„Aus Ohnmacht wird Wut“

„Aus Ohnmacht wird Wut“

Fünf Jahre Schengen-Beitritt: Steigende Kriminalität sorgt in Sachsen zunehmend für Unmut

10. 1. 2013 - Text: Ivan DramlitschText: id/čtk; Foto: Wikipedia

Als am 21. Dezember 2007 die Schlagbäume zwischen Tschechien und Sachsen fielen, wurde dies nicht nur von Politikern, sondern auch von den ganz „normalen“ deutschen Bürgern begrüßt. „Auch wir freuten uns, dass wir problemlos rüberfahren konnten, um Zigaretten zu kaufen oder abends mal in Tschechien auszugehen. In vielen Orten wurde dieses Ereignis richtig gefeiert“, erinnert sich Heike Fritsche aus Hertingswalde, einer Gemeinde, die gerade einmal drei Kilometer vom böhmischen Grenzort Dolní Poustevna (Niedereinsiedel) entfernt liegt.

Den fünften Jahrestag des Schengen-Beitritts Tschechiens und Polens nimmt man in Sachsen allerdings mit gemischten Gefühlen wahr. Zahlreiche Bürger und Unternehmen verbinden den Wegfall der Grenzkontrollen mittlerweile mit einem massiven Anstieg der Kriminalität, für den sie vor allem Tschechen und Polen verantwortlich machen. Mehr Polizeipräsenz und eine Wiedereinführung der Grenzkontrollen sind Forderungen, die immer öfter zu hören sind. Davon wollen die sächsischen Behörden nichts wissen – zwar gebe es unleugbare Probleme, dennoch fällt deren Schengen-Bilanz nicht ganz so negativ aus.

Fakt ist, dass nach fünf Jahren offener Grenzen unter den Bürgern keine Feierlaune, sondern Katerstimmung herrscht. „Allein seit September wurden hier drei Kleinlaster und ein paar Autos geklaut, auch mehrere alte Menschen wurden überfallen und beraubt. Das ist übel, wirklich ganz übel“, sagt Heike Fritsche, deren Familienbetrieb selbst zu den Opfern der Autodiebe zählt. Unbekannte haben ihren Kleinlaster vom Hof weggeklaut. „Unser Betrieb war auf dieses Fahrzeug angewiesen. Jetzt ist es damit vorbei“, sagt sie verbittert. Die Versicherung habe nur ein Drittel der Summe gezahlt, die für einen neuen Wagen nötig gewesen wäre.

Für die Diebstähle in Hertingswalde und Umgebung macht die Sächsin Tschechen verantwortlich, die über unbewachte Wege ihr Diebesgut über die Grenze schafften. Und mit dieser Meinung steht sie nicht alleine da. „Wenn jetzt nichts passiert, dann wird das alles nicht funktionieren. Dann wird es immer mehr Hass geben, und es werden auch tschechische Bürger darunter leiden, die gar nichts dafür können“, prophezeit Fritsche. Sie selbst hat eine Petition initiiert, die vom sächsischen Landtag eine Verstärkung der Polizeipräsenz im Grenzgebiet fordert. Außerdem sollen grenzüberschreitende Touristenpfade mit Steinen oder Pfählen blockiert werden, um den Abtransport geklauter Autos und anderen Diebesgutes zu verhindern. „Man muss es den Dieben wenigstens schwer machen; Wege blockieren und deutlich mehr Polizeipräsenz zeigen, das kann abschreckend wirken“, so ihr Rezept zur Eindämmung der Grenzkriminalität.

Intensivere Zusammenarbeit gefordert
Mancherorts ist man bereits zur Tat geschritten. Bei Fürstenau und Müglitz blockieren riesige Steine die Durchfahrt über die Grenze. Diese haben die örtlichen Bürgermeister dort hinstellen lassen – sie hatten keine Lust mehr, auf eine Entscheidung der Politiker in Dresden zu warten. Mehr Polizeipräsenz ist auch eine Forderung der regionalen Handwerkskammern, die die Situation vor Ort als kritisch einschätzen. „2011 war jedes dritte Unternehmen Opfer von Kriminalität, man hat das Gefühl, dass es immer weniger Sicherheit gibt. Es muss etwas geschehen“, erklärt der Präsident der Dresdner Handwerkskammer Jörg Dittrich. Er beziffert den durch Diebstahl angerichteten Schaden im Jahr 2011 auf 1,35 Millionen Euro. Die Handwerkskammer Cottbus meldet sogar 1,43 Millionen Euro. „Aus Ohnmacht wird Wut“, so beschreibt Dittrich die Stimmung unter den Unternehmern und Gewerbetreibenden im Grenzgebiet zu Tschechien und Polen, wo laut sächsischer Statistik in den vergangenen zwölf Monaten die Kriminalität um vier beziehungsweise 15 Prozent gestiegen ist.

Probleme gibt es aber auch in den großen sächsischen Städten. So soll sich laut Presseberichten allein in Dresden die Zahl der Autodiebstähle seit 2007 vervierfacht haben. Zudem wurde nur im ersten Halbjahr 2012 ein zwischenjährlicher Anstieg um 68 Prozent auf über 500 Fälle verzeichnet. „Wenn jemand in Dresden ein Auto klaut, dann ist er damit in 30 Minuten hinter der Grenze. Die Chance, die Täter dann noch abzufangen, ist daher gering. Fakt ist, dass der Anteil polnischer und tschechischer Bürger an der festgestellten Kriminalität relativ hoch ist“, so der Sprecher des sächsischen Innenministeriums, Frank Wend. Hinter den Diebstählen stehen seinen Angaben zu Folge vorwiegend organisierte Banden, und zwar nicht nur aus Tschechien und Polen, sondern auch aus anderen Ländern Osteuropas. Eine Wiedereinführung der Grenzkontrollen stellt für ihn jedoch keine Lösung dar: „Gegen grenzübergreifende Kriminalität kann man nur grenzübergreifend vorgehen“, so Wend. Sachsen will deshalb die Zusammenarbeit zwischen tschechischen und deutschen Beamten noch weiter intensivieren. Insgesamt sieht Wend nach fünf Jahren Schengen mehr Positives als Negatives: „Die Öffnung der Grenze ist für beide Seiten von Vorteil. Das gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für den Tourismus. Es ist bedauernswert, dass solche großartigen Projekte von Kriminellen missbraucht werden. Das gibt es aber auch in anderen europäischen Regionen. Man muss gemeinsam konsequent dagegen vorgehen, um diese Kriminellen in die Schranken zu weisen.“