„Demonstrierende Rentner sind eine Schande für den Staat“

„Demonstrierende Rentner sind eine Schande für den Staat“

Zdeněk Pernes ist Vorsitzender des Tschechischen Seniorenrates. Von der geplanten Mindestrente und einem 600-Kronen-Bonus hält er nichts

1. 7. 2015 - Text: Corinna AntonInterview: Corinna Anton; Foto: Zdeněk Pernes/C. Anton

Als eine „Gewerkschaft für Rentner“ versteht sich der Tschechische Seniorenrat. Dessen Vorsitzender Zdeněk Pernes (65) kämpft für eine Mindestrente, die zum Überleben reicht, und ein Gesetz, das bezahlbare Wohnungen für Senioren schafft. PZ-Redakteurin Corinna Anton hat mit ihm gesprochen.

Wie geht es den tschechischen Rentnern?

Zdeněk Pernes: Vergleicht man das Renten- und das Preisniveau, dann geht es den Senioren bei uns ungefähr halb so gut wie in Deutschland. Etwa 70 Prozent der Senioren bekommen umgerechnet 295 bis 477 Euro Rente im Monat. Wenn sie ihre Grundbedürfnisse gedeckt haben, bleiben ihnen im Durchschnitt 71 Kronen am Tag für Besuche in einem Restaurant, Theater, Kino oder ähnliches.

Einige Senioren haben mir erzählt, dass sie aus Prag wegziehen mussten, weil sie sich ein Leben in der Hauptstadt nicht mehr leisten konnten. Sind das Einzelfälle?

Pernes: Prag ist zu teuer für Senioren, die in einer Mietwohnung leben – das trifft auf 28 Prozent der Rentner zu. Probleme haben vor allem alleinstehende Frauen, die meist eine niedrigere Rente beziehen als Männer.

Warum bleibt ihnen keine andere Möglichkeit, als aufs Land zu ziehen?

Pernes: Unser Sozialsystem ist nicht ausgereift. Wer in einer Wohnung lebt, die größer als 70 Quadratmeter ist, bekommt laut Gesetz keine finanzielle Unterstützung für die Miete. Das soll die Menschen dazu bewegen, in kleinere Unterkünfte zu ziehen – was in Ordnung ist. Allerdings gibt es in Prag und manchen anderen großen Städten kein Angebot an solchen Wohnungen.

Wie wollen Sie die Situation lösen?

Pernes: Wir fordern ein neues Sozialwohnungsgesetz. Die Regierung bereitet das gerade vor. Wenn es, so wie es jetzt aussieht, in Kraft tritt, würde es die Situation verbessern, weil es für niedrigere Mieten für Senioren sorgen würde.

Die Regierung will den Rentnern im Dezember einen einmaligen Bonus in Höhe von 600 Kronen (22 Euro) zahlen. Hilft das den armen Alten?

Pernes: Dieser Vorschlag war das Ergebnis des Drucks, den wir als Seniorenrat auf die Regierung ausgeübt haben. Wir sind damit aber überhaupt nicht zufrieden.

Warum nicht?

Pernes: Das ist ein Verstoß gegen die Solidarität zwischen den Generationen. Die Politiker haben sich ihre Gehälter um sechs Prozent erhöht, auch andere Berufsgruppen bekommen deutlich mehr. Wenn man wenigstens die Inflation der Jahre 2010, 2012 und 2013 ausgleichen würde, dann wäre das eine Einmalzahlung von 2.860 Kronen für Senioren – und nicht 600 Kronen.

Was halten Sie von den Plänen der Regierung, eine Mindestrente von 3.410 Kronen einzuführen?

Pernes: Der Vorschlag der Regierung löst überhaupt nichts. Die niedrigsten Renten belaufen sich derzeit auf 3.170 Kronen pro Monat. Eine Erhöhung auf 3.410 Kronen kann dieses Problem nicht beheben. Wir haben im vergangenen Jahr einen Entwurf ausgearbeitet, der eine Mindestrente von 8.300 Kronen vorsieht. Diesen Betrag brauchen ältere Menschen, um ihren Grundbedarf zu decken. In Tschechien gibt es 180.000 Senioren, die momentan nicht auf diese Summe kommen. Ihnen werden wir helfen und unseren Vorschlag durchsetzen.

Kann sich überhaupt jemand auf den Ruhestand freuen?

Pernes: Relativ gut geht es im Alter den Senioren, die arbeiten. Das sind etwa 150.000 Menschen.

Aber das ist doch nicht der Sinn der Rente?

Pernes: Die Senioren gehen aus verschiedenen Gründen einer Beschäftigung nach. Etwa ein Drittel sind Hochschulprofessoren, Wissenschaftler, Firmeneigentümer, Schauspieler. Sie arbeiten, weil sie es wollen. Auch ich gehöre zu dieser Gruppe. Die anderen zwei Drittel brauchen einen Job, damit sie ihre Miete bezahlen können. Sie sind in der Regel als Putzfrauen oder Pförtner beschäftigt oder sitzen im Museum an der Kasse. Das sind Seniorenarbeitsplätze – schlecht bezahlte Stellen, die oft mit Teilzeitkräften besetzt werden und für die man aufgrund dieser Bedingungen keine jüngeren Angestellten findet. Die Rentner nehmen also niemandem den Job weg.

Jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, muss im Alter etwas dazuverdienen. Gerecht ist das nicht.

Pernes: Natürlich ist das nicht in Ordnung. Unsere Politiker sagen, das liegt daran, dass die Wirtschaftsleistung unseres Landes nicht so hoch ist wie zum Beispiel in Deutschland. Ich meine aber, dass sich die Gesellschaft in Deutschland ihren Senioren gegenüber einfach besser verhält als in Tschechien. Zum Beispiel geben wir einen geringeren Teil des Bruttoinlandsprodukts für Renten aus als Deutschland.

Warum begehren die tschechischen Rentner nicht dagegen auf?

Pernes: Wir sind schon einmal auf die Straße gegangen. Im Mai 2013 haben in Prag 8.000 Senioren demonstriert, als die Regierung von Petr Nečas massive Einschnitte plante. Ich glaube, es ist eine große Schande für den Staat, für die Politik und die Gesellschaft, wenn Senioren auf die Straße gehen müssen. Die junge Generation muss sich um die Alten kümmern.