Beton auf leichten Füßen

Beton auf leichten Füßen

Vor 20 Jahren wurde das „Tanzende Haus“ eröffnet. Damals war es umstritten – heute gehört das Gebäude zu den Wahrzeichen der Stadt

29. 6. 2016 - Text: Franziska Neudert, Titelbild: Palickap, CC BY-SA 4.0

Wer genau hinsieht, kann sie noch tanzen sehen. Am Rašín-Ufer stehen Fred Astaire und Ginger Rogers – das wohl berühmteste Tanzpaar der Filmgeschichte, das in den dreißiger Jahren mit seiner eleganten Leichtigkeit Millionen Zuschauer begeisterte. In einem gläsernen Faltenkleid schmiegt sich die Tänzerin an ihren Partner, der sie beschwingt zur Moldau zu führen scheint. Seit 20 Jahren schmückt das „Tanzende Haus“ (Tančící dům) den Jirásek-Platz in der Neustadt. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Gestalt, die an zwei Tänzer erinnert, wird es von vielen auch „Ginger und Fred“ genannt.

Wurde der Bau anfänglich von vielen als Störenfried empfunden, zählt er inzwischen zu den Wahrzeichen Prags. Das US-amerikanische Magazin „Times“ würdigte das Gebäude 1997 mit einem Preis für das beste Design. Einer Umfrage der tschechischen Zeitschrift „Architekt“ zufolge zählt es zu den fünf bedeutendsten tschechischen Bauwerken der neunziger Jahre.

Zwischen den Jugendstilhäusern tanzt das Gebäude ein wenig aus der Reihe.

Der Grundstein für das Tanzende Haus wurde 1994 gelegt, am 20. Juni 1996 wurde es eröffnet. Das dekonstruktivistische Gebäude löste zunächst hitzige Debatten aus. Kritiker sahen das historische Ensemble der nahen Altstadt verunstaltet. Befürworter dagegen lobten die moderne Architektur, die der Stadt damals fehlte. Auch Václav Havel, der in der Nähe des Grundstücks wohnte, unterstütze das Bauprojekt, von dem er sich eine Belebung des Viertels erhoffte. Denn ursprünglich sollte in der Baulücke ein Kulturzentrum mit Bibliothek, Theater und Café entstehen. Für diese Idee konnte jedoch kein Investor gefunden werden.

Keine Etage wie die andere
Im Jahr 1992 erwarb die niederländische Versicherungsgesellschaft Nationale-Nederlanden das brachliegende Grundstück. An ein Bauvorhaben knüpfte sie eine kommerzielle Nutzung des Gebäudes. Die Pläne entwickelten der in Zagreb geborene tschechische Architekt Vlado Milunić und Frank Gehry. Bekannt wurde der Kanadier unter anderem mit seinen Entwürfen für das Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao, das ihn zu einer Ikone der architektonischen Moderne machte.

Inmitten der Nachbarbauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert konzipierten Milunić und Gehry ein merkwürdig unregelmäßiges Gebäude, das aus zwei Teilen besteht: einem filigran geschwungenen Turm mit vorgeblendeter Glasfassade, der später als Ginger gedeutet wurde. Daneben steht ein Betonzylinder auf Pfeilern – Fred Astaire, wenn man der Lesart folgt, die von den Architekten allerdings nicht beabsichtigt war. Auf seinem Dach ruht eine Kuppel aus Edelstahlröhren. Auffällig sind die Fenster, die wie Bilderrahmen versetzt auf der Hauswand aufliegen. Über die Fassade ziehen sich Gesimse in Wellenlinien.

In der gläsernen Bar können sich Besucher eine Pause gönnen.

Seine „tanzende Gestalt“ erhielt das Bauwerk durch 99 Beton­platten, die sich in Form und Maßen unterscheiden. Aufgrund der unregelmäßigen Gestalt gleicht keine der insgesamt neun Etagen der anderen. Zwischen den Gebäudeteilen befindet sich eine Trennwand – man kann sie also nicht auf einer Ebene durchschreiten.

In den neun Stockwerken des „Tanzenden Hauses“ sind Büroräume, ein Konferenzsaal und eine Galerie untergebracht. Darin werden vor allem die Werke zeitgenössischer tschechischer Künstler gezeigt und verkauft. Derzeit gibt die Ausstellung „Retro der siebziger und achtziger Jahre“ einen Einblick in das tschechoslowakische Produktdesign dieser Zeit. In der obersten Etage befindet sich ein Restaurant. Im August soll außerdem ein Vier-Sterne-Hotel in beiden Türmen eröffnen.

Den Entwürfen von Milunić und Gehry zufolge steht das „Tanzende Haus“ symbolisch für die Zeit des Umbruchs und den Übergang einer starren Gesellschaft hin zu Fortschritt und Bewegung. Es verkörpert den Wunsch, nach langem Stillstand die Vergangenheit hinter sich zu lassen und mutig Neues zu wagen.

Retro 70. a 80. let. Tanzendes Haus (Jiráskovo nám. 6, Prag 2), geöffnet: täglich 9 bis 20 Uhr, Eintritt: 190 CZK (ermäßigt 100 CZK), bis 16. Oktober, www.retro70-80.cz