Eulen im Ungewissen

Eulen im Ungewissen

Der Lyriker Petr Borkovec schreibt Liebesgedichte über Menschen und Tiere

16. 12. 2015 - Text: Franziska NeudertInterview: Franziska Neudert; Foto: Petr Borkovec/Ondřej Lipár

Petr Borkovec, geboren 1970 im mittelböhmischen Louňovice pod Blaníkem, lebt als Dichter und Übersetzer in Černošice bei Prag. Seit 1990 hat er acht Gedichtbände und zahlreiche Übertragungen russischer Lyrik aus dem 20. Jahrhundert veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit Philologen übersetzte er koreanische Lyrik und antike Dramen, zum Beispiel für das Prager Nationaltheater. Für seine Werke wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er den Jiří-Orten-Preis und den Hubert-Burda-Preis für junge osteuropäische Lyrik. Wer der Poesie Petr Borkovecs lauschen will, sollte das Prager Café Fra besuchen. Dort lädt der Lyriker regelmäßig zu Lesungen und stellt Literatur zeitgenössischer Autoren vor. Im Klub Ferenc Futurista in Černošice veranstaltet Borkovec Themenabende, zeigt Filme, organisiert Konzerte und diskutiert über Gott und die Welt.

Wie sind Sie zur Poesie gekommen?

Petr Borkovec: Ich bin als Einzelkind nur unter Frauen aufgewachsen. Nicht einmal meine Großmütter hatten einen Mann. Allein unter diesen Frauen habe ich mir gern das „Lexikon der Tschechoslowakischen Schriftsteller“ aus dem Jahr 1964 angesehen. Das war wohl entscheidend.

Wie muss man sich das Gedichteschreiben vorstellen? Tauchen die Strophen einfach in Ihrem Kopf auf oder setzen Sie sich gezielt an den Schreibtisch?

Borkovec: Ich schreibe, wenn ich Zeit habe und – wie jemand einmal sagte – es wahrscheinlich ist, dass man für wenig­stens vier Stunden nicht gestört wird.

Fällt es Ihnen schwer, Gedichte zu schreiben?

Borkovec: Sicher. Schreiben bedeutet, aus dem Ungewissen, aus einer Vorahnung, aus dem Zweifel und den Gefühlen heraus etwas zu erschaffen, das zusammenhalten und sich durch eine gewisse Klarheit auszeichnen soll.

Die Liebesgedichte in Ihrem Buch sind sehr unterschiedlich. Sie erzählen von Tieren, von Landschaften und von Menschen. Gibt es einen roten Faden?

Borkovec: Gemeinsam ist den Gedichten, dass sie kurz sind. Die meisten von ihnen verstehe ich als Liebesgeständnis: von Ding zu Dingen, von Mensch zu Menschen, von Ding zu Mensch und von Mensch zu Dingen, von den Toten zu den Lebenden, von den Lebenden zu den Tieren, von den Bäumen zu den Männern, den Männern zu den Männern und manchmal von irgendeinem Mann zu einer Frau.

Das Motiv der Eule kehrt in mehreren Gedichten wieder. Was hat es damit auf sich?

Borkovec: Ich habe zwei Monate in der Schriftsteller-Residenz Hellebosch bei Brüssel gewohnt. Im Garten nisteten damals Uhus. Ich hatte viel Zeit und konnte sie beobachten, dabei habe ich mir Notizen gemacht. Unter ihren Klängen waren viele Liebeslieder, Duette und Arien.

Petr Borkovec: Liebesgedichte. Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier. Edition Korrespondenzen, Wien 2014, 143 Seiten, 21 Euro, ISBN 978-3-902951-08-3

 

Der kleine Uhu
Heute nicht der Plüsch von Lattentreffern,
er hobelt in der Dunkelheit mit allem Scharfen,
das ihm unterkommt. Am Morgen gähnte
eine junge Amsel in die Welt und sah aus
wie eine dunkle Schwertlilie, bevor sie platzt.
Und spätnachmittags, so nach fünf,
flog sie auf den Giebel und wiederholte es.
„Was man nicht sieht, daran denkt man nicht,
und das, was man sieht – ist gleichsam Erinnerung.
Ich kann nicht leben mit dir.“

Zwei Eulen
Eine Gasse, zu schmal für ihren Körper,
aber zu breit für ihren Flug,
ausladende Bussarde und Fledermäuse,
die rundlichen Kanten ihres Verschwindens
von der Straßenlampe erfasst,
für eine Sekunde zerbarst der Raum
hinter diesem taubstummen Zug.

Giorgio
Schwalben unter dem See, Grünstufen.
Und plötzlich ein Gewitter wie aus einer anderen Epoche:
der gestockte Atem der Farben (auch meiner Worte),
das Glas des Blitzes, der Kitt des Azurs –
wenn du so dasitzt an dem Tisch aus weißem Holz
und die Amseln im Rasen
wie Hündchen kleinen Bällen nachjagen.