Der Gastronaut

Der Gastronaut

Filip Černý ist bayerischer Prager und erfolgreicher Münchner Gastronom. Auf ein Bier mit einem Exiltschechen

17. 9. 2015 - Text: Katharina WiegmannText und Foto: Katharina Wiegmann

Filip Černý ist kein Nostalgiker. Als Treffpunkt hat er das „Lokál Hamburk“ ausgewählt, gelegen in der Straße Sokolovská, der Hauptschlagader des Prager Stadtviertels Karlín. Sie ist Brennpunkt der aktuellen Diskussion über die Entwicklung der Stadt. Ein Cupcake-Café nach dem anderen öffnet die Türen in eine pastellfarbene Welt, in der die Kunden aus den nahegelegenen gläsernen Büro­türmen bedient werden. Bezahlbare Wohnungen werden zu Mangelware, Bürgerinitiativen formieren sich zur Gegenwehr. Das „Lokál Hamburk“ steht für eine Facette des Wandels. Im Internet finden sich noch Bilder aus vergangenen Tagen, die speckige Tischdecken mit verblassten Bierlogos und stiernackige Männer am Zapfhahn erwarten lassen. Aber alles kommt anders. Der Münchner Wirt und Unternehmer Filip Černý sitzt in einem fast klinisch sauberen Gastraum vor einer grün gemusterten Retro-Tapete und teilt sich den dunklen Holztisch mit zwei Anzugträgern. Entspannt blättert er im Polit-Magazin „Respekt“. Das erste frisch gezapfte Pilsner ist fast leer, zügig serviert die lächelnde Bedienung ein neues. Černý, Tscheche aus dem bayerischen Exil, passt hier ziemlich gut rein.

Seit Mitte der neunziger Jahre ist der gebürtige Prager an der Isar zuhause. Der bayerische Dialekt klingt auch dann durch, wenn er Hochdeutsch spricht. „Eigentlich waren es drei Fremdsprachen, die ich lernen musste, als ich nach Deutschland zog“, erzählt er. „Bayerisch, Deutsch und Englisch.“ 1987 kam er im Kurort Bad Reichenhall an, zusammen mit seiner Mutter, die dort einen Mann kennengelernt hatte und in der sozialistischen Tschechoslowakei keine Zukunft mehr sah. Zwölf Jahre alt war er damals. Man stellt sich so eine Ankunft schwer vor, als Teenager in der oberbayerischen Provinz. Černý möchte nicht dramatisieren. „Eigentlich sind wir freundlich aufgenommen worden. Aber natürlich hat man, wenn man selbst in so einer Situation war, eine andere Perspektive auf vieles, zum Beispiel auf die ganze Flüchtlingsdiskussion.“

Die Familie war nach einem zweijährigen Papierkrieg legal ausgereist, Mutter und Sohn hatten sich gemeinsam dafür entschieden. „Es klang vor allem nach Abenteuer“, erinnert sich Černý. Abenteuerlust war auch der Grund dafür, dass er sich später für die Hotelfachschule und die Gastronomie entschied: „Ich dachte, das sind Jobs, die man überall machen kann.“ Sein Traum war Amerika.

Wüste an der Isar
In München wollte er nur ein halbes Jahr bleiben, um Berufserfahrung zu sammeln. Doch er lernte dort Jan Oltznauer kennen, der auf dem ehemaligen Gelände der Firma Pfanni eine Bar mit Clubbetrieb aufmachen wollte. Das reizte Černý, er verschob seine USA-Pläne. Das heute als Kunstpark bekannte Areal, das später zu einer Art Miniatur-Ballermann im Münchner Osten aufsteigen sollte, war damals noch Wüste und abenteuerlich genug. Hier begann mit der Cocktail-Bar „K41“ Černýs Karriere als Unternehmer und Mitgestalter des Münchner Nachtlebens.

Aufgewachsen ist der jugendlich wirkende 40-Jährige im Prager Stadtteil Strašnice. „Das war damals sehr grau. Dunkelgrau bis schwarz. Aber ich habe keine schlechten Erinnerungen. Wir haben als Kinder viel Sport gemacht und uns Abenteuer draußen gesucht. Im Winter spielten wir Eishockey, die Bande besorgten wir uns von der Baustelle nebenan. Dann noch den Wasserschlauch vom Hausmeister und schon hatten wir eine Eisfläche.“ An den Wochenenden war er oft mit seiner Mutter im Sparta-Stadion auf der Letná-Höhe, wo sie in der Verwaltung arbeitete. Ein riesiger Spielplatz sei das für ihn gewesen, „eine große bunte Welt im tristen Grau“, wie er sagt.

Jetzt verbringt er wieder viel Zeit in Prag, entdeckt die Orte seiner Kindheit neu und freut sich über den Gründergeist, den er derzeit überall in der Stadt beobachtet. In Žižkov richtet er sich mit seiner Freundin eine Wohnung am Fuß des Vítkov-Hügels ein. Er mag das Viertel, kennt die neuen Bars in der Gegend, entdeckt Verbindungen und Konzepte, die ihn begeistern. Ein bisschen hängt er emotional zwischen den Städten, die beide für ihn Heimat sind.

Im Münchner Dreimühlenviertel sollte ein Lokal in der Ehrengutstraße die Erfolgsgeschichte von Černý und Oltznauer begründen, eine typische Münchner „Boazn“, wie man die Eckkneipen dort nennt. Sie stand eine Weile leer, wurde dann erfolglos betrieben. Mit den Worten „Der Umsatz tat’ scho stimmen, nur die Kosten san’ zu hoch“ habe sie ihnen der Vormieter übergeben, erzählt Černý lachend. Ende 2001 feierten sie Eröffnung. Die Kosten hat das Duo seitdem offenbar im Griff. Die These, das „Valentinstüberl“ unweit der Isar sei die wohl tschechischste Kneipe Münchens, überrascht und freut ihn. Das „Stüberl“, wie es von den Gästen liebevoll genannt wird, ist ein Ort, der Menschen zusammenbringt, was im sorgfältig nach Schichten und Milieus sortierten München nicht selbstverständlich für eine Kneipe ist. Dass die 85-jährige Nachbarin sich genauso willkommen fühlt wie die Handwerker und Studenten des Viertels, war dem „Stüberl“-Team immer wichtig.

Schmankerl auf Vinyl
Mit dem „Bavarese“ eröffneten Černý und Oltznauer 2005 schließlich das Restaurant, das ihnen im Dreimühlenviertel bis dahin gefehlt hatte. Italienisch-bayerische „Schmankerl“ kommen auf den Tisch oder zum Mitnehmen in den Picknickkorb. Von tschechischen Spezialitäten keine Spur. Die serviert Černý dafür in der Bar „Substanz“ – und zwar auf Vinyl gepresst unter dem Motto „Altes, Neues und Skurriles aus dem tschechischen Plattenkoffer“. Die Bar ist so etwas wie das Vereinslokal der tschechischen Exilgemeinde in München, auch der Schriftsteller und Poetry Slammer Jaromír Konečný tritt hier regelmäßig auf. Wie ist das eigentlich mit den Tschechen in München? „Ich habe nie nach einer tschechischen Community gesucht, sondern immer zufällig Leute kennengelernt und mich dann gefreut, dass ich mich in meiner Muttersprache unterhalten kann. Als ich von einem tschechischen Stammtisch erfuhr, war ich neugierig und erfreut. Dann haben dort aber alle nur geschimpft, wie schlimm und teuer alles ist. Das war mir sofort unsympathisch und ich bin gegangen.“

Unheimliche Begegnung
Černý konzentriert sich grundsätzlich eher auf die positiven Seiten. Österreich, Bayern, Tschechien: „Früher war es alles dasselbe und irgendwie ist es das in mancher Hinsicht immer noch.“ Trotzdem freut er sich, wenn er die Kultur seiner Heimat den Münchnern näherbringen kann. Als ihn das Tschechische Zentrum und ein Kulturverein vor einigen Jahren um Unterstützung bei der Tschechischen Filmwoche baten, zögerte er nicht lange. Vor allem, da ihn mit der damaligen Direktorin des tschechischen Zentrums einiges verbindet. „Plötzlich stand bei mir im Restaurant eine Frau, sprach mich auf Tschechisch an und fragte, ob ich aus Prag komme, aus Strašnice, das war fast unheimlich. Dann hat sie sich endlich vorgestellt als Zuzana Jürgens, ehemals Dětáková, eine Mitschülerin aus Prag. So klein ist die Welt!“ Seit 2012 stellt er das „Bavarese“ und das „Stüberl“ für Diskussionen mit Regisseuren und Filmpartys zur Verfügung.

Seinen tschechischen Pass hat er übrigens immer behalten. In München ist er verwurzelt, „dahoam“, wie sie in Bayern sagen, aber gerade zieht es ihn nach Prag. Vielleicht ist es ja Zeit für ein neues Lokal, ein neues Abenteuer in der tschechischen Hauptstadt? Seine tschechische Freundin Daniela, die sich nach dem dritten Bier dazugesellt hat, nickt zustimmend. Der Wahlmünchner reagiert zögerlich. Vielleicht lebt es sich ganz gut im Kosmos zwischen den Welten.