Der Stoff, aus dem die Bücher sind

Der Stoff, aus dem die Bücher sind

In seiner Manufaktur in Nordböhmen fertigt Michal Gorec traditionell Papier von Hand an

19. 3. 2015 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Papyrea

 

Metallabfälle, ausgediente Blaumänner und zerschlissene Jeanshosen heißen die ungewöhnlichen Zutaten, die Michal Gorec zu Papier verarbeitet. Seit Sommer 2013 betreibt der ehemalige Bankangestellte im Isergebirge eine kleine Papiermanufaktur namens „Papyrea“. Hier entsteht nach japanischer und europäischer Tradition handgeschöpftes Papier, das mitunter auch unkonventionelle Materialien wie Eisenspäne oder Jeansflicken enthält.

„Wir wollen dem Papier eine eigene Geschichte und vor allem eine Seele geben. Also kann es beispielsweise Tannennadeln für Grußkarten von Jägern enthalten, Lavendel für Hochzeitseinladungen oder Hopfen für die Visitenkarten von Brauereien“, erklärt Gorec. 14 Jahre habe er gebraucht, bis er sich den Traum von seiner eigenen Papierfabrik erfüllen konnte. Heute produziert das Familienunternehmen in Zdislava, etwa zwölf Kilometer westlich von Liberec, nicht nur sein eigenes Papier, sondern lehrt auch Besucher, wie man die einzigartigen Bögen von Hand anfertigt.

Die Idee zu einer Papiermühle kam Gorec Ende der neunziger Jahre. Als Student reiste er damals nach Israel, um Hebräisch zu lernen. Auf der Suche nach einem Nebenjob kam er in die Papiermanufaktur in Zichron Ja’akow. In der Kleinstadt am Rande des Karmelgebirges betreibt Izhar Neumann als einziger professioneller Papierhersteller des Landes eine Manufaktur, in der der Stoff, aus dem die Bücher sind, gefertigt wird. Neumann wurde zum Lehrer des Tschechen und half ihm später, seinen Traum zu verwirklichen. „Ich hatte zuvor mit Papier nichts am Hut, aber von Anfang an habe ich gespürt, dass das etwas ist, das ich gerne machen möchte“, sagt Gorec rückblickend. Also gab er vor gut zwei Jahren seinen Job als Bankangestellter auf und verschrieb sich der Papierherstellung.

Etwa einhundert Kilogramm fertigt Gorec pro Jahr in seiner Manufaktur. Neben Bögen für Grafiker und Künstler entstehen in Zdislava auch Lampenschirme, Bücher und großflächige Wandbilder. Freude bereitet es dem 39-Jährigen vor allem, mit außergewöhnlichen Materialien zu experimentieren, etwa mit Eisenspänen oder Kupferpartikeln. „Wir machen etwas, das man gewöhnlich nicht kaufen kann“, so Gorec. Auf Anfrage arbeitet er auch individuelle Wünsche in das Papier ein. „Für das Rathaus in Turnov haben wir beispielsweise dreifarbige Fasern verwendet.“

Hilfe für den Victoriasee
Das Herstellungsverfahren hingegen ist traditionell und reicht viele Jahrhunderte zurück. Der überwiegende Anteil des Papiers wird nach europäischem Stil gefertigt. Dazu verwendet Gorec Baumwoll-, Hanf- oder Flachsfasern sowie Stoffabfälle. Diese werden zunächst gereinigt und zerkleinert. Von einer Stampfmaschine, dem sogenannten Holländer, werden die Fasern anschließend zermahlen und aufgeschlossen. Die dadurch gewonnene Papiermasse gießt Gorec in ein Fass, schöpft sie mit einem Sieb ab und bringt sie in Form eines Blattes.

Wesentlich älter ist die japanische Technik, die Gorec ebenfalls beherrscht. „Allerdings ist der Unterschied zum Papier der alten japanischen Meister gewaltig“, gesteht er. Washi, wie das handgeschöpfte, durchscheinende Material auf Japanisch heißt, wird aus den Fasern des Maulbeerbaumes gewonnen. Nachdem der Baum im Herbst seine Blätter verloren hat, wird er geschnitten, die Rinde unter heißem Dampf ausgelöst. Die Fasern der Maulbeerpflanze müssen dann mit Wasser und Natriumkarbonat weichgekocht werden. Durch Schlagen und Klopfen mit einem Hammer werden sie weiter zerkleinert, bis sie einen Papierbrei ergeben. Mit einem Bambussieb wird dieser abgeschöpft, Verunreinigungen werden entfernt und die Masse zu einem glatten Bogen geformt. Wie eine Fahne wird dieser auf ein Brett gelegt, gebürstet und getrocknet. „Diese Techniken stammen aus dem sechsten Jahrhundert und haben sich bis heute erhalten“, so Gorec. Das Verfahren ist aufwendiger als das europäische, das Resultat feiner und sehr dünn. Verwendung findet das Papier vor allem in kalligrafischen Werken, japanischen Schiebetüren, Schriftrollen und Lampenschirmen.

Begeistert ist Gorec nicht nur von den Seiten, die in seiner Manu­faktur entstehen. Genauso wichtig ist es ihm, sein Wissen weiterzugeben. Deshalb lädt er am Handwerk Interessierte regelmäßig zu Workshops ein. In Wochenendkursen lernen Besucher, wie man Papier selbst herstellt und anschließend zu einem Notizbuch bindet. Außerdem können die Gäste, für die es bei Gorec Platz zum Übernachten gibt, ihre Fingerfertigkeit in Origami üben und Grußkarten bedrucken.
Stolz ist er auch auf ein besonderes Projekt: Gemeinsam mit Einheimischen in Kenia hilft er, den seit Jahrzehnten von Wasserhyazinthen überwucherten Victoriasee von der Pflanze zu befreien. Wie ein grüner Teppeich bedeckt die Schwimmpflanze Hunderte Quadratkilometer des Sees und erstickt damit die Fische. Indem sie die Wasserhyazinthen zu Papier verarbeiten, wollen Gorec und seine Mitstreiter die Umwelt entlasten. Die Idee ist naheliegend: „Voraussetzung war, dass wir in Kenia ohne Chemikalien und ohne Strom Papier herstellen können. Also mussten wir eine einfache Methode finden. Die hatten wir, da wir darauf spezialisiert sind, nach uralten Methoden japanisches Papier per Hand anzufertigen“, meint Gorec. Ein tschechischer Entwicklungshelfer hätte ihn darauf angesprochen, seit August vorigen Jahres läuft das Projekt. Derzeit, so Gorec, würde die nötige Ausrüstung für den Bau einer Papiermühle beschafft und Einwohner vor Ort angeleitet.

Informationen zu Workshops und Unterkunft unter www.rucni-papirna.cz

Die älteste Papiermanufaktur Mitteleuropas

Mehr als 51.000 Neugierige kamen im vergangenen Jahr ins nordmährische Velké Losiny, um die Papierfabrik „Ruční papírna“ zu besuchen. Ende des 16. Jahrhunderts von Johann dem Jüngeren von Žerotín gegründet, gehört die Manufaktur am Fuße des Altvatergebirges zu den ältesten Mitteleuropas. Bis heute wird hier handgeschöpftes Papier nach traditionellem Verfahren hergestellt. Seit 1987 beherbergt das Gebäude zudem ein Papiermuseum, in dem das Handwerk vorgestellt und die historische Entwicklung der Papierindustrie beleuchtet wird. Im Museum ist eine Galerie untergebracht, in der aus Papier gefertigte Exponate und andere Ausstellungsstücke aus der Region zu sehen sind. Das im 18. Jahrhundert im Spätbarock umgestaltete Fabrikgebäude wurde 2002 zum tschechischen Kulturdenkmal ernannt. Der Tourismus ist für die Manufaktur zu einem wichtigen Standbein geworden, ohne Besucher würde sie die Kosten für den laufenden Betrieb nicht ausgleichen können. Produzierte die Fabrik früher jährlich etwa acht bis zehn Tonnen handgeschöpftes Papier, ist dessen Herstellung in den letzten Jahren auf fünf bis sechs Tonnen zurückgegangen. In der Manufaktur arbeiten 25 Festangestellte, in der Sommersaison helfen 40 Mitarbeiter. Zu den wichtigsten Kunden gehören Hochschulen, Rathäuser und Behörden. „Wir verkaufen jährlich Tausende Blätter an Universitäten. Sie brauchen das Papier hauptsächlich für Diplome“, erklärt Petr Fouček, der Direktor der Manufaktur. Darüber hinaus gehören auch das Regierungsamt, verschiedene Ministerien und das tschechische Parlament zu den Abnehmern.

Informationen unter www.muzeumpapiru.cz