Das Geschäft mit der Bildung

Das Geschäft mit der Bildung

Immer mehr Ausländer kommen zum Studieren nach Tschechien. Besonders groß ist die Nachfrage nach Medizinstudienplätzen. Davon profitieren nicht nur die Hochschulen

8. 10. 2014 - Text: Eva FamullaText: Eva Famulla; Foto: Katrin Morenz

Martin hat die Arme verschränkt und denkt nach. Der 27-jährige Norweger studiert im dritten Semester Medizin. Genau wie Gerardo, der ihm gegenüber sitzt und mit wilden Gesten die Vorzüge an spanischen Universitäten erklärt. Besser organisiert wäre es dort, und als Student hätte man mehr Rechte. Martin und Gerardo sind zwei von rund 500 ausländischen Medizinstudenten an der Masaryk-Universität in Brünn. In sechs Jahren wollen sie hier den Grad eines MUDr. („Medicinae Universae Doctor“) erlangen, der in Deutschland dem Staatsexamen in Medizin entspricht. Den gesamten Studiengang absolvieren sie auf Englisch. Auch Walter aus Finnland hat sich für ein Auslandsstudium entschieden, um seinen Traumberuf wahr werden zu lassen. Der 27-Jährige ist ganz zufrieden mit seinem Studium im knapp 2.000 Kilometer von seiner Heimat entfernten Brünn. Dafür, dass die drei hier studieren dürfen, zahlen sie der Masaryk-Universität jedes Jahr 249.000 Kronen, umgerechnet etwas mehr als 9.000 Euro.

Wer Humanmedizin studieren will, muss in den meisten europäischen Ländern einen überdurchschnittlich guten Abiturschnitt vorweisen, in Deutschland zum Beispiel liegt dieser derzeit bei 1,2. Aus diesem Grund kommt für viele ein Medizinstudium gar nicht erst in Frage. Andere umgehen den Numerus clausus, indem sie Wartesemester einlegen oder ihren Studienplatz einklagen – in den meisten Fällen ohne Erfolg. Wer sich Zeit und Geld sparen möchte, geht ins Ausland. Für Deutsche ist dann in der Regel Österreich die erste Wahl, weil dort die Muttersprache gesprochen wird und keine Studiengebühren verlangt werden. Die Konkurrenz ist jedoch dementsprechend groß, der Aufnahmetest schwer. Wenn es mit dem Studienplatz in Wien nicht klappt, schauen sich einige woanders um: Ungarn, Polen, die Slowakei und auch Tschechien sind inzwischen zu typischen „Zufluchtsländern“ für Medizinstudenten aus den alten EU-Mitgliedstaaten geworden.

Markt für Verzweifelte
In Brünn haben sich ein paar Freunde zum Abendessen verabredet, alles Medizinstudenten. Unter ihnen ist auch Marie. Die Deutsche ist 23 und wie Martin, Gerardo und Walter im dritten Studiensemester. „Man kann in höheren Semestern nach Deutschland wechseln“, erklärt sie. Allerdings sei es wahrscheinlich, dass nicht alles anerkannt wird und zwei Semester in Deutschland wiederholt werden müssten. Das sei es ihr nicht wert, „dafür ist das hier zu viel Arbeit.“ Aller Voraussicht nach wird sie die sechs Jahre also in Brünn bleiben. Im Gegensatz zu ihrem deutschen Kommilitonen Florian, der um jeden Preis zurück in die Heimat will. Er fühlt sich nicht wohl in Brünn, für ihn ist das hier nur eine Übergangslösung.

Mittlerweile hat sich ein ganzer Markt für verzweifelte Medizin-Studenten entwickelt. Agenturen bieten die Vermittlung von Studienplätzen an, teilweise zu horrenden Preisen. Die deutsche Internetagentur „Medizin in Europa“ berechnet für jede Fakultät, an der sich ein Studieninteressent mit ihrer Hilfe bewirbt, eine Bearbeitungsgebühr von 595 Euro. Wird ein Studienplatz erfolgreich vermittelt, werden zusätzlich 1.785 Euro fällig. Doch damit nicht genug: Zweiwöchige Vorbereitungskurse für die Aufnahmetests in Prag kosten bei „Medizin in Europa“ 2.380 Euro, die spanische Internetagentur „Donde estudiar medicina“ bietet einen dreiwöchigen Crashkurs für „nur“ 1.500 Euro an.

Martin, Gerardo und Marie haben ihren Studienplatz über eine solche Agentur in ihrem Heimatland gefunden. Der 25-jährige Spanier wird noch heute wütend, wenn er daran denkt. „Die haben mich ausgeraubt.“ Immerhin konnten die drei den Aufnahmetest in ihrem Heimatland ablegen.

Bei Walter lief es anders: Auf die Masaryk-Universität ist er bei einer Recherche im Internet gestoßen. Nachdem er in Finnland bereits dreimal durch den Aufnahmetest gefallen war, flog er nach Brünn, um dort erneut eine Prüfung abzulegen – dieses Mal mit Erfolg. Gestellt wurden Fragen aus den Bereichen Mathematik, Chemie, Physik und Biologie – alles auf Abiturniveau. Vorbereitende Crash-Kurse bieten nicht nur Agenturen an, sondern auch die Universitäten selbst, und das weitaus günstiger. „Man muss dafür lernen, sonst hat man keine Chance“, nickt Martin. In Norwegen gibt es keinen NC, um Medizin zu studieren, doch die Aufnahmeprüfungen seien Martin zufolge „extrem schwer“. „Aber wer einmal einen Platz in Norwegen hat, der übersteht das Studium auch. Das ist hier anders.“ Und tatsächlich: Im europäischen Vergleich brechen überdurchschnittlich viele Medizinstudenten innerhalb der ersten beiden Jahre ihr Studium ab.

Chronisch unterbezahlt
In Tschechien gibt es drei Universitäten, die englischsprachige Medizin-Studiengänge anbieten: Die Karls-Universität in Prag, die Masaryk-Universität in Brünn und die Palacký-Universität in Olomouc. Die Studiengebühren liegen pro Jahr zwischen 8.000 und 12.000 Euro. Bis auf die Sprache unterscheide sich das Studium auf Englisch nicht im Geringsten von dem der tschechischen Parallelklasse, betont der Vize-Dekan der Ersten Medizinischen Fakultät an der Prager Karls-Universität Otomar Kittnar (siehe auch das Interview auf dieser Seite). Seine Fakultät lässt pro Jahr 120 internationale Studenten zu. Diesen September hatten sich 812 um einen Studienplatz beworben. Kittnar erklärt, die Abschlussrate liege bei 75 Prozent – genau wie bei den tschechischen Studenten. Der größte Anteil ausländischer Studenten käme aus Großbritannien mit 20 Prozent, die Deutschen stellten etwa fünf Prozent.

Einige von ihnen blieben laut Kittnar auch nach dem Abschluss des sogenannten Berufsdoktorats in Tschechien – entweder zum Arbeiten oder für die Promotion. Das dürften die wenigsten sein, glauben Martin und seine Freunde. Sie sehen vor allem ein Problem: das Gehalt. Ein tschechischer Arzt verdient als Berufsanfänger in einem staatlichen Krankenhaus maximal 20.000 Kronen (etwa 700 Euro) im Monat. Trotzdem meint der Norweger: „Ich würde gerne ein Jahr hier arbeiten, wenn ich fertig bin.“ Vorausgesetzt, er kann es sich leisten. Denn um die Gebühren in Brünn zu zahlen, hat er einen Studienkredit in seinem Heimatland aufgenommen. Martin hofft, dass ihm der norwegische Staat noch Zeit für das Abbezahlen des Kredits gibt.