabein ­Procházka (ANO) äußerte nun aber Bedenken. Sollte der Magistrat die „Klinika“ tatsächlich vom ÚZSVM übernehmen, müssten die Akti­visten sie bis zur Renovierung verlassen, so Procházka nach einem Treffen mit Vertretern des Amtes am Freitag. Das lehnen die „Klinika“-Betreiber ab. „Warum wir das Gebäude nicht verlassen? Weil wir nicht wollen, dass das Interesse an diesem Thema verpufft. Wir wollen die Aufmerksamkeit auf die Nutzung leer­stehender Häuser lenken. Unsere Meinung soll in der Diskussion mit Autoritäten nicht übersehen werden. Wir wollen einen Raum als Basis für unsere Aktivitäten erhalten“, so die Aktivisten.

Wer die Bombendrohungen per E-Mail verschickte, ist nicht bekannt. Sprengstoff wurde beide Male nicht gefunden. Und obwohl die Polizei mit mehreren Wagen anrückte, schienen die Beamten vor Ort wenig nervös. Die Häuser in der Umgebung wurden nicht evakuiert, einige Aktivisten leisteten gegen die vorübergehende Zwangsräumung Widerstand.

Man müsse auch in einem demokratischen System protestieren, so Jury-Mitglied Jiřina Šiklová bei der Verleihung des František-Kriegel-Preises. Am vergangenen Donnerstag nahmen ihn zwanzig Vertreter der „Klinika“ in der Residenz des Bürgermeisters entgegen.