„Bedürftige wird es immer geben“

„Bedürftige wird es immer geben“

Die Vorsitzende der Prager Lebensmittelbank Věra Doušová hofft auf bessere Bedingungen für ihre Hilfsorganisation

4. 6. 2014 - Interview: Corinna Anton

Auf Auto und Fernseher kann man verzichten, auf einen Telefonanschluss und eine Waschmaschine zur Not auch. Aber was passiert, wenn die Armut so groß wird, dass es nicht einmal mehr für das tägliche Brot reicht? Věra Doušová ist Vorsitzende der Prager Lebensmittelbank. Mit PZ-Mitarbeiterin Corinna Anton sprach sie über die Spendenbereitschaft der tschechischen Unternehmen und darüber, wie gesetzliche Hürden das Helfen erschweren.

Einer Statistik zufolge sind in Tschechien mehr als 1,5 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Wem und wie hilft Ihre Organisation?

Věra Doušová: Es sind so viele Menschen von Armut bedroht oder betroffen, auf der anderen Seite landen täglich Lebensmittel im Müll, die noch nicht verdorben sind. Das ist der Grund, warum die Lebensmittelbanken entstanden sind. Von Spendern bekommen wir Lebensmittel, die nicht mehr verkauft oder verwendet werden. Damit versorgen wir Organisationen, die sich um sozial benachteiligte Menschen kümmern. Zu unseren Abnehmern zählen zum Beispiel Einrichtungen für Mütter mit Kindern, für Senioren oder Drogenabhängige, des Roten Kreuzes oder der Heilsarmee.

Die Lebensmittelbank in Prag existiert seit 2009. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?

Doušová: Ich habe den Eindruck, dass sich die Armut verschlimmert hat. Vor drei Jahren hatte die Prager Lebensmittelbank etwa 60 Abnehmerorganisationen, jetzt sind es mehr als 83, außerdem sind weitere Lebensmittelbanken in Liberec, Pilsen, Jihlava und Ústí nad Labem entstanden. Andererseits wächst aber auch das Bewusstsein dafür, dass zu viele Lebensmittel weggeworfen werden. Vor allem junge Menschen interessieren sich für unsere Arbeit. Bei einer Sammelaktion im vergangenen Jahr haben Kunden allein in Prag 14 Tonnen Lebensmittel gespendet.

Steigt auch die Spendenbereitschaft seitens der Lebensmittelproduzenten und Handelsketten, die ja Ihre Hauptlieferanten sind?

Doušová: Leider nicht, die Hersteller geben immer weniger. 2011 haben wir noch 150 Tonnen Lebensmittel bekommen, im vergangenen Jahr waren es nur noch 106. Ich glaube, das liegt vor allem an der Gesetzeslage: Wenn Unternehmen uns Lebensmittel spenden, gibt es dafür keine Ausnahme von der Mehrwertsteuer. So ist es für sie billiger, die Lebensmittel zu vernichten. Das System motiviert eher zum Wegschmeißen als zum Spenden. In fast allen anderen europäischen Ländern sind die Bedingungen für Lebensmittelbanken und ihre Spender deutlich besser.

Betrifft das nur die Regelungen bezüglich der Mehrwertsteuer?

Doušová: Auch was die finanzielle staatliche Unterstützung betrifft stehen Lebensmittelbanken in fast allen anderen EU-Staaten besser da. Wir bemühen uns seit Jahren, auf eine Liste der anerkannten Hilfs­organisationen aufgenommen zu werden. Das würde uns ermöglichen, staatliche Gelder zu beantragen. Der Prager Magistrat unterstützt uns zwar, hat es aber auch noch nicht geschafft, unsere Aufnahme in diese Liste zu erreichen.

Abgesehen von besseren Bedingungen – was ist das Ziel der Lebensmittelbanken?

Doušová: Natürlich wäre es am besten, wenn Armut nicht mehr existieren würde. Aber mir würde es schon reichen, wenn keine Lebensmittel mehr vernichtet würden, obwohl man sie noch nutzen kann. Das wäre ein erster guter Schritt. Bedürftige wird es, glaube ich, immer geben. Kürzlich hat mich zum Beispiel eine junge alleinerziehende Mutter angerufen. Sie war sehr verzweifelt, weil ihr Kind schwer krank ist. Weder sie noch das Kind kann etwas dafür, dass sie nicht arbeiten kann und in finanzielle Not geraten ist.