Auf Plastikflaschen die Elbe hinab

Auf Plastikflaschen die Elbe hinab

Zwei junge Tschechen wollten auf unnötigen Plastikmüll hinweisen, mit einem Boot aus 6.500 PET-Flaschen. 900 Kilometer sollte es sie tragen, bis nach Hamburg. Doch dann wollten die deutschen Behörden die Papiere sehen

6. 8. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba

Über vier Monate haben sie gesammelt, dann vier Monate getüftelt und geschraubt. Zwei junge Männer aus Nymburk haben ein Tretboot aus Abfall gebaut, um damit 900 Kilometer die Elbe hinab zu fahren, nach Hamburg. Nach 18 Tagen und noch vor der Grenze war Schluss. Sie mussten sich der deutschen Bürokratie geschlagen geben – oder sie waren zu schlecht vorbereitet, je nach Auslegung. Ihre Botschaft kam trotzdem an.
„In Tschechien hat Plastikmüll keinen nominalen Wert. Es ist einfach, nicht zu recyceln und wegzuwerfen“, erklärt Jan Kára. Er ist einer der zwei Kapitäne an Bord und möchte darauf hinweisen, dass es in Tschechien auf Plastikflaschen kein Pfand gibt. Hätten sie das Boot in Deutschland gebaut, es hätte sie wegen des Einwegpfands 1.625 Euro gekostet.

Der zweite Kapitän Jakub Bureš ist der Mann fürs Handwerkliche. Beide sind 22 Jahre alt und lieben das Abenteuer. Jan ist im vergangenen Sommer zu Fuß von Nymburk nach Gibraltar gelaufen. 3.000 Kilometer in 80 Tagen. Jakub ging zwar nur knapp 50 Kilometer, von Nymburk nach Prag, dafür aber rückwärts – mit Rückspiegeln am Rucksack. Als sie voneinander erfuhren, war klar: Sie wollen gemeinsam etwas Verrücktes machen.

Jan fasziniert vom Bauen aus Abfällen. Jakub, von Beruf Schweißer, hat schon einmal ein kleines Floß aus Plastikflaschen gebaut. Die Idee von der Plastikfahrt von Nymburk nach Hamburg war geboren, der Bootsname PETBurg erfunden. Aus insgesamt 6.500 Plastikflaschen haben sie Kiel und Deck gebastelt – und eine Kabine mit einem Vorhang aus weißen, roten und blauen Flaschendeckeln, die zusammen die tschechische Trikolore ergeben. Der Mast ist aus Abflussrohr.

Für das Pedalsystem hat Bureš weggeworfene Fahrradrahmen zersägt und über Ketten mit zwei einfachen Schaufelrädern am Heck verbunden. Die Besatzung sitzt auf ausrangierten Plastikstühlen. Bis auf den Holzrahmen – die Bretter hat ihnen ein Rentner aus Nymburk geschenkt –, Kabelbindern und Metallwinkeln ist das gesamte Boot aus Abfällen gebaut.

Jan meint, die Menschen werfen vieles zu leichtfertig weg. Dabei produzieren die Tschechen im Vergleich eher wenig Müll, laut jüngsten Eurostat-Angaben etwa halb so viel wie die Deutschen. Das liegt Experten zufolge zwar auch an unterschiedlichen Messmethoden, aber auch daran, dass vor allem die ältere Generation in den östlichen EU-Staaten Dinge länger aufhebt. Beim Recyceln allerdings schneiden sie etwas schlechter ab: Im EU-Durchschnitt werden 42 Prozent der Haushaltsabfälle recycelt, in Ländern wie Tschechien oder Polen nur 25 Prozent. Dass die Tschechen für Mülltrennung jedoch durchaus zu begeistern sind, zeigt die Aktion von Jan und Jakub.

In ihrer Heimatstadt hatten sie improvisierte Container für die Plastikflaschen aufgestellt. „Die waren jeden Tag voll“, erzählt Jan. Aber ganz ehrlich: Eigentlich ging es ihnen um den Spaß. Sie haben sich Kapitänsuniformen nähen lassen – man wolle schließlich nicht aussehen wie ein Schiffbrüchiger, wenn man in der Hansestadt ankommt – und haben zwei Matrosen an Bord geholt.

Vor zwei Wochen im mittelböhmischen Čelákovice: Die PETBurg nähert sich einer Hängebrücke. Passanten bleiben stehen. „Was ist das denn?“, fragt eine Frau. Ein Radfahrer erklärt: „Das sind die Typen mit den Plastikflaschen, hab ich in der Zeitung gelesen, die sind klasse.“ Unter der Brücke ist inzwischen eine Gruppe Jugendlicher ins Wasser gesprungen. Jakub wirft ihnen einen Rettungsring mit der Aufschrift „Nymburk – Hamburg“ zu.

Den Spaß mussten sich die Vier hart erarbeiten. Im weiten Flusstal herrschte Gegenwind. Weil das Boot leicht ist, mussten sie mit Muskelkraft dagegenhalten. Sie traten und traten, ein monotones Quietschen und Knacken begleitete sie. Wer am Ufer nebenher lief, hatte die PETBurg schnell hinter sich gelassen. Zwei Tage nachdem sie in Nymburk unter dem Jubel von knapp 400 Schaulustigen die Leinen losmachten, hatte die komplette Besatzung krebsroten Sonnenbrand und das Antriebssystem hakte. Jakub musste noch einmal Werkzeug aus Nymburk bringen lassen.

Bis Hamburg hatte Jan mit dem Schlimmsten gerechnet, mit Kielbruch und Unwetter. Nur die Genauigkeit der deutschen Behörden hatte er nicht auf dem Radar. „Wir haben uns vorher überall schlaugemacht, es hieß, so lange wir keinen Motor haben, brauchen wir keine Papiere“, erklärt Jan in Děčín. Das stimmt nicht ganz. Mit zehn Metern Länge und vier Metern Breite ist ihr Tretboot zu groß. In Děčín kam der Anruf: An der deutschen Grenze warte schon die Kontrolle, die Papiere sehen wolle. Laut Schifffahrtsordnung braucht ein Boot dieser Größe einen Motor und ein Boot mit Motor braucht einen Kapitän mit Führerschein. Auflagen, die sie nicht erfüllen konnten. Die tschechischen Behörden deklarierten die PETBurg darauf kurzerhand als Sondertransport.

Die Besatzung feierte schon ihren Sieg, als sie erfuhr, dass die deutschen Behörden das nicht akzeptieren würden. Elf Tage harrten sie in Děčín aus, dann stellten sie eine Todesanzeige auf ihr Facebook-Profil. „PETBurg“ steht dort, „die tödliche Bürokratie hat sie dahingerafft“. Dabei hatte Jan das Recyceln des Bootes schon mit den Hamburger Stadtwerken vereinbart. Dazu wird es nicht mehr kommen – zumindest nicht in diesem Sommer. Das Boot bleibt zunächst in Děčín. Am Donnerstag, den 31. Juli ließen sie ihr irrwitziges Boot im Hafen zurück. Bis Hamburg wollen sie trotzdem – auf Fahrrädern.