Anpacken und mitmachen

Anpacken und mitmachen

Im Letná-Park etabliert sich ein alternatives Sport- und Kulturzentrum

23. 7. 2014 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann, Foto: osa2

Es regt sich etwas im Létna-Park wird, seit dem Frühsommer in der Stadt gemunkelt. Von Techno-Partys auf einem Gelände mit zwei verlassenen Tennisplätzen ist die Rede. Unweit des beliebten Biergartens, neben den gepflegten Feldern des Tennis-Clubs LTC Prag sollen sie stattfinden. Genaues wusste auch in sonst wohlinformierten Kreisen längere Zeit niemand. Wer steckt hinter der Belebung des Areals, das in den vergangenen zwei Jahren leerstand? Nach und nach mehrten sich am Zaun befestigte Flugblätter und Plakate und klärten auf: Alternativa II ist der Name der Organisation, die hier zugleich ihr Hauptquartier und ein nahezu unerschöpfliches Betätigungsfeld gefunden hat.

Betritt man das Gelände, fällt zunächst der Blick auf ein ehemaliges Tennisheim, ein architektonisches Kleinod aus der Ersten Republik. Marek Semerád und Štěpán Říha essen im Garten des holzverkleideten Gebäudes mit den Sprossenfenstern zu Mittag. Die Freunde aus Schulzeiten gehören zu den Gründungsmitgliedern des mittlerweile acht Jahre alten Vereins Alternativa II. Sie haben eine gemeinsame Mission: leerstehende Räume finden und nutzbar machen. Oft waren es Bunker aus Zeiten des Kalten Krieges, die sich bestens für die Proben befreundeter Bands umfunktionieren ließen. Aus dieser Faszination für verlassenes Terrain heraus entstand für Štěpán auch eine berufliche Perspektive: Der 32-Jährige betreibt auf einer ehemaligen Militärbasis in Hostivice westlich von Prag ein Spielfeld für Paintball. Das Einkommen ermöglicht ihm Freiraum für seine ehrenamtliche Arbeit im Rahmen des NPC VýLetná, so der Name unter dem die Aktivitäten im Letná-Park laufen.

Die Abkürzung steht für „nízkoprahové sportovně-společenské centrum“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie „niedrigschwelliges Sport- und Gemeinschaftszentrum“. Welche Idee steckt hinter dem sperrigen Titel? „Hier soll ein Zentrum für Sport, Kultur und Bildung entstehen“, erklärt Marek seine Vision. Die Arbeit daran sei genauso wichtig wie die Ergebnisse: „Sachen selbst in die Hand nehmen, eigene Ideen und Interessen realisieren, ohne sich darauf zu verlassen, dass es andere übernehmen, ist ein Weg zum Glück.“ Abgesehen von diesem Statement ist er ein stiller Macher, der nicht gerne über Privates spricht: „Wichtiger als mein persönlicher Hintergrund ist das, was ich mache.“ Marek wurde beim abendlichen Zappen durch das Fernsehprogramm auf das Gelände im Letná-Park aufmerksam. Er blieb bei einer Sendung hängen, die Aufnahmen vom verwilderten Tennisplatz und dem charmanten aber eindeutig renovierungsbedürftigen Gebäude zeigte. Er machte Ort und Besitzer ausfindig, sie wurden sich einig. Die Renovierungsarbeiten begannen im Frühling.

Von Yoga bis Basketball
„Niedrigschwellig“ ist ein Begriff aus der Sozialarbeit für Angebote mit möglichst wenigen Zugangsbeschränkungen, zum Beispiel finanzieller Art. Alle Kurse im NPC VýLetná beruhen auf Spendenbasis – die Teilnehmer geben so viel, wie sie können. Ebenso kann das Gelände für eigene Projekte genutzt werden, sei es von einem Basketball-Team, einer Yoga-Gruppe oder einer Theaterkompanie. Marek, Štěpán und ihre Mitstreiter haben viele Ideen, die längst noch nicht alle realisiert sind. Mit ihrer Offenheit haben sie sich auch eine Zielgruppe erschlossen, die oft außen vor bleibt: Einige Obdachlose sind auf die Gruppe zugekommen und hämmern, entrümpeln und renovieren jetzt mit. Die Instandsetzungsarbeiten sind noch längst nicht abgeschlossen.

Štěpán führt über das Gelände und zeigt stolz sein Herzensprojekt: den Gemeinschaftsgarten am Rand des Tennisfelds. Zwischen grauen Betonmauern hat er Zucchini und Tomaten gepflanzt. Noch wirken die gepflegten Pflanzen ein wenig einsam, sie machen vielleicht ein Fünftel des ansonsten wild bewucherten Spielfeldrandes aus.

Zurück am Hintereingang des Hauptgebäudes beginnt Monika das wöchentliche Fußballtennis-Turnier vorzubereiten. Die Sportart lässt sich als eine Mischung aus Volley- und Fußball beschreiben. Gespielt wird, wie beim Tennis, über ein niedriges Netz. Im Letná-Park treten regelmäßig fünf bis sechs Teams gegeneinander an, die Studentin übernimmt die Organisation.

Während die Sportler sich vorbereiten, werkelt Ivan im Foyer. Er hat das alterslose, wettergegerbte Gesicht eines Menschen, der sich wenig in geschlossenen Räumen aufhält. Ivan ist einer der sieben ehemaligen Obdachlosen, die mittlerweile im Obergeschoss wohnen. Einige haben ihre eigenen kleinen Projekte, Ivan packt überall ein bisschen mit an. „Arbeit macht mich zu einem besseren Menschen“, sagt er und grinst durch die Zahnlücken. Regelmäßig kommt nun auch ein Sozialarbeiter zur Beratung vorbei. Langfristig soll NPC VýLetná Arbeitsplätze schaffen; momentan helfen Biergarten- und Barbetrieb zumindest die Kosten zu decken. Geöffnet ist täglich, Bier wird frisch gezapft und auf dem Grill brutzeln Steaks. Techno-Partys finden mit wechselnden DJs fast jedes Wochenende statt.

Es ist kurz vor 18 Uhr, vereinzelt treffen Frauen und Männer im Sportoutfit ein und versammeln sich auf den Bierbänken am Eingang. Schließlich fährt ein Kombi vor. Der Kofferraum öffnet sich – er ist voller neuer Schuhe eines Sportartikelherstellers, der das kostenlose wöchentliche Lauftraining unterstützt. Die Zusammenarbeit unterstreicht den pragmatischen Ansatz hinter Alternativa II, ein Name, der eigentlich eine eher kritische Haltung vermuten lässt. Aber wie Marek deutlich macht, geht es beim NPC VýLetná ums Anpacken und Mitmachen und nicht um graue Theorie.