Aus dem Stand

Aus dem Stand

Während die Besucher die Weihnachtsmärkte mit Spaß und Vorfreude auf das Fest erleben, müssen die Menschen an den Ständen hart arbeiten. Ein Perspektivenwechsel

6. 12. 2012 - Text: Stephanie GerberText und Foto: Stephanie Gerber

 

Dezemberluft in Prag riecht nach Glühwein, frisch gegrilltem Prager Schinken und karamellisiertem Zucker. Aus den Lautsprechern tönt „Stille Nacht“ und vom Himmel fallen einzelne Schneeflocken – der Weihnachtsmarkt hat eröffnet. Bevor Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda den Weihnachtsbaum auf dem Altstädter Ring anknipste, stimmten am Eröffnungswochenende Chöre aus Ländern wie Finnland, Russland oder Polen gemeinsam weihnachtliche Lieder an. Doch damit die Besucher die festliche Stimmung genießen können, müssen andere hart arbeiten. Wer sind diese Menschen hinter den Theken? Wer schuftet bei Wind und eisiger Kälte, damit Touristen und Einheimische sich mit Glühwein warmhalten oder im Shopping-Rausch Geschenke mit oder ohne Prag-Inschrift für die Lieben daheim kaufen können? Drei Weihnachtsmärkte, drei Stände und drei Geschichten von Menschen, die dort arbeiten.

Trdelník, Touristen und tiefe Temperaturen
Eine Trdelník-Bude auf dem Wenzelsplatz: Tina wickelt den Teig des Trdelník – das Gebäck stammt aus der Slowakei – auf eine Rolle, die anschließend über offenem Feuer gebacken und dann in einer Zucker-Nuss-Mischung gewälzt wird. Seit vier Stunden steht sie an dem Stand und wechselt sich mit ihren zwei Kollegen bei der Zubereitung des Gebäcks ab. Mal rollt sie einen neuen Teig auf die Stöcke, mal tauscht sie die Stangen über der offenen Feuerstelle aus, mal verkauft sie einen Trdelník für 50 Kronen, dampfenden und in eine Serviette gepackt. Unter Tinas beigefarbenem Umhang, den alle Trdelník-Verkäufer tragen, blitzen mehrere Schichten bunter Pullover gegen die Kälte an langen Arbeitstagen hervor. „Ich arbeite Vollzeit“, erzählt die 29-Jährige. Sie ist freiberufliche Grafik-Designerin hat aber noch nicht so viele Aufträge. „Ich bin froh, dass ich hier arbeiten und so die Pausen zwischen meinen Projekten überbrücken kann“, erläutert Tina, die während des letzten Jahres insgesamt drei Monate auf verschiedenen Märkten in Prag beschäftigt war. Was sie genau verdient, will Tina nicht verraten. „Es ist okay“, sagt sie. Studenten an einem anderen Stand verraten ihren Lohn: 80 Kronen pro Stunde. Laut den Befragten durchaus attraktiv für die Finanzierung der eigenen Ausbildung.

Weihnachtsmarkt am Platz Jiřího z Poděbrad: Jakub verkauft Kerzen und Strohsterne und verdient damit lediglich 50 Kronen die Stunde – das entspricht dem gesetzlichen Mindestlohn in Tschechien. Nur zwei Stände weiter würde er für die selbe Tätigkeit das Doppelte bekommen. Der 20-Jährige arbeitet zum ersten Mal auf dem Weihnachtsmarkt und ist froh, überhaupt etwas Geld zu verdienen. „Normalerweise bin ich arbeitslos“, sagt Jakub. Dass die Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt nicht sein Traumjob ist, sieht man ihm an. Mit gesenktem Kopf wartet er an diesem Morgen auf zahlende Kundschaft. Wenn er etwas verkauft, bekommt er zusätzlich zu den 50 Kronen eine Beteiligung am Umsatz. Unter seinen Kollegen werde dieses Geld dann aufgeteilt.

Vertraute Köstlichkeiten
Auf dem größten und meistbesuchten Prager Weihnachtsmarkt am Altstädter Ring findet man in der Nähe der barocken Nikolaus-Kirche einen Stand mit der Aufschrift „Original Nürnberger Spezialitäten“. Die Theke ist prall mit gebrannten Mandeln, Lebkuchen und schokoladenüberzogenen Früchten gefüllt. Dahinter steht mit gelbem Pullover und Schal bekleidet Herr Draws. Das ganze Jahr über ist er hauptberuflich auf verschiedenen Jahrmärkten und Festen in ganz Deutschland unterwegs – während der Adventszeit seit fünf Jahren auch auf dem Prager Weihnachtsmarkt. „Der Nürnberger Christkindlesmarkt ist zu überfüllt und ich finde, Prag ist eine schöne Stadt. Deswegen sind wir froh, dass wir den Standplatz hier bekommen haben“, erzählt er. Mit seinen deutschen Spezialitäten bereichert der Stand als einziger seiner Art den Weihnachtsmarkt auf dem Altstädter Ring. „Das Angebot wird von allen Touristen gut angenommen, darunter sind natürlich auch Deutsche, aber auch Tschechen mögen unsere Produkte gerne“, beteuert Herr Draws.

Für Einheimische sind die Nürnberger Spezialitäten eine Abwechslung zu den tschechischen Süßspeisen, für deutsche Touristen ein willkommenes Stück Heimat. Eigentlich. „Gebrannte Mandeln kann ich nicht mehr sehen“, sagt eine deutsche Besucherin im Vorbeigehen. Für sie warten zum Glück auf allen sechs Prager Weihnachtsmärkten tschechische Palatschinken, Karlsbader Oblaten und natürlich Trdelník.

Altstädter Ring (Staroměstské náměstí), bis 1. Januar 2013, 10–22 Uhr, Essensstände bis 24 Uhr

Wenzelsplatz (Václavské náměstí), bis 13. Januar 2013, 10–22 Uhr, Essensstände bis 24 Uhr

Platz der Republik (Náměstí Republiky), bis 24. Dezember, 10–19 Uhr

Friedensplatz (Náměstí Míru), bis 24. Dezember, 10–19 Uhr

Jiřího-z-Poděbrad-Platz (Náměstí Jiřího z Poděbrad), bis 24. Dezember, 10–19 Uhr

Messegelände Holešovice (Výstaviště Holešovice), 7. bis 16. Dezember, 10–18 Uhr