Auf zaghaften Pfoten
Seit etwa 30 Jahren leben wieder Luchse im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet. Doch bis heute haben sie sich kaum vermehrt
10. 9. 2014 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: NP Bayerischer Wald
Er trägt einen flauschigen Backenbart, spitze Pinselohren und hat einen Stummelschwanz. Auch wenn Europas – nach Bär und Wolf – drittgrößtes Raubtier possierlich aussieht, eine Schmusekatze ist es nicht. Einem Luchs in freier Wildbahn zu begegnen, gleiche einem Sechser im Lotto, wie Tierschützer sagen. Die Raubkatzen sind scheue Einzelgänger und meist in der Dämmerung oder nachts unterwegs.
Ende des 19. Jahrhunderts galten Luchse im heutigen Grenzgebiet zwischen Deutschland, Österreich und Tschechien als ausgestorben. Durch Wiederansiedlungen konnte sich über die Jahre hinweg ein kleiner Bestand von gegenwärtig etwa 50 Luchsen entwickeln.
Vor allem in den Nationalparks Bayerischer Wald und Böhmerwald (Šumava) fühlen sich die Tiere wohl. Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet finden sie störungsarme Rückzugsgebiete mit dichten Wäldern und ausreichend Rehwild vor – ideale Lebensbedingungen für Europas größte Raubkatze. Doch zum Bedauern der Tierschützer haben sich die Luchse, die auf der Suche nach einem eigenen Revier oft weite Strecken zurücklegen, in den vergangenen Jahren nicht ausgebreitet. Warum sich die Tiere nicht auch in den angrenzenden Regionen ansiedeln, haben nun deutsche und Schweizer Wissenschaftler untersucht. Offensichtlich verhindern illegale Abschüsse eine Ausbreitung der unter Naturschutz stehenden Tiere.
Kein Halt an der Grenze
In den siebziger Jahren wurden im Gebiet des Nationalparks Bayerischer Wald in einer heimlichen Aktion – damals gab es noch keine Gesetze, die eine Wiederansiedlung geregelt hätten – Luchse ausgesetzt. Wie viele Tiere das genau waren, ist bis heute unklar; vermutlich handelte es sich um fünf bis zehn Luchse. Erst in den Jahren zwischen 1982 und 1987 wurden 17 Tiere im Gebiet des heutigen Nationalparks Böhmerwald offiziell wiederangesiedelt.
„Deren Nachkommen bilden die heutige Luchspopulation. Ohne menschliche Hilfe gäbe es diese also nicht“, erklärt Sybille Wölfl vom bayerisch-tschechischen Projekt „Trans-Lynx“. Das Projekt setzt sich seit 2013 für den länderübergreifenden Schutz der Tiere ein und bemüht sich um eine exakte Dokumentation der Luchspopulation. „Bisher gibt es nur recht grobe Schätzungen. Diese belaufen sich auf circa 50 Tiere im bayerisch-böhmischen-österreichen Raum. Viele Luchse sind in beiden Ländern unterwegs. Das Problem dabei ist, dass rein länderweise Erhebungen solche Luchse wahrscheinlich doppelt zählen würden. Deshalb ist die länderübergreifende Zusammenarbeit so wichtig, damit die Luchspopulation nicht überschätzt wird“, so Wölfl.
Von den wiederangesiedelten Luchsen erhoffte man sich, dass sie sich bis ins Erzgebirge oder nach Thüringen ausbreiten, wie Jörg Müller vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie an der Technischen Universität in München ausführt. „Dann könnte sich in Mitteleuropa langfristig eine stabile Population herausbilden.“ Der Wissenschaftler ist als Forschungsleiter des Nationalparks Bayerischer Wald tätig und hat an einer im August im Fachmagazin „Biological Conservation“ veröffentlichten Studie mitgearbeitet. Wie die Forscher feststellten, entfernen sich die Luchse selten mehr als 70 Kilometer vom Zentrum der beiden Nationalparks.
In anderen Gebieten hingegen – wie zum Beispiel in Skandinavien – wandern vor allem die männlichen Tiere deutlich weiter, durchschnittlich 150 Kilometer. „Da Luchse sehr scheu sind und sich hauptsächlich von Rehwild ernähren, haben wir untersucht, welche Rolle der Mensch und die Beutedichte bei der Ausbreitung spielen“, erklärt Müller.
Hohe Strafen für Wilderer
Spuren von Luchsen fanden die Forscher in 530 am Nationalpark gelegenen bayerischen Gemeinden. Überraschenderweise scheinen weder der Straßenverkehr noch menschliche Siedlungen das nachtaktive Raubtier bei seinen Streifzügen zu stören. „Das Gebiet um die Nationalparks bietet den Luchsen ideale Bedingungen. Also gehen wir davon aus, dass illegale Abschüsse ihren Bestand minimieren“, so Müller. Seit der Aussiedlung der Luchse hätten die Behörden 62 Tötungen registriert. Immer wieder verschwänden Tiere. In den Jahren 2012 und 2013 wurde ein Luchs vergiftet und ein trächtiges Weibchen erschossen aufgefunden. Wilderei lässt sich jedoch nur selten nachweisen. „Die Dunkelziffer liegt wohl deutlich höher“, vermutet Müller.
„Seit jeher werden Luchse gejagt. Auch heute tun sich die Jäger schwer damit, den Schutz der Luchse zu akzeptieren“, weiß Tereza Mináriková. Die tschechische „TransLynx“-Leiterin kennt dafür vor allem zwei Gründe: „Luchse gelten einerseits als begehrte Trophäen und werden andererseits als schädliche Spezies verachtet, die sich an Nutztieren vergreift.“ Daher ist vor allem Aufklärungsarbeit notwendig, so Mináriková. „Wir versuchen deshalb, Jäger und Förster so gut wie möglich in unser Projekt zu integrieren.“ Obwohl offizielle Statistiken fehlen, gehen die Tierschützer davon aus, dass etwa zehn bis 20 Prozent der Luchse im Jahr erlegt werden. „Das ist eine enorme Belastung für Tiere mit hoher Jungensterblichkeit“, wie Mináriková erklärt. Mehr als die Hälfte aller Luchs-Jungen stirbt noch vor dem ersten Lebensjahr. „Man muss wissen, dass ausschließlich das Luchsweibchen die Aufzucht der Jungen übernimmt. Wenn es also krank wird oder verletzt ist, können sich die Kleinen nicht mit Nahrung versorgen und sterben“, so Mináriková.
Wer beim Töten eines Luchses erwischt wird, kann schwer bestraft werden. Laut tschechischem Strafgesetzbuch gilt das Erlegen einer geschützten Tierart als Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann. Hinzu kommt eine Geldstrafe zwischen 100.000 und zwei Millionen Kronen (etwa zwischen 3.600 und 72.000 Euro). „Solch eine hohe Bestrafung zeigt, dass die Jagd von Luchsen zumindest von einem Teil der Gesellschaft als schwerwiegendes Vergehen angesehen wird“, sagt Mináriková. Das Hauptproblem aber bleibt bestehen: Den Wilderern auf die Spur zu kommen. „Bis heute hat es keinen einzigen Fall gegeben, in dem die Tötung eines Luchses erfolgreich untersucht und vor Gericht gebracht worden ist“, bringt die Tierschützerin das Problem auf den Punkt.
Luchse in Europa
Luchse sind relativ zersplittert und in kleinen Populationen über Europa verteilt. In den nördlichen und östlichen Ländern Europas leben verhältnismäßig große Luchsbestände. Diese sind im Gegensatz zu den westeuropäischen Populationen ursprüngliche Bestände, die nie ausgerottet waren. So leben in den skandinavischen Ländern und im Baltikum jeweils etwa 2.000 Luchse. Die karpatische Population, die sich über Rumänien und die Slowakei erstreckt, wird ebenfalls auf rund 2.000 Individuen geschätzt. Akut gefährdet ist die vierte ursprüngliche Population in Mazedonien und Albanien, von ihr existieren lediglich noch 40 bis 50 Exemplare. Die wiederangesiedelten Bestände in West- und Mitteleuropa – Schweiz, Slowenien, Böhmen, Harz, Vogesen und Jura – umfasst etwa 15 bis 150 Individuen und ist damit weit von einer langfristigen Überlebensfähigkeit entfernt. In Deutschland beschränkt sich das Luchsvorkommen auf zwei Populationen: entlang der bayerisch-böhmisch-österreichischen Grenze sowie im Harz. Außerdem wurden vereinzelt Tiere in Hessen gesichtet.
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