Ausgewandert ans Ende der Welt

Ausgewandert ans Ende der Welt

Die ersten Siedler aus Westböhmen kamen 1863 im neuseeländischen Puhoi an – noch heute wird in Egerländer Tracht getanzt

13. 4. 2016 - Text: Gunnar HabitzText: Gunnar Habitz; Foto: Bohemian Settlers Museum

 

Es dauerte vier Monate, bis die Auswanderer nach ihrer langen Reise von Prag über London und Auckland auf Neuseeland am 5. März 1866 in Puhoi eintrafen. Drei Jahre nach den ersten Aussiedlern hatte der charismatische Armeekapitän Martin Krippner weitere seiner Landsleute aus dem westböhmischen Stod (Staab) ermutigt, den unbequemen Weg auf der „Liverpool“ in eine ungewisse Zukunft anzutreten. Sie hießen Plescher, Schischka, Schott und Wenzlick. Und sie sprachen Egerländer Dialekt. Mit an Bord nahmen sie nur wenig Hab und Gut, dafür ihr Gespür für volkstümliche Musik und Tanz. Von Auckland aus ging es per Kutter und Kanu auf die 45 Kilometer lange Strecke bis zu einem unwirtlichen Stück Land am Puhoi River, den die Māori „Langsames Wasser“ nennen.

Nach seinem Ausscheiden aus der Armee war Martin Krippner 1861 nach Auckland ausgewandert. Als Veteran standen ihm 20 Hektar Land am Stadtrand zu. Doch der Visionär sah die Chance auf ein besseres Leben für seine Freunde aus dem Egerland. Damals gewährte die Regierung der Region Auckland Familien bis zu 56 Hektar Farmland zur Bewirtschaftung der Provinzen. Die erste Gruppe erhielt sogar 400 Hektar, allerdings ohne vorher über die steile Lage inmitten von mächtigen Kauri-Bäumen informiert zu werden. Schock und Frustration saßen tief bei den Siedlern angesichts der Erkenntnis, dass sie ihre Heimat für ein unwirtliches Regenwaldgebiet aufgegeben hatten, das sie kaum ernähren konnte.

„Die 84 Einwanderer vom ersten Schiff mussten zunächst Buscharbeiter werden, bevor sie als Farmer das Land kultivieren und bestellen konnten“, berichtet Jenny Schollum, die im Bohemian Settlers Museum als Historikerin tätig ist. Die Exponate zeigen, wie eine funktionierende Gemeinschaft entstand, deren tragende Säulen Kirche und Musik waren. In der neuseeländischen Sommersaison finden täglich etwa 15 bis 50 Besucher den Weg ins Museum des 500-Einwohner-Ortes.

Katholische Kirche St. Peter und Paul

Mit wenigen mitgebrachten Werkzeugen machten sich die Egerländer unermüdlich an die harte Arbeit und verkauften das Holz der kostbaren Kauri-Bäume, um Lebensmittel zu erhalten und Platz für eine Ansiedlung zu schaffen. Die Einwanderer überlebten vor allem dank der Zusammenarbeit mit den Einheimischen, die aufgeschlossen gegenüber den Neuankömmlingen waren. Innerhalb von 20 Jahren entstand ein Dorf mit der katholischen Kirche St. Peter und Paul, zwei Schulen, einem Postamt, einigen Geschäften und Hotels. Aus dem unzugänglichen Busch wurde die blühende Lebensader von Puhoi mit einem bis heute intakten Dorfleben, auch wenn die Bewohner längst in den Betrieben der Region oder in Auckland ihr Einkommen finden.

Das Ortsbild dominieren heute überwiegend weiß gestrichene Holzhäuser wie die kleine Bibliothek, deren Bestand auch einige tschechische Bände aufweist. In der Centennial Hall wurde 1976 die Historical Society gegründet, noch heute dient sie für Feiern, zu denen die Besucher in Trachten kommen. Der 1988 errichtete Landing Stone genau an der Landestelle des ersten Schiffs erinnert an die Einwanderer. Jährlich wird zudem der Ankunft der ersten Gruppe auf der „War Spirit“ im Juni 1863 gedacht.

Dass Puhoi in Neuseeland jedes Kind kennt, liegt allerdings weniger an der Siedlungsgeschichte, sondern vielmehr an der Molkerei „Puhoi Valley“, deren Erzeugnisse in Supermärkten im ganzen Land zu finden sind. Weiter hinten im Tal lässt sich dort täglich die Milchproduktion beobachten. Quark, den man für böhmische Obstknödel und Topfenkuchen bräuchte, stellt sie jedoch nicht her. Die Siedler aus dem Egerland haben sich bewusst rasch an die Lebensweise in ihrer neuen Heimat angepasst. Auch die deutsche Sprache ist fast komplett verloren gegangen, lediglich mit Musik und Tanz wird die Erinnerung gelebt.

Ein Ausflug von Auckland zur berühmten Ninety-Mile-Beach führt direkt an Puhoi vorbei. Viele Reisende kehren im Puhoi Pub Hotel mit seiner Wild-West-Atmosphäre ein, dessen Gastraum an eine böhmische Hospoda erinnert. Böhmische Gerichte werden dort aber nicht angeboten.

Bohemian Settlers Museum, Puhoi Road 75, 0951 Puhoi, Neuseeland, www.puhoihistoricalsociety.org.nz

Puhoi Valley Café & Cheese Store, 275 Ahuroa Road, 0951 Puhoi, Neuseeland, www.puhoivalley.co.nz